Der Spiegel - ALE (2022-04-30)

(EriveltonMoraes) #1
WISSEN

Nr. 18 / 30.4.2022DER SPIEGEL 107

einer Zehn-Zentimeter-Schicht Schot-
tersteine besteht. Sie liegt auf einer
dicken Plastikplane und heizt sich
im Sommer stark auf. »Es ist doch
besser, wenn wir solche Menschen mit
attraktiven Aktionen zum Umdenken
bewegen, als dass wir sie juristisch
belangen«, sagt Kinzel. Niemand
könne sich allen Ernstes eine »Vor-
gartenpolizei« und ein Sanktions-
system für Schottergärtner wünschen,
zumal die Sachlage oft weniger klar
sei, als es sich manche Naturschützer
wünschten.
Tatsächlich könnten Eigenheim-
besitzer im Falle einer juristischen
Auseinandersetzung argumentieren,
dass ihre Schotterflächen gar keine
Gärten seien, sondern einem anderen
Zweck dienten. Der Augsburger Ver-
ein Haus und Grund regt deswegen
an, »demonstrativ« einen Pkw auf
der Schotterfläche abzustellen, um
so eine legitime Nutzung vorzutäu-
schen. Wenn es um Parkplätze für
Familienkutschen geht, ist das Auto-
fahrerland Deutschland recht gnä-
dig, zumindest wird über die oft über-
dimensionierten Kfz-Areale vor den
Privathäusern nur selten gestritten.
Der Emder Fachbereichsleiter Kinzel
glaubt, dass auch der Verweis auf
Fahrräder, die gelegentlich in den
Schottergärten abgestellt werden,
Wirkung zeigen könnte. Womöglich
würde das den stark belasteten Ver-
waltungsgerichten knifflige Defini-
tionsprobleme und jahrelange Pro-
zessschlachten aufbürden. Die Aus-
sicht auf das juristische Hickhack war
es dann auch, die Baden-Württem-
berg letztlich davon abhielt, Eigen-
tümer zum Rückbau zu nötigen.
Gerold Happ, Mitglied der Ge-
schäftsführung des Verbands Haus
und Grund, hält die Debatte über
die Schottergärten mittlerweile für
»völlig überhitzt«. Die Areale seien
»grässlich«, aber man dürfe doch
nicht mit Kanonen auf Spatzen schie-
ßen, zumal es – anders als die öffent-
liche Debatte vermuten lasse – doch
nur eine »ganz kleine Minderheit«
sei, die auf Kiesel setze. Es sei schon
erstaunlich, wie viele Gedanken sich
einige Menschen mittlerweile über
die Gärten ihrer Mitbürger machten:
»Da wird der Versuch unternommen,
das eigene ökologische Gewissen auf
andere zu übertragen und diese dann
mit einem Biogarten zwangszubeglü-
cken«, behauptet Happ.
Tatsächlich mussten sich Deutsch-
lands Eigenheimbesitzer in den ver-
gangenen Jahren immer wieder mal
Fehlverhalten und Ignoranz vorhal-
ten lassen. Es ging dabei längst nicht
nur um Schottergärten, sondern auch


um die Frage, wie ein ökologisch kor-
rekter Garten zu bepflanzen ist. Vor
allem eine der beliebtesten Hecken-
pflanzen Deutschlands, der Kirsch-
lorbeer, geriet in die Kritik. Manche
Naturschützer argumentierten schon
2019, dass die Anpflanzung des im-
mergrünen Strauchs (der oft in Kom-
bination mit Schotterflächen zu sehen
ist) eigentlich verboten werden müs-
se. Die Pflanze, die aus Kleinasien
und vom Balkan stammt, sei für In-
sekten und Vögel deutlich weniger
geeignet als heimische Gewächse.
Begründet wird das vor allem da-
mit, dass in Deutschland etwa 37 Mil-
lionen Menschen über einen Privat-
garten verfügen. Das stelle für die
biologische Vielfalt ein großes Poten-
zial dar, das in Anbetracht des dra-
matischen Insektenschwunds unbe-
dingt ausgeschöpft werden müsste,
argumentierte Anfang 2020 das Bun-
desumweltministerium. Die Men-
schen sollten ihre Gärten daher in
»artenreiche, naturnahe Oasen« ver-
wandeln, in denen es summt, brummt
und zwitschert.
Naturschützer stehen deswegen
auch auf Kriegsfuß mit den oft raspel-
kurz gehaltenen Rasenflächen, die es
in deutschen Privatgärten gibt. Die
Graspflanzen betrieben zwar im
Unterschied zu Schottergärten Foto-
synthese, seien aber ökologisch an-
sonsten weitgehend nutzlos, sagt Bio-
loge Frank Gaupels, Projektmanager
beim Ökowerk Emden: »Es gibt ja
Menschen, die sogar Gänseblümchen
konsequent ausstechen.«
Gaupels ist einer der Hauptinitia-
toren des Emder Schottergartenwett-
bewerbs und weiß natürlich auch,
was sich viele deutsche Privatgärtner
wünschen: ein Areal, das wenig
Arbeit macht und »ordentlich« aus-
sieht. Professionell geplante Schotter-
gärten werden diesem Anspruch voll
und ganz gerecht; wenn sich Laien
an der Anlage versuchen, sieht es

Guido Kleinhubbert n

dagegen oft anders aus. Dann wu-
chert es oft innerhalb weniger Jahre
durch sämtliche Kieselritzen, und das
Unkrautjäten gehört genauso dazu
wie in einem grünen Garten.
Biologe Gaupels hat für reuige
Schottergärtner, die umsteigen wol-
len, sogar eine versöhnliche Bot-
schaft: »Sie müssen sich nicht kom-
plett von ihren Steinen trennen.«
Statt der aufwendigen Entsorgung
empfiehlt er, wenigstens Vlies oder
Planen zu durchlöchern und dann
Dachbegrünungsmatten auszulegen,
aus denen dann Pflanzen sprießen.
»Dann haben Sie schnell einen medi-
terran anmutenden Steingarten, der
auch zum Klimawandel passt«, sagt
Gaupels. Hier und da könne etwas
Thymian, Majoran oder ein ande-
res steinliebendes Gewächs gesetzt
werden. Und wer einige Flächen kom-
plett vom Schotter befreien und es
»richtig schön« haben wolle, sollte
auf Pflanzen setzen, die bei Insek-
ten  gut ankommen: Brennnesseln,
Ackerwinde und Blutweiderich zum
Beispiel.
Gaupels und Ökowerk-Chefin Ka-
tharina Mohr machen viel Werbung
für den Abschied von den Schotter-
gärten – und wollen den Menschen
Angst vor seltenen Pflanzen nehmen,
die weniger bekannt sind als die be-
liebten Rhododendren, Hortensien
oder Forsythien. Dieser »deutsche
Ordnungsfimmel, der auch vor dem
Garten nicht haltmacht«, sei leider
schwer wegzubekommen, klagt
Mohr. In vielen Straßen steckten
sich die Menschen gegenseitig mit
dem »Schottervirus« an. Keiner
wolle aus der Reihe tanzen, überall
müsse es nach »verlängertem Wohn-
zimmer« aussehen.
Kein Wunder, dass es eine pflege-
leichte Gartenbedeckung gibt, die
ökologisch noch wertloser ist, aber
bislang kaum bekämpft wird: Kunst-
rasen. Der grüne Plastikbelag wird
nicht nur auf Sportplätzen verlegt,
sondern ist mittlerweile auch in Pri-
vatgärten zu finden. Denn Kunstrasen
macht so gut wie keine Arbeit: Er
wächst nicht, und es kommt auch ga-
rantiert kein Moos oder Löwenzahn
durch. Einer der größten Anbieter
wirbt mit dem Werbespruch »Echte
Männer mähen nicht«.
Die Plastikbeläge lassen nicht nur
Wasser durch, sondern haben noch
einen weiteren Vorteil gegenüber
Schottergärten: Sie sind grün. In den
meisten deutschen Bauordnungen
heißt es nämlich, dass nicht bebau-
te  Flächen zu bepflanzen oder zu
begrünen sind.

Ökomanagerin Mohr:
Keine Angst vor
seltenen Pflanzen

Insekten
in Not

Langfristiger
Bestandstrend in
Deutschland,
in Prozent

Köc herfliegenarten

Ameisenarten

Heuschreckenarten

Lauäferarten

Bienenarten

Schwebfliegenarten

95

61

53

45

45

38

S◆Quelle: BMUV; Daten-
grundlage Studien von 2011
und 2016

Daten ungenügend

rückgängig
gleichbleibend
zunehmend

Hannes von der Fecht / DER SPIEGEL
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