Spektrum der Wissenschaft Spezial - Biologie Medizin Hirnforschung Nr3 2017

(Ann) #1

GESELLSCHAFT


REICHE WELT – ARME WELT


Im Jahr 2050 werden sich fast zehn Mil liarden Menschen die Ressourcen
der Erde teilen müssen. Dabei stagniert und altert die Bevöl kerung in
den wohlhaben den Industrienationen, während in den Entwicklungsländern
immer mehr Jugendliche nach Bildung und Arbeit verlangen.

Mara Hvistendahl schreibt regelmäßig für das
Wissenschaftsmagazin »Science« und ist
Autorin des Buchs »Das Verschwinden der
Frauen: Selektive Geburtenkontrolle und die
Folgen«, dtv, München 2013.

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Lena und Saheed werden einander wahrscheinlich
nie begegnen. Lena lebt 2050 in Leipzig, einer
beschau lichen und malerischen Stadt, unter quali­
fizierten Berufstätigen mittleren Alters. Die 51­jährige
Pharmazeutin wird erst in gut 20 Jahren das Rentenalter
erreichen. Lena und ihr Ehemann müssen ihr einziges
Kind nicht mehr unterstützen: Die Tochter hat kürzlich ein
Studium abgeschlossen. Dagegen bereitet ihnen die
Aussicht Sorge, dass ihre eigenen hochbetagten Eltern
Pflegefälle werden könnten, wobei diese derzeit aber
bei recht guter Gesundheit sind.

Saheed ist mit 22 noch ledig und arbeitslos. Er haust
mit drei Geschwistern in einem heruntergekommenen
Slum am Rand von Lagos, der größten Stadt Nigerias. Hier
herrschen ganz andere Probleme: Scharen junger Leute
drängen auf den Arbeitsmarkt; Wohnraum und sauberes
Wasser sind Mangelware.
Lena fürchtet sich vor chronischen Altersleiden, Saheed
wird eher an Malaria erkranken. Deutschland hat Mühe,
seine Renten­, Gesundheits­ und Versorgungssysteme an
eine schrumpfende und alternde Bevölkerung anzupassen.
Nigeria kommt kaum damit nach, Straßen, Schulen und
medizinische Einrichtungen für seine aus allen Nähten
platzenden Städte zu bauen.
Obwohl Lena und Saheed in grundverschiedenen
Welten leben, verkörpert das fiktive Duo in vieler Hinsicht
die Zukunft. Im Lauf der nächsten Jahrzehnte wird sich
die ungleiche Verteilung der Bevölkerung in nie gekann­
ter Weise zuspitzen. Das zwingt Regierungen und inter­
nationale Organisationen, neue Wege zum Schutz von
Gesundheit und Wohlbefinden aller Menschen zu beschrei­
ten. Heute getroffene Maßnahmen entscheiden darüber,
in welcher Welt Lena und Saheed leben werden.
Vor rund 50 Jahren fixierte sich die öffentliche Aufmerk­
samkeit auf einen einzigen Globaltrend: schiere Größe.
1968 warnte der US­Biologe Paul R. Ehrlich in seinem Best­
seller »The Population Bomb«, rapides Bevölkerungs­

In den Riesenstädten der Schwellenländer – hier
São Paulo (Brasilien) – existieren krasse Armut
und verschwenderischer Reichtum Tür an Tür.

AUF EINEN BLICK
ZWEI DEMOGRAFISCHE ÜBERGÄNGE

1


Die Weltbevölkerung wächst langsamer – aber
sie wächst. Dabei verteilt sich die Zunahme höchst
ungleich auf verschiedene Regionen der Erde.

2


Weil in hochindustrialisierten Ländern die Geburten­
rate sinkt und das Durchschnitts alter steigt, wird
in einem Staat wie Deutschland die wirtschaftliche
Dynamik abnehmen.

3


In den Entwicklungsländern drängen wachsende
Scharen junger Menschen in die Städte. Dieser
demografi sche Übergang gefährdet die politische
Stabilität und droht die soziale Infrastruktur zu über­
fordern.
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