Stau, Lärm und Abgasbelastungen in den Innenstäd
ten lassen sich mit Hilfe von verkehrsberuhigten Bereichen
reduzieren, ebenso mit Maut oder Sperrzonen, wie das
Beispiel vieler Metropolen schon heute zeigt. Vermutlich
werden künftige Stadtplaner diese Bereiche noch deutlich
ausweiten. Der Rückbau autofreundlicher Infrastruktur in
den Stadtkernen ist zwar umstritten. Er birgt aber viel
Potenzial, um den öffentlichen Raum zu gestalten, und
erlaubt zudem, gemeinsam genutzte Verkehrsbereiche mit
gleichberechtigten Teilnehmern wiederzubeleben. Heute
spricht man von »shared space«, doch das Konzept dahin
ter ist alt. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts entsprach es
täglicher Realität, die städtischen Zonen mit unterschied
lichsten Fortbewegungsmitteln zu nutzen. Damals war es
normal, dass sich Bollerwagen, Omnibusse und Fußgän
ger gleichzeitig zwischen den Gleisen der Pferdebahn oder
der Elektrischen tummelten. Der Primat des Autoverkehrs
kam erst später und ist insofern alles andere als selbstver
ständlich.
Stadt selber machen
Die neuen digitalen Kommunikationsformen haben unter
anderem zur Folge, dass immer mehr Bürger sich nicht
länger nur als Konsumenten staatlicher Leistungen verste
hen, sondern ihr Lebensumfeld aktiv mitgestalten wollen.
Der Dialog zwischen Bevölkerung, Wirtschaft, Verwaltung
und Stadtplanung bringt neue informelle Netzwerke hervor
und ermöglicht den Bürgern eigene stadtplanerische Pro
jekte. So werden Anwohnerinitiativen über Crowdfunding
künftig vermehrt eigenes Kapital in die Gestaltung der Wohn
gebiete einbringen, was ihnen mehr Mitspracherecht bei der
Stadtentwicklung verschafft. Die soziale Bewegung »Stadt
selber machen« (um einen einschlägigen Buchtitel aufzu
greifen) zielt auf eine Emanzipation von behördlichen Nut
zungs und Verhaltensvorgaben. Sie bringt nicht nur die
bereits erwähnten UrbanGardeningProjekte hervor, son
dern auch Kooperativen zur selbstbestimmten Ernährung
oder zum alternativen kulturellen und sozialen Austausch.
Die Erkenntnis, dass solche Initiativen sehr wichtig sind
und gefördert werden sollten, indem die Bürger mehr
Mitsprache bekommen, hat sich bei den meisten kommu
nalen Stadtverwaltungen noch nicht durchgesetzt. Und
dies, obwohl es politisch unumstritten von Vorteil ist,
Anwohner als »Alltagsexperten« an der Stadterneuerung
zu beteiligen. Es hat sich vielmehr immer deutlicher ge
zeigt, dass die hoheitliche Stadtplanung bei Infrastruktur
Großprojekten kaum mehr zwischen Gemeinwohl, Inves
toreninteressen und den Anliegen einzelner Bevölkerungs
gruppen vermitteln kann. Ob es ihr künftig gelingen wird,
sich der Bürgerschaft stärker zuzuwenden, ist offen.
Jedenfalls braucht es dafür mehr Mut seitens der politi
schen lokalen Akteure.
Behördliche, unternehmerische und zivilgesellschaft
liche Interessen auszugleichen, wird auch deshalb eine
große Herausforderung sein, weil global agierende Unter
nehmen heute zunehmend die urbane Entwicklung prä
gen. Solche Tendenzen gab es bereits im 16. Jahrhundert
und insbesondere in der Gründerzeit des 19. Jahrhunderts,
als große Firmen Arbeitersiedlungen und die zugehörigen
Infrastrukturen bauen ließen. Auch heute wieder errichten
Unternehmen wie Siemens, IBM oder Cisco neue Stadt
quartiere. Sie nutzen dabei den Umstand, dass die lokale
Politik auf Grund finanzieller Engpässe und oft geringer de
mokratischer Legitimation an Einfluss verloren hat.
Solche Firmen haben ein großes Interesse am Einzug
von Digitaltechniken in den häuslichen Bereich, da diese
sich einerseits lukrativ vermarkten lassen und andererseits
viel Kontrolle ermöglichen. Siemens & Co. erproben ihre
Stadtquartiere als Labor für die Gesellschaft (»Urban
Living Labs«), etwa um verhaltensangepasste Optimie
rungen vorzunehmen. Ein Beispiel hierfür ist das Entwick
lungsgebiet Seestadt Aspern in Wien: Hier werden in drei
Gebäudekomplexen verschiedene Größen wie Stromver
brauch, Zimmertemperatur und Raumluftqualität erfasst.
Dies dient unter anderem dazu, Beleuchtung, Heizung und
Wasserverbrauch von jedem Ort aus zu regeln. Das Ver
fahren erlaubt zwar, Energieeffizienz und Wohnkomfort zu
verbessern, generiert aber jede Menge sensibler Daten,
erzeugt einen Druck zu sozial »besserem« Verhalten und
höhlt die Privatsphäre aus. Die Unternehmen wollen mit
solchen städtischen Labors herausfinden, ob sich Tech
niken zur Verbrauchssteuerung wirtschaftlich lohnen.
Die Gestaltung sozialer Prozesse erfordert weit mehr als
Technik, Raum und Verhaltensoptimierung. Sie verlangt
nach einer Antwort auf die Frage: Wie wollen wir zusam
menleben, und wie kann uns das gelingen? Den Freiraum
zu schaffen, um das gemeinschaftlich zu verhandeln, und
sich dabei auch gegen kommerzielle Akteure durchzuset
zen, ist eine wichtige Aufgabe künftiger Stadtplanung.
QUELLEN
Frey, O.: Stadtkonzepte in der Europäischen Stadt: In welcher Stadt
leben wir eigentlich? In: Frey, O., Koch, F. (Hg.): Die Zukunft der
europäischen Stadt – Stadtpolitik, Stadtplanung und Stadtgesell
schaft im Wandel. VS, Wiesbaden 2011, S. 380 – 415
Frey, O.: Die amalgame Stadt – Orte, Netze, Milieus.
VS, Wiesbaden 2009
Frey, O.: Von der »Kreuzberger Mischung« zur wissensbasierten
Stadtgesellschaft. In: Below, S. (Hg.): Die Berliner Bauausstellungen –
Wegweiser in die Zukunft? Regio, Berlin 2009, S. 77– 86
ANDREAS SCHWARZKOPF (COMMONS.WIKIMEDIA.ORG/WIKI/FILE:URBAN_GARDENING_VOR_DEM_THEATER_FREIBURG.JPG) / CC BY-SA 3.0 (CREATIVECOMMONS.ORG/LICENSES/BY-SA/3.0/LEGALCODE)