Spektrum der Wissenschaft Spezial - Biologie Medizin Hirnforschung Nr3 2017

(Ann) #1

In­vitro­Fertilisation solche Embryonen abgetötet werden,
die beim obligatorischen Screening vor der Einnistung
genetische Risikofaktoren für verheerende Krankheiten
zeigen. »Ich denke, die genetische Manipulation von
Samenzellen würde niemanden besonders stören«, sagt
er. »Dabei sterben schließlich keine Embryonen.«
Zwei naheliegende Ziele, so fügt Church hinzu, wären
einerseits verschiedene durch ein einzelnes Gen verur­
sachte Erkrankungen wie die Tay­Sachs­Krankheit
und andererseits eben die männliche Unfruchtbarkeit.
»Ich glaube, dass es schon bald mehrere klinische
Behandlungsmethoden mittels Gentherapie gegen
Unfruchtbarkeit geben wird«, prophezeit Church. Wie
bald? »In den nächsten paar Jahren. Es wäre sehr schwer,
da zu widerstehen.«


So genannte Nacktmäuse ähneln einem Hodensack
mit Augen und Füßen
Der Korridor zu Orwigs Arbeitszimmer führt ein paar
Schritte weiter zu einem Komplex von Räumen, in denen
Hunderte von Mäusen untergebracht sind. Um ihn be­
treten zu können, muss man Laborkittel, Gummistiefel
und Gesichtsmaske anlegen – nicht damit man sich nicht
bei den Mäusen ansteckt, sondern damit diese sich
nichts vom Besucher einfangen. Viele Käfige beherbergen
so genannte Nacktmäuse: rosafarbene, runzelige, kleine


Nagetiere, die einem Hodensack mit Augen und Füßen
ähneln. Auf Grund eines Gendefekts fehlen ihnen nicht nur
die Haare, sondern sie haben auch ein beeinträchtigtes
Immunsystem und tolerieren deshalb verpflanzte Zellen
anderer Spezies, beispielsweise menschliche Spermato­
gonien mit Mutationen. Auf diese Weise versuchen For­
scher die biologischen Grundlagen männlicher Unfrucht­
barkeit besser zu verstehen.
Durch solche Räume wird der Weg zur Keimbahnmo­
difikation bei Menschen verlaufen. CRISPR macht da­
bei die Arbeit effizienter, aber eigentlich kann man die
Gene Spermien produzierender Zellen schon seit mehr als
20 Jahren verändern: Orwigs Mentor, der Biologe Ralph
Brinster von der University of Pennsylvania, führte 1994
die ersten entscheidenden Experimente dazu durch.
Männliche Unfruchtbarkeit kann viele Ursachen haben,
darunter schlichte Verstopfung der Samenleiter und Aus­
setzer im komplizierten Prozess der Spermienbildung. In
vielen Fällen produzieren die Betroffenen aber einfach
überhaupt keine Samenzellen. Von dieser nichtobstruk­
tiven Azoospermie sind laut Orwig allein in den USA
rund 350 000 Männer betroffen.
Mit der ausbleibenden Spermienproduktion wurden
mehrere Gene in Verbindung gebracht, darunter tex11 und
sohlh1. Solche Fälle bilden den Hintergrund für das Expe­


riment, das Orwig gern anstellen würde. Der Forscher
möchte bei unfruchtbaren Mäusen mit einem solchen
Gendefekt die Spermien bildenden Stammzellen aus den
Hoden entnehmen und das Problem mit den neuen Gen­
Editing­Methoden beseitigen.
Wenn sich die veränderten Zellen im Labor ausreichend
stark vermehrt haben und auf die korrekte Modifikation
hin überprüft wurden, kann man sie wieder in die Hoden
der Tiere zurückverpflanzen. Derartige Versuche benötigen
keine raffinierten molekularbiologischen Tests zur Erfolgs­
kontrolle: Eine gelungene Reparatur erkennt man schon
nach wenigen Monaten, sobald die zuvor unfruchtbaren
Männchen Vater werden.
»Schon seit 25 Jahren verpflanzen wir Stammzellen
bei fast allen biologischen Arten – bei Mäusen, Ratten,
Hamstern, Schafen, Ziegen, Schweinen und Affen«, sagt
Orwig. »Das repräsentiert einen ziemlich breiten Aus­
schnitt aus der Evolution, und soweit wir wissen, ist bei all
diesen Tieren nie etwas schiefgegangen.« Deshalb
ist Orwig optimistisch, dass man durch Genveränderung
in den Stammzellen von Mäusen auch Unfruchtbarkeit
heilen kann.
Das würde allerdings die genannte rote Linie der dauer­
haften Keimbahnveränderung überschreiten. Zwar beab­
sichtigt Orwig nicht, in seinem Pittsburgher Labor ein
solches Experiment an Menschen anzustellen. Dennoch
dürfte eine erfolgreiche vorklinische Erprobung an Mäusen
und Primaten entsprechende Versuche im privatwirt­
schaftlichen Bereich anstoßen.
Natürlich stünde das Entwickeln eines solchen klini­
schen Therapieverfahrens vor beträchtlichen technischen
Hürden. So müsste man menschliche Spermatogonien
lange genug am Leben halten, damit man die richtigen
Zellen für die Transplantation auswählen kann – und das ist
bis heute keine einfache Aufgabe. Aber immerhin stellen
die männlichen Stammzellen ein stabileres Ziel dar als
Embryonen, die sich laufend weiterentwickeln und sich
dabei schnell verändern. Beispielsweise berichteten die chi­
nesischen Wissenschaftler, die Gene von Embryonen mit
CRISPR abwandeln wollten, über unerwünschte Muta­
tionen und so genannte Mosaike – dass also nur ein Teil
der Zellen der Embryonen modifiziert waren. Außerdem
kann man bei Stammzellen die veränderte DNA erst einmal
überprüfen, bevor man den Schritt zum Embryo macht.

Die rote Linie wird man in privaten Fruchtbarkeits-
kliniken irgendwo in der Welt überschreiten
Und dann wären da noch die politischen und juristischen
Hürden (siehe auch »Die Gen­Editing­Debatte in Deutsch­
land«, S. 24/25). Die National Institutes of Health dürfen
keine Forschungsarbeiten finanzieren, in deren Rahmen
menschliche Embryonen zerstört werden. Orwigs geplan­
ten Tierversuch auf den Menschen zu übertragen, würde
dieses Verbot zwar umgehen, könnte aber unter eine
Einschränkung fallen, die das US­Repräsentantenhaus
zwei Wochen nach dem erwähnten Gipfeltreffen zur
Genveränderung erließ. In zwei Sätzen, die sich in dem
2009 Seiten starken Ausgabenbudget für 2015 verstecken,
verbot der Kongress medizinische Eingriffe, die genetisch

Einen Erfolg erkennt man


schon bald: wenn die


Männchen Vater werden

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