Spektrum der Wissenschaft Spezial - Biologie Medizin Hirnforschung Nr3 2017

(Ann) #1

veränderte Embryonen in irgendeiner Form involvieren.
Die Formulierung untersagt zwar nicht ausdrücklich
das Manipulieren von Keimzellen, könnte aber dennoch
die Entwicklung aus juristischen Gründen um Jahre ver­
zögern.
Mit seinen Versuchen an Mäusen würde Orwig noch
nicht gegen das US­amerikanische Gesetz verstoßen – sie
wären nur ein kleiner Schritt in Richtung Keimbahnmodi­
fikation. Das tatsächliche Überqueren des Rubikon dürfte


sich in privaten Fruchtbarkeitskliniken irgendwo in der
Welt abspielen, die eine lange (und teilweise unrühmliche)
Erfahrung damit haben, neue Reproduktionstechnologien
voranzutreiben. Das könnte etwa in China geschehen oder
in Großbritannien, wo die Regierung das klinische Erpro­
ben einer Form der Keimbahnmodifikation namens Mito­
chondrien­Ersatztherapie abgesegnet hat und im Februar
2016 auch Genveränderungsexperimente an menschlichen
Embryonen genehmigte.
In den Vereinigten Staaten wird es wahrscheinlich nicht
passieren, solange Öffentlichkeit und Politik die Keimbahn­
modifikation nicht aufgeschlossener betrachten – aber auf
diesen Tag bereitet sich Orwig bereits vor. Derzeit sind die
Einstellungen zum Thema sehr kompliziert und wider­
sprüchlich. Einer Mehrheit der US­Amerikaner gefällt der
Gedanke nicht, Gene in Embryonen oder auch in Keimzel­
len zu verändern, besagt eine Analyse von 17 Meinungs­
umfragen im »New England Journal of Medicine«. Aber
paradoxerweise sprechen sich die meisten Menschen
durchaus für Genveränderungen bei Erwachsenen aus,

Die Gen-Editing-Debatte in Deutschland


Die CRISPR/Cas­Methode ermöglicht DNA­Manipula­
tionen von bislang unbekannter Präzision. Auch an
Zellen menschlichen Ursprungs experimentieren For­
scher damit bereits weltweit. Einer Veränderung
menschlicher Keimbahnzellen stehen in Deutschland
derzeit beachtliche juristische und ethische Hürden
entgegen.
International liegt die Hemmschwelle wesentlich
niedriger, zumal wenn es um Eingriffe in die Spermien­
DNA geht. Die jüngsten Versuche, über das Gen­
Editing an Spermien etwa einen bestimmten Typ
männlicher Unfruchtbarkeit zu therapieren, könnten
auch hier zu Lande der Keimbahntherapie eine Hinter­
tür öffnen. Zu welchen Anpassungen wird der sich
rasant entwickelnde biotechnologische Fortschritt in
Deutschland führen?

Juristische Hürden sind erfahrungsgemäß flexibel.
Das deutsche Embryonenschutzgesetz (ESchG) von
1990 bietet auf den ersten Blick allerdings kaum
Ermessensspielräume. Es soll das missbräuchliche
Anwenden der In­vitro­Fertilisation zum Erzeugen
menschlicher Embryonen verhindern. Die künstliche
Befruchtung wird nur gestattet, um eine Schwanger­
schaft herbeizuführen; andere Verwendungen – etwa
zu Forschungszwecken – sind weitgehend ausge­
schlossen. Wer Erbinformationen menschlicher Keim­
bahnzellen verändert oder humane Keimzellen klont,
dem drohen in Deutschland bis zu fünf Jahre Gefäng­
nis oder hohe Geldstrafen.

Der Gesetzgeber hat hier zu Lande aber versucht,
sowohl die Komplexität der medizinischen Praxis zu
berücksichtigen als auch die Freiheit der Forschung zu
gewährleisten: An menschlichen Keimzellen, die nicht
zur Befruchtung bestimmt sind, oder an körpereigenen
Zellen, für die keine Übertragung vorgesehen ist, sind
Erbgutmanipulationen durchaus erlaubt. Straffrei
bleiben zudem unbeabsichtigte Veränderungen, etwa
infolge von Impfungen sowie von Strahlen­ oder
Chemotherapie.
Welche praktischen Konsequenzen sich im Einzelfall
aus dem Embryonenschutzgesetz ergeben, ist oft
umstritten, denn die Forschung betritt immer wieder
Neuland. So etwa bei der Einführung der Präimplanta­
tionsdiagnostik (PID) in den frühen 1990er Jahren: Ein
Urteil des Bundesgerichtshofs machte 2010 deutlich,
dass die Präimplantationsdiagnostik in manchen Fällen
nicht nach dem Embryonenschutzgesetz bestraft
werden könne, da sich diesem zum einen nicht mit
Bestimmtheit entnehmen lasse, dass die PID verboten
sei. Zum anderen konnte der Gesetzgeber 1990 die sich
gerade erst entwickelnde PID noch nicht vor Augen
gehabt haben.
2011 kam es daher zur Novellierung des Gesetzes:
Nach § 3a ESchG ist seither die Präimplantationsdia­
gnostik innerhalb enger Grenzen zulässig, etwa zur
Vermeidung schwer wiegender Erbkrankheiten. Ver­
gleichbares ist zu erwarten, sobald sich die CRISPR/
Cas­Methode anderenorts auf Grund erster Erfolge zu
etablieren beginnt.

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FOTOLIA / FRENTA
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