Der Spiegel - ALE (2022-04-30)

(EriveltonMoraes) #1

WISSEN


106 DER SPIEGELNr. 18 / 30.4.2022


A


n einem sonnigen Morgen im April
wirkt der Kaierweg in Emden wie aus-
gestorben. Der Einzige, der das gute
Wetter nutzt, ist ein Mann um die sechzig. Er
fackelt mit einem Gasbrenner Unkraut ab,
das es aus den Fugen seiner gepflasterten Aus-
fahrt geschafft hat. Ab und zu zupft er schwarz
gebrannte Moosreste aus den Ritzen und wirft
sie in ein Eimerchen.
Pflanzen sind am Kaierweg weitgehend
unerwünscht, zumindest in den Vorgärten.
Ein großer Teil der Grundstücke besteht aus
endzeitlich anmutenden Kies- oder Schotter-
flächen, die meisten in Grau, einige in Schnee-
weiß. Blumen wachsen auf den Flächen nur
in Töpfen, auch Sträucher gibt es so gut wie
keine. Für optische Akzente sorgt vor allem
Gartendeko aus dem Baumarkt: knallrote
Häschen etwa, die hinter dicken Steinen ho-
cken; grell glänzende Metallkugeln, die auf
Stielen stecken; das Modell eines Leucht-
turms, das beleuchtet werden kann.
Als »Gärten des Grauens« werden Areale
wie die am Kaierweg seit einiger Zeit verspot-
tet, als Inbegriff des schlechten Geschmacks
und Hinweis auf fehlendes Umweltbewusst-


sein. Die Flächen hätten Insekten und Vögeln
so gut wie nichts zu bieten und beförderten
daher den Artenschwund, kritisieren Natur-
schützer. Die Mahnungen zeigen Wirkung.
Vielerorts in Deutschland wird über den
Umgang mit Schottergärten gestritten, auch
in Emden. Hier gibt es neuerdings Förder-
gelder für Eigentümer, die an einem Wett-
bewerb teilgenommen haben und zur Um-
wandlung in Naturflächen bereit sind.
In einigen Regionen ist die Neuanlage der
tristen Flächen mittlerweile verboten, etwa
in Hamburg, Erlangen, Paderborn und in al-
len Städten Baden-Württembergs. Im grün-
schwarz regierten Ländle gab es sogar den
Plan, Eigentümer älterer Anlagen zum Rück-
bau zu zwingen; doch dazu konnte sich die
Regierung von Ministerpräsident Winfried
Kretschmann vorerst nicht durchringen. Alt-
eigentümer sollten sich aber nicht in Sicher-
heit wiegen, denn die Debatte läuft weiter.
Einige Naturschützer fordern bereits hohe
Bußgelder für störrische Schottergärtner.
Einer jener Menschen, die die harte Tour
empfehlen, ist der Münchner Jurist und Öko-
aktivist Martin Klimesch. Der 48-Jährige ist

Mitglied im Bund Naturschutz in Bayern und
Verfasser einer Standardbroschüre zum
Thema »Der perfekte Wildgarten«. In einem
Beitrag in den »Bayerischen Verwaltungs-
blättern« kommt er ähnlich wie andere
Rechtsexperten zu einem eindeutigen Schluss:
Schottergärten sind Schwarzbauten und müs-
sen entfernt werden. Wer sich weigere, müs-
se sich gegebenenfalls vor Gericht verantwor-
ten und bestraft werden.
Der Rechtsanwalt, dessen Kanzlei sich vor
allem mit Immobilienrecht befasst, stützt sich
dabei auf die sogenannten Bauordnungen der
einzelnen Länder. Darin ist seit Langem in
fast immer gleichen Worten geregelt, dass
nicht überbaute Flächen zu »begrünen« oder
zu »bepflanzen« sind. Zudem seien sie so zu
gestalten, dass Regenwasser abfließen könne.
Viele Schottergärten sind aber zum Schutz
vor Unkraut auf einem nahezu undurchläs-
sigen Vlies oder einer Plane angelegt. Die
Anlagen seien daher schon seit Inkrafttreten
der Bauordnungen illegal. Anders als behaup-
tet, könne es daher keinen Bestandsschutz
geben, argumentiert Klimesch. Kommunen,
die alte Anlagen tolerierten, verhielten sich
rechtswidrig und müssten eigentlich ebenfalls
verklagt werden. »Geradezu absurd« findet
es der Jurist, wenn Städte wie Emden, Köln
oder Pforzheim wechselwilligen Eigentümern
auch noch Fördergelder für die Umgestaltung
nachschmissen: »Man gibt doch auch Park-
sündern kein Geld, damit sie ihr Auto zu-
künftig nicht mehr falsch abstellen.«
Rainer Kinzel, Fachbereichsleiter Stadt-
entwicklung und Umwelt in Emden, plädiert
hingegen für mehr Gelassenheit. Er sitzt im
Besprechungsraum der Stiftung Ökowerk
Emden, die ihren Sitz ausgerechnet am Kaier-
weg hat, unweit der Einfamilienhäuser mit
ihren Steinwüsten. Das Umweltzentrum, das
die Stiftung dort unterhält, ist beliebt bei Aus-
flüglern und all jenen, die etwas über heimi-
sche Sträucher, Stauden und Naturgärten
lernen wollen. Neben einer Wiese mit Woll-
schweinen und Gänsen gibt es hier einen frie-
sischen Obstgarten, in dem rund 600 Apfel-
sorten wachsen.
Kinzel ist kein Fan von Schottergärten, hält
aber wenig von Verboten oder Drohungen.
Er vergleicht die Eigentümer dieser Gärten
mit »Kleinkindern«, denen man angemesse-
nes Verhalten vorleben müsse. Insofern sei
der Wettbewerb, den das Ökowerk unlängst
veranstaltet habe, eine »tolle Sache«. Daran
durften alle Emder teilnehmen, die sich von
ihren Kieselflächen trennen wollen; die Jury
des Ökowerks wählte unter den Bewerbern
die zehn mit den scheußlichsten Anlagen aus
und unterstützt sie nun nicht nur finanziell,
sondern auch bei der Auswahl und Anpflan-
zung von ökologisch wertvollen Stauden und
Sträuchern.
Insgesamt nahmen 21 Familien und Ein-
zelpersonen teil, Aspiranten vom Kaierweg
waren nicht darunter. Zu Siegern des Wett-
bewerbs wurden die Eigentümer eines Hauses
erklärt, dessen Vorgarten derzeit noch aus

Im Garten des Grauens


UMWELT Schottergärten schaden der Artenvielfalt. Naturschützer wollen


jetzt einen Rückbau erzwingen – notfalls vor Gericht.


Aber auch kurz geschorene Rasenflächen sind ökologische Wüsten.


Wie sieht eine umweltfreundliche Pflanzung aus?


Ökoärgernis Schottergarten: »Echte Männer mähen nicht«


Annette Riedl / picture alliance/ dpa
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