Study in Indien. Laut ihren vorläufigen Resultaten für
2010 tötet die Malaria in Indien mindestens zehnmal
mehr Menschen, als die WHO angibt, die sich vorwie
gend auf Krankenhausdaten stützt und dadurch viele
daheim Sterbende übersieht.
Die zweite Art, fehlende Daten zu ergänzen, nutzt
bekannte Muster für spezielle Krankheiten, Verletzungen
und Risikofaktoren. Zum Beispiel grassiert die Malaria
während oder kurz nach der Regenzeit am stärksten;
Krebs tritt mit zunehmendem Alter häufiger auf; Aids ist
besonders verbreitet in den Nachbarländern von Staaten
mit vielen HIVPositiven. Auf Grund solcher Zusammen
hänge lässt sich von statistisch gut erfassten Weltregionen
auf Gebiete mit lückenhaften Daten schließen.
»Unsere Datenbank umfasst 200 gut bekannte Varia
ble«, sagt Vos, »vom Breitengrad über Bevölkerungsdichte
und Niederschlag bis zum Konsum von Zigaretten und
Verzehr von Schweinefleisch.« Das System erzeugt unzäh
lige Kombinationen von Werten für diese Variablen, füttert
damit zahlreiche unterschiedliche mathematische Modelle
und stellt fest, welche Kombination eine bestimmte Krank
heit am besten vorhersagt. Dieser Ansatz, die so genannte
Ensemblemodellierung, wird meist bei der Wettervorher
sage verwendet, aber auch im Finanz und Versicherungs
wesen. Viele Epidemiologen scheuen allerdings den enor
men Rechenaufwand, meint Vos.
Das GBDProjekt verfolgt jetzt mehr als 1000 Gesund
heitsindikatoren für 188 Länder über 25 Jahre hinweg und
überprüft sie anhand von 20 bis 40 statistischen Modellen.
Das Team lässt jedes Modell 1000mal laufen, wobei die
InputDaten in einem plausiblen Rahmen variieren, damit
Fehlerbereiche abgesteckt werden können. Im Supercom
puter des IHME brauchen 12 000 Hochleistungsprozes
soren vier ganze Tage, um einen einzigen Schnappschuss
des Planeten fertig zu stellen – ein Gesundheitszeugnis für
die Menschheit.
»Schon die Tatsache, dass jemand diese Zahlen veröf
fentlicht und ihnen Fehlermargen zuweist, präzisiert die
Diskussion«, betont Gates. »Seit das IHME einen zentralen
Datenspeicher anbietet, muss man nicht mehr Hunderte
von Artikeln lesen und versuchen, sich selbst ein Bild zu
machen. Über bestimmte Zahlen lässt sich streiten, aber
wenn die Methode im Prinzip stimmt, wird entweder da
und dort die Fehlermarge präzisiert oder eine neue Unter
suchung den Kenntnisstand verbessern.«
Unerwartete Ergebnisse
Die erste Veröffentlichung von GBDZahlen im Jahr 2012
verstörte einige Länder, die sich viel auf ihre Krankheits
statistiken zugutehalten. Zum Beispiel waren die Verant
wortlichen in Großbritannien überrascht, dass die Gesund
heit der Briten hinter der ihrer europäischen Nachbarn
Eine Stiftung zur Erforschung der globalen Gesundheit
Die Bill & Melinda Gates Foundation finanziert unter anderem das Institute
for Health Metrics and Evaluation (IHME) und dessen Langzeitstudie
namens Global Burden of Diseases, Injuries, and Risk Factors Study (GBD).
Autor W. Wayt Gibbs sprach mit Bill Gates darüber.
Gibbs: Sie haben Christopher
Murray geholfen, unabhängig von
der Weltgesundheitsorganisation
WHO eine Statistik der weltweiten
Krankheiten zu erarbeiten. Warum
kam es dazu?
Gates: Ich traf Chris 2001, als er
für die WHO erstmals eine Rang
ordnung der nationalen Gesund
heitssysteme aufstellte. Einige
Länder sträubten sich dagegen,
weil sie mit ihrer Einstufung nicht
einverstanden waren. Um ein
zuverlässiges Bild des Gesund
heitszustands vor allem der armen
Länder zu gewinnen, gaben wir
der University of Washington Geld
für die Gründung des IHME.
Gibbs: Aber die WHO und andere
UNOOrganisationen sammeln und
publizieren doch schon viele
Gesundheitsstatistiken aus aller
Welt. Warum ist es nötig, eine
separate Initiative zu starten, die
dasselbe Ziel verfolgt?
Gates: Die WHO leistet wichtige
Arbeit, aber sie gehört zur UNO,
und das schafft gewisse Probleme.
Als Chris innerhalb der WHO eine
Rangordnung der Länder aufstel
len wollte, erwies sich nicht nur
die Finanzierung, sondern auch die
Konfliktbereitschaft der WHO als
unzureichend. Sie musste ja Län
dern, die zu ihren Geldgebern
gehören, schlechte Noten geben.
Gibbs: Wie sehen Sie die globale
Gesundheit unserer Spezies?
Sind wir alles in allem gesünder
als vor 20 Jahren?
Gates: Unbedingt. Das ist eine
unglaubliche Erfolgsgeschichte.
Leider bekommt eine gute Nach
richt ohne Bösewicht nur schwer
die verdiente Aufmerksamkeit.
Schauen Sie nur nach Vietnam,
Kambodscha, Sri Lanka, Ruanda,
Ghana – praktisch alle anste
ckenden Krankheiten gehen zu
rück. Die einzige Infektionskrank
heit, die trotz unserer Bemü
hungen zunimmt, ist das Dengue
fieber. Allerdings wächst die Bürde
der nicht ansteckenden Krank
heiten in den Entwicklungslän
dern. Es gibt eine Diabetesepide
mie, eine Explosion der Gesund
heitskosten. Doch global gesehen
hat es in den letzten 20 Jahren
enorme Fortschritte gegeben.