Der Spiegel - ALE (2022-04-30)

(EriveltonMoraes) #1

10 DER SPIEGELNr. 18 / 30.4.


CHAPPATTES WELT


Schröders


Komplizen


SO GESEHEN Das
ganze Ausmaß der
russischen Infiltration

Während der russische Angriffs-
krieg in der Ukraine andauert,
drohen hiesigen Wegbereitern
Moskaus nun Konsequenzen.
Wegen seiner reuelosen Lobby-
tätigkeit soll etwa Ex-Bundes-
kanzler Gerhard Schröder nach
dem Willen seiner Kritiker mit
EU-Sanktionen belegt werden.
Gut so.
Dann könnte man auch
gleich aufklären, was hinter
den aufschlussreichen Äuße-
rungen Schröders in der »New
York Times« steckt. »Sie haben
das alle mitgemacht in den
letzten 30 Jahren. Und plötz-
lich wissen sie es alle besser«,

hatte er dort jüngst über den
Einkauf von billigem russi-
schen Gas gesagt. Wen meint
Schröder mit »alle«? Hatte der
Kanzler Komplizen?
Offenbar wurden wir jahr-
zehntelang von naiven Mario-
netten Moskaus regiert. Wäh-
rend heute praktisch jeder
schon immer wusste, dass
»Wandel durch Handel« den
russischen Aggressor nur noch
aggressiver macht und dass
statt windelweicher Ent- eine
kernige Anspannungspolitik
richtig gewesen wäre, saßen im
Kanzleramt Leute, die sich ein-
wickeln ließen: mit Abrüstung,

mit dem Abzug aus Deutsch-
land, mit der Wiedervereini-
gung.
Ein Skandalvideo von 2001
zeigt angeblich den versam-
melten Bundestag beim ste-
henden Applaus für den Des-
poten Wladimir Putin. Dabei
kann es sich aus heutiger Sicht
zwar nur um eine Fälschung
handeln, aber womöglich
steckten sogar noch mehr
Deutsche im russischen Sumpf:
Mehr als 30 Millionen mit Gas-
anschluss haben womöglich
von russischen Freundschafts-
preisen profitiert. Sie sollten
sich schämen. Stefan Kuzmany

Schwache


Bürgerbeteiligung


EU-POLITIK Die vor zehn Jah-
ren eingeführte Europäische
Bürgerinitiative (EBI) ist weit-
gehend wirkungslos. Zu diesem
Ergebnis kommt eine von der
Linken im Europaparlament be-
auftragte Studie. Demnach er-
reichten nur 7 von 86 zugelas-
senen Initiativen das nötige
Quorum – insgesamt eine Mil-
lion Stimmen aus einem Viertel
der EU-Mitgliedstaaten. Nur
zwei Initiativen hätten bei der


EU-Kommission Gehör gefun-
den. Das Ziel, Bürger stärker
am demokratischen Leben in
der EU zu beteiligen, habe die
EBI bislang nicht wesentlich
vorangebracht. Mit dem Instru-
ment können EU-Bürger die
Kommission auffordern, neue
Gesetze vorzuschlagen – zu-
mindest theoretisch. Praktisch
scheitert das der Studie zufolge
nicht nur am Stimmenquorum,
sondern auch an den hohen
rechtlichen Hürden. Daher müs-
se der Rechtsschutz für die Ini-
tiatoren dringend verbessert

werden, falls ein Mitgliedstaat
eine Initiative ablehne, heißt es
in der Studie. Die Autoren be-
mängeln zudem die hohen Kos-
ten. Schätzungen zufolge sind
mindestens 100 000 Euro für
eine Initiative notwendig. Die
erfolgreichen Initiativen hätten
im Schnitt sogar 230 000 Euro
investiert. Die EU müsse die
EBI dringend nachbessern, da-
mit Bürgerinnen und Bürger
wirklich EU-Politik gestalten
könnten, fordert der Linken-
Europaabgeordnete Helmut
Scholz. RAN

Spionage für China –
Ehepaar verurteilt
JUSTIZ Wegen Agententätigkeit
für einen chinesischen Nachrich-
tendienst hat das Oberlandes-
gericht München ein deutsches
Ehepaar verurteilt. Klaus L., ein
ehemaliger Referatsleiter für
Internationale Sicherheitspolitik
der CSU-nahen Hanns-Seidel-
Stiftung, erhielt eine Haftstrafe
von zwei Jahren auf Bewäh-
rung, seine Frau Klara K. von
anderthalb Jahren. Der Fall
sorgte 2021 für Schlagzeilen,
weil L. lange Zeit auch für den
Bundesnachrichtendienst ge-
arbeitet hatte. Die Verhandlung
fand teilweise unter Ausschluss
der Öffentlichkeit statt, man
fürchtete eine Gefährdung der
staatlichen Sicherheit. Das
Urteil fiel im Dezember und ist
inzwischen rechtskräftig. Ge-
meinsam arbeiteten die beiden
in einer 2001 von Klaus L. ge-
gründeten Denkfabrik, die es
laut Bundesanwaltschaft »zu
internationaler Bedeutung« ge-
bracht hatte. Während einer
Vortragsreise in Shanghai im
Juni 2010 wurde das Ehepaar
vom chinesischen Geheimdienst
angeworben. Über neun Jahre
hat es »regelmäßig Informatio-
nen« geliefert, wurde dafür
mehrfach samt Rahmenpro-
gramm nach China eingeladen.
Die beiden bekamen zudem
Geld für ihre Dienste. Das Ge-
richt ordnete an, dass diese
»Tat erträge«, also Reisekosten,
Spesen und Honorare, eingezo-
gen werden, in einer Gesamt-
höhe von 60 000 Euro. AKM, MBA
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