Antike Welt - Nr5 2017

(Elliott) #1
ANTIKE WELT 5/

POLITISCHE CODES UND EDLE STEINE – FuŶkioŶ uŶd VerǁeŶduŶg der PruŶkkaŵeeŶ

ȋNr. ͳ͵Ȍ, den Sohn des Aeneas und
mythischen Namengeber der iuli­
schen Familie, der auch Augustus auf­
grund seiner Adoption durch Caesar –
und Tiberius durch seine Adoption
durch Augustus – angehörte. Im mitt­
leren Bildfeld sitze links am Rand Li­
villa ȋNr. ͅȌ, die Witwe Drususʼ d. J.,
rechts Agrippina d. Ä. ȋNr. ͸Ȍ. Vor Nero
stehe dessen Frau )ulia ȋNr. ͶȌ, und bei
der neben Livia sitzenden trauernden
orien talischen Gestalt ȋNr. ͻȌ handele
es sich um die Personifikation der Par­
ther, womit der für Nero vorgesehene
Gegner und der Ausgang des Kampfes
angezeigt würden. Giuliani versteht
den Kameo als ein vermutlich ʹͶ n. Chr.
dem Tiberius übergebenes Geschenk,
mit dem die Auftraggeber zum einen
ihre Loyalität zum Kaiser ausdrücken,
vor allem aber Position in der heiklen
Nachfolgefrage zugunsten von Nero
und Dru sus beziehen wollten.
Wie die weitere Entwicklung zeigte,
war dies keine glückliche politische
Positionierung, und das überaus kost­


bare Geschenk könnte den Auftrag­
gebern, bei denen es sich um Senato­
ren oder hochgestellte Mitglieder des
Hofes gehandelt haben dürfte, durch­
aus gefährlich geworden sein. Es wäre
wohl auch nicht sonderlich geschickt
gewesen, Tiberius wenige Monate nach
dem Tod seines Sohnes einen Kameo
zu überreichen, auf dem zwar dessen
Witwe Livilla und sogar Caligula abge­
bildet waren, sein leiblicher Enkel Ti­
berius Gemellus aber nicht, und dem
Kaiser somit das Scheitern seiner bis­
herigen Nachfolgepläne gerade durch
diese Weglassung demonstrativ vor
Augen zu führen. Zudem stellt sich
auch die Frage, ob außerhalb des Kai­
serhauses überhaupt Rohmaterial für
Kameen dieser Größe und Qualität zur
Verfügung stand.
Von Tiberius als Auftraggeber des
Kameos geht dagegen Heinlein aus.
Sie identifiziert die Frau links am Rand
als Agrippina d. Ä. ȋNr. ͅȌ, die rechts
als )ulia ȋNr. ͸Ȍ und die Frauengestalt
vor Nero als Concordia ȋNr. ͶȌ, die Göt­

tin der Eintracht. In ihrer Interpreta­
tion wollte der Kaiser selbst auf dem
Kameo die Neuordnung der Nachfolge
ʹ͵/ʹͶ n. Chr. bildlich darstellen. Da­
bei sollten die verstorbenen Mitglie­
der der kaiserlichen Familie im obe­
ren Bildfeld mit ihren Leistungen der
Legitimierung der neuen präsumpti­
ven Nachfolger Nero und Drusus die­
nen. Diese seien beim Aufbruch zu ei­
nem geplanten (allerdings dann nie
ausgeführtenȌ Feldzug abgebildet, bei
dem sie ihre militärische virtus und
damit ihre Befähigung unter Beweis
stellen sollten.
Neben dieser vordergründigen sieht
Heinlein dann noch eine weitere, alle­
gorische Ebene auf dem Kameo, indem
sie in der oberen Bildhälfte in der
schwebenden Gestalt den in das Stern­
bild Aquarius ȋWassermannȌ verwan­
delten Ganymed ȋNr. ͳ͵Ȍ, in Pega­
sus das gleichnamige Sternbild und in
Amor / Cupido ȋNr. ͳͶȌ das Sternbild
Pisces ȋFischeȌ ausmacht. Auch die
noch lebenden Mitglieder der domus
Augusta deutet sie als Verweise auf wei­
tere Sternbilder, wobei dem Kaiser als
Vertreter Iupiters die Rolle des Kosmo­
krators auf Erden zukomme. Sol che vo­
raussetzungsreiche und komplizierte
Anspielungen dürfte allerdings kaum
ein antiker Betrachter verstanden ha­
ben.

Die Gemma Claudia
Aus mit Blumen und Früchten reich
geschmückten Doppelfüllhörnern als
Zeichen von Reichtum, Fülle und Wohl­
stand entspringen links und rechts ge­
staffelte Porträts ȋAbb. ͸Ȍ. Es handelt
sich dabei links um Kaiser Claudius
ȋreg. Ͷͳ–ͷͶ n. Chr.Ȍ und seine Ehefrau
Agrippina d. J., rechts um deren Eltern
Germanicus, den Bruder des Claudius,
und Agrippina d. Ä. Claudius und Ger­
manicus sind ähnlich dargestellt und
tragen beide den Eichenlaubkranz
(corona civicaȌ. Der Kaiser wird aller­
dings durch zwei Attribute Iupiters,
die Ägis und den Adler, der sich zu

Abb. ͸ Die Gemma Claudia.


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