Der Spiegel - ALE (2022-04-30)

(EriveltonMoraes) #1

WISSEN


Evolution von Krankheitserregern
rankt.
So verlaufen zwar Infektionen mit
BA.1 und BA.2 milder als solche
mit der Delta-Variante – aber das
muss bei zukünftigen Varianten nicht
so bleiben. Über die sogenannte
Virulenz, sagt Drosten, »können we-
nige Mutationen entscheiden, sodass
es immer auf und ab gehen kann
damit«.
Dass zum Beispiel die genetische
Veränderung, die eine Lungenbetei-
ligung bei einer Infektion mit BA.1
und BA.2 weniger wahrscheinlich
werden lässt, auch wieder verschwin-
den könnte, treibt Ravindra Gupta
um. »Ich mache mir wirklich Sorgen,
dass das passieren könnte«, sagt er.
Das Resultat wäre möglicherweise
ein Virus, das so ansteckend ist wie
Omikron und virulent wie die Delta-
Variante.
Bei BA.4 und BA.5 ist damit zwar
nicht zu rechnen. Doch auch bei die-
sen beiden Varianten ist es noch zu
früh für eine komplette Entwarnung.
»Ich mache mir, was BA.4 und BA.5
betrifft, nicht allzu viele Sorgen«, sagt
zwar de Oliveira, »weder für Süd-
afrika noch für Europa.« Durch
Deutschland sei BA.2 gerollt, das
dürfte für eine gute Immunität auch


gegen die neuen Omikron-Subtypen
sorgen, glaubt der Genetiker.
Forschungsergebnisse des Infek-
tionsbiologen Alex Sigal vom Africa
Health Research Institute in Durban
wecken in Südafrika die Hoffnung,
dass den Menschen darüber hinaus
noch Reste von Schutz gegen eine
Variante zugutekommen könnten, die
in Europa kaum vorkam: Bei seinen
Untersuchungen stellte sich heraus,
dass die Immunität – die einige Süd-
afrikaner noch gegen die Beta-Varian-

te haben – plus Immunisierung mit
dem Biontech-Impfstoff womöglich
gut gegen Omikron schützen. BA.5,
sagt Sigal zudem, könne sich jedoch
als gefährlicher erweisen als BA.1.
Wie es jetzt weitergeht, so Tom
Wenseleers, Evolutionsbiologe an
der Katholischen Universität Leuven,
hänge davon ab, wie sich der Schwe-
regrad der einzelnen Wellen entwi-
ckelt. Im günstigsten Fall werde Sars-
CoV-2 zu einer gewöhnlichen Erkäl-
tung. Im schlimmsten Fall jedoch
könnte die Zahl der Todesopfer noch
einige Zeit lang um ein Viel faches
höher liegen als bei der jährlichen
Grippe.
Auch, dass im Winter noch einmal
eine völlig neue Variante auftaucht,
wollen die Forscher nicht ausschlie-
ßen. Es sei unklar, sagt Emma Hod-
croft, ob Sars-CoV-2 sein gesamtes
Fitnesspotenzial bereits ausgeschöpft
habe. »Außerdem wissen wir nicht,
welche Varianten weltweit noch so
zirkulieren. Unsere Überwachung ist
nicht lückenlos.« Die Menschheit habe
inzwischen gelernt, dass frühe Maß-
nahmen besser sind als abzuwarten.
Für Eckerle steht fest: »Das Virus
ist noch lange nicht fertig mit uns.«
Rafaela von Bredow,
Veronika Hackenbroch n

Epidemiologin
Hodcroft: »Unsere
Überwachung
ist nicht lückenlos«

Roland Schmid / 13 Photo

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