Spektrum der Wissenschaft Spezial - Biologie Medizin Hirnforschung Nr3 2017

(Ann) #1

GEOLOGIE


EINE VIELSCHICHTIGE


ANGELEGENHEIT


Der Mensch verändert die Erde tief greifend und hinterlässt da-
bei Spuren, die noch in vielen Jahrmillionen klar in den Gesteins-
schichten erkennbar sein werden. Geologen zufolge sind wir
damit in einen neuen Abschnitt der Erdgeschichte eingetreten:
das Anthropozän.

Jan Zalasiewicz ist Professor für Paläobiologie an der University of Leicester in England
und Vorsit zender der Arbeitsgruppe Anthropozän der Internationalen Kommission für
Stratigrafie. Sein besonderes Interesse gilt den Graptolithen, einer ausgestorbenen Gruppe
polypenähnlicher mariner Tiere.

 spektrum.de/artikel/1420973


Es war nur eine Formulierung aus dem Stegreif, doch
sie prägte eine neue geowissenschaftliche Bezeich­
nung. Im Jahr 2000 nahm Paul Crutzen – niederlän­
discher Meteorologe und Träger des Nobelpreises für
Chemie – in Mexiko an einem Symposium teil. Dort dis­
kutierten Experten über globale Umweltveränderungen
im Holozän, jenem erdgeschichtlichen Abschnitt, der vor
11 700 Jahren begann und bis heute andauert. Crutzen,
der mit seiner These berühmt geworden war, ein großer
Atomkrieg könne einen nuklearen Winter auslösen und
alles tierische und pflanzliche Leben auslöschen, wurde
sichtlich immer ärgerlicher. Schließlich platzte es aus ihm
heraus: »Nein! Wir sind nicht mehr im Holozän. Wir sind
im ...«, er dachte einen Moment lang nach, »... Anthro­
pozän!«. Im Saal wurde es still. Crutzen hatte offensicht­
lich einen Nerv getroffen. Im weiteren Verlauf der Ta­
gung kam der Begriff immer wieder zur Sprache.
Wirklich neu war die Bezeichnung zwar nicht: Der
Kieselalgenforscher Eugene F. Stoermer hatte sie schon
einige Jahre zuvor benutzt, und die Begriffe Anthropozo­
ische Ära und Anthropozoikum stammen sogar aus dem


  1. Jahrhundert. Nach dem erwähnten Symposium je­
    doch, als der renommierte und eloquente Crutzen gemein­
    sam mit Stoermer einen einschlägigen Artikel verfasste,
    begann sich die Bezeichnung unter tausenden Wissen­
    schaftlern zu verbreiten. Die Anzeichen für einen neuen
    Abschnitt der Erdgeschichte seien eindeutig, argumen­
    tierten die beiden Autoren in ihrem Aufsatz: Seit Beginn


der Industrialisierung habe der Mensch die Zusammen­
setzung der Atmosphäre und Ozeane verändert sowie die
Landschaft und die Biosphäre maßgeblich beeinflusst.
Der Mensch bestimme ganz wesentlich den aktuellen Zu­
stand der Erde, welcher sich von früheren Epochen deut­
lich unterscheide. Crutzens und Stoermers Artikel be­
wirkte, dass der Begriff Anthropozän von nun an überall
auf der Welt in der wissenschaftlichen Fachpresse auf­
tauchte.
Doch greift der menschengemachte Wandel wirklich
derart tief, dass er Spuren in Gesteinsschichten rund um
den Globus hinterlässt – dass er also mit stratigrafisch
erfassbaren Veränderungen einhergeht und eine neue
geochronologische Epoche begründet? Stoßen wir Men­
schen wirklich Ereignisse an ähnlich jenen, die sich zwi­
schen 18 000 und 8000 Jahren vor heute abspielten,
während des Übergangs vom Pleistozän zum Holozän? Als
ausgedehnte Gletscher abschmolzen, die zuvor große Teile
der Erdoberfläche bedeckt hatten, so dass der Meeres­
spiegel um rund 120 Meter anstieg? Reicht der Einfluss des
Menschen tatsächlich so weit wie der jener Prozesse, die

UNIVERSITY OF LEICESTER

So gut erhalten wie auf diesem Foto dürften un-
sere Hinter lassenschaften in Millionen von
Jahren nicht mehr sein. Gleichwohl wird man
sie in den Sedimenten nachweisen können.
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