Spektrum der Wissenschaft Spezial - Biologie Medizin Hirnforschung Nr3 2017

(Ann) #1

wie Oxiden, Karbonaten oder Silikaten vor, abgesehen von
wenigen Ausnahmen, etwa Gold. Aus diesen Verbin­
dungen trennt der Mensch sie heute in riesigen Mengen
heraus. Aluminium beispielsweise ist seit dem Zweiten
Weltkrieg in einer Menge von mehr als 500 Millionen
Tonnen gewonnen worden – genug, um ganz Europa mit
Metallfolie zu bedecken. Milliarden Getränke­ und Kon­
servendosen, Haushaltsgeräte, weggeworfene Aluminium­
folie und anderer Schrott liegen heute überall in der Land­
schaft und auf Müllhalden herum. Reines Aluminium
wird also zunehmend zum Bestandteil frischer Sediment­
schichten – ein klares Unterscheidungsmerkmal zu ver­
gangenen Epochen.


In der Plastikära
Eine der drastischsten Veränderungen in der minera­
lischen Zusammensetzung der Gesteine erfolgte vor etwa
2,5 Milliarden Jahren. Damals reicherte sich die Erdatmo­
sphäre mit Sauerstoff an, und es entstanden massenhaft
Oxide und Hydroxide, unter anderem Rost. Der Mensch
verursacht heute ähnlich gravierende Umwälzungen,
indem er mineralische Verbindungen herstellt und frei­
setzt, die zuvor in diesen Mengen nicht vorkamen. Dazu
gehört Wolframkarbid, ein Bestandteil von Werkzeugen
und Kugelschreibern. Besonders bemerkenswert sind die
so genannten Mineraloide: mineralähnliche, aber nicht­
kristalline Stoff wie Glas oder Plastik. Vor dem Zweiten
Weltkrieg waren Kunststoffe nur in wenigen Erzeugnissen
zu finden, zu nennen sind hier Schellack, Bakelit und
Viskosefasern. In der Nachkriegszeit jedoch schnellte ihr
Gebrauch rasant in die Höhe. Heute stellt die Menschheit
jährlich rund 300 Millionen Tonnen Kunststoffe her – etwa
so viel wie die Körpermassen aller Menschen zusammen­
genommen. Die Haltbarkeit, die wir an Plastik so schätzen,
bedeutet, dass diese Stoffe viele, viele Jahre lang in der
Umwelt verweilen werden – an Land wie in den Ozeanen.


Plastikmüll hinterlässt im terrestrischen Untergrund
bereits sehr deutliche Spuren. Eine noch größere geolo­
gische Bedeutung hat er jedoch in den Meeren. Dort
nehmen Tiere die Kunststoffe häufig mit der Nahrung auf,
und wenn sie sterben, lagern sich die synthetischen Ver­
bindungen mit ihren Kadavern im marinen Sediment ab,
ein erster Schritt zur Fossilisation. Sehr wichtig dabei ist
das mit bloßem Auge meist nicht sichtbare Mikroplastik,
das beispielsweise in Form synthetischer Textilfasern
vorliegt. Weit, weit draußen im Meer, fern jeder Küste,
finden Wissenschaftler inzwischen auf jedem Quadratme­
ter Meeresboden Tausende dieser Fasern.
Auch in Form künstlicher Gesteine, allen voran Beton,
verewigt sich der Mensch überall. Bis heute haben wir
etwa eine halbe Billion Tonnen davon hergestellt, das
entspricht einem Kilogramm auf jeden Quadratmeter der
Erdoberfläche. Aus Beton bestehen sowohl Gebäude als
auch Straßen und Staudämme, und in Form von Bruchstü­
cken macht er einen erheblichen Anteil des Untergrunds
von Städten aus. Zusammen mit Ziegeln und Keramik ist
Beton damit ein Leitgestein des Anthropozäns. Zudem
verteilen wir große Teile der Erdkruste ständig um, indem
wir landwirtschaftlich genutzte Böden umgraben oder
Baugruben anlegen. Dadurch bewegen wir heute mehr Se­
diment als Flüsse und Wind zusammengenommen.
Metalle, Kunststoffe und Beton lagern sich aber nicht
nur direkt in den globalen Gesteinsschichten ab. Auch ihre
Herstellung, einhergehend mit dem Verfeuern großer
Mengen fossiler Brennstoffe, erzeugt eine weltweite
chemische Signatur – in Form von Verbrennungsproduk­
ten, die sich in Sedimenten anreichern. Der Kohlenstoff­
dioxidgehalt der Atmosphäre steigt seit der industriellen
Revolution 100­mal schneller als zu Beginn des Holozäns,
als sich die Gletscher zurückzogen. Das Treibhausgas wird
für lange Zeit in den Luftbläschen der polaren Schnee­ und
Eiskappen eingeschlossen.

PRESSDIGITAL / GETTY IMAGES / ISTOCK

Berge von Kunststoff,
wie hier auf einer
Müllhalde, werden
dauerhafte Spuren in
der Erdkruste hinter-
lassen – ebenso wie
die Betonwüste
New Yorks.
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