Der Spiegel - ALE (2022-04-30)

(EriveltonMoraes) #1
KULTUR

Nr. 18 / 30.4.2022DER SPIEGEL 123

S


chon der im März vorab ver-
öffentlichte Titelsong des ach-
ten Rammstein-Albums »Zeit«
ließ Schlimmes erahnen. Zwar fuhr
die Rockband im Videoclip noch ein-
mal jene Bildgewalt auf, für die sie
berühmt geworden ist, ließ Soldaten
durch Wälder streifen, den Tod per-
sönlich auftreten und inszenierte sich
selbst als Geburtshelfer-Team, ganz
in Weiß, im Sandstrom verrinnender
Zeit. Doch schon dem Song selbst,
einer klotzig-elegischen Powerballa-
de, fehlte es an Lebendigkeit. »Zeit /
Bitte, bleib stehen, bleib stehen / Das
soll immer so weitergehen«, flehte
Sänger Till Lindemann, »doch die
Zeit kennt kein Erbarmen / Schon ist
der Moment vorbei.«
Nur für einen Moment passte das
Lied punktgenau in eine Phase post-
pandemischer Schwermut, überschat-
tet von einer lähmenden Konfron-
tation mit der Vergänglichkeit des
Lebens. Die Soldatenbilder schienen
die bereits begonnene Anschluss-
krise, Putins Invasion in der Ukraine,
aufzugreifen. Aber letztlich blieb nur
der Eindruck eines musikalisch ein-
fallslosen Liedes, das in Pathos er-
starrt war. Ein müder Abschied mit
Altbekanntem.
Schon länger wurde gemutmaßt,
dass Rammstein, 1994 in Berlin ge-
gründet, mit »Zeit« vielleicht ihr letz-
tes Album veröffentlichen würden.
Nachdem man es in Gänze gehört hat,
ist diese Vorstellung nicht sehr scho-
ckierend. Die Zeit dieser großen, auch
international erfolgreichen deutschen
Band scheint vorbei zu sein. Was
bleibt, sind ein paar zackige Gitarren-
riffs, ein paar lustig in den Mix ge-
streute Synthesizersounds und Höhö-
Texte über Kondome, Botox und
große Brüste. Die Buhmänner von
einst, gefürchtet und bewundert für
ihre martialischen Auftritte und ihre
auf dem R rollenden Echos teutoni-
scher Großmannssucht, schrumpfen
mit ihren neuen Liedern auf Alt-
herrenwitz-Format.


»Dicke Titten« zum Beispiel ent-
larvt zwar im Text den deutschen Mi-
chel als brustfixierten Simpel, eignet
sich jedoch auch hervorragend zum
bierseligen Mitgrölen im Stadion oder
beim Oktoberfest. Ebenso »OK«,
dessen griffiger Refrain »Ohne Kon-
dom, ohne Kondo-ho-ho-hom« lautet
und die eigene kreative Schlappheit
mehr oder minder subtil thematisiert:
»Hoch liegt die Latte, sollte stehen /
Sollte man nicht so eng sehen.«
Nimmt man’s als Satire, erinnert das
Lied ein wenig an den Stil der öster-
reichischen Comedy-Popband Erste
Allgemeine Verunsicherung. Endsta-
tion Klamauk.
Hinzu kommt, dass der einst
schroffe Industrial-Metal-Sound der
Band jetzt allzu schlagerhaft klingt.
Manches animiert zum Schunkeln,
etwa die Dunkelmunkel-Hymne
»Schwarz«, für die anscheinend der
erfolgreiche deutsche Shanty-Rock
von Santiano Pate stand. Santiano
galten eigentlich mal als maritimer
Rammstein-Ersatz, nun wirken die
Zausel von der Waterkant fast grim-
miger als das Original. »Adieu«, das
gemächlich in den Sonnenuntergang
rollende Schlusslied, kann man sich
gut als zart-hartes Requiem auf Be-

gräbnissen verstorbener Rockfans
vorstellen. »Ein letztes Mal, so singen
wir / Adieu, Goodbye, auf Wieder-
sehen / Den letzten Weg musst Du
alleine gehen«, heißt es im Text, dazu
seufzt eine Gitarre sentimental in
die Ewigkeit. Das Provokanteste an
Rammstein 2022 ist für Fans sicher-
lich dieser neue, gezähmte Musikstil.
Vielleicht muss ein künstlerischer
Zerrspiegel wie Rammstein seinen
Schrecken verlieren, wenn sich in der
Gegenwart realer Horror manifes-
tiert, der Krieg in der Ukraine ebenso
wie gewaltsame Übergriffe und Anti-
semitismus bei rechten Kundgebun-
gen und »Spaziergängen« von soge-
nannten Querdenkern. Womit will
man angesichts solcher Nachrichten-
bilder noch provozieren?
Gegen Ende der Neunzigerjahre,
als sich die Deutschen auf der siche-
ren Seite der Geschichte wähnten und
ihren neuen Hedonismus auf Love-
Parades feierten, bastelten Ramm-
stein Szenen aus Leni Riefenstahls
NS-Propagandafilm »Olympia« in
ein Musikvideo und sorgten mit Lin-
demanns germanischem Grollgesang
für Unbehagen. Den immer wieder
unterstellten Flirt mit rechts haben
Rammstein allerdings schon früh im
Song »Links 2–3–4« ins Reich der
Musik kritikerfantasie verbannt: »Sie
wollen mein Herz am rechten Fleck,
doch / Seh ich dann nach unten weg /
Da schlägt es links«, hieß es bereits
2001.
»Deutschland«, vom letzten, 2019
veröffentlichten Album, war dann der
Liebesentzug für die Nation, die Ab-
kehr von Übermensch und Tümelei
mit grandioser Geste. Im Video, das
war der bisher letzte Skandal, traten
die Musiker in KZ-Häftlingskleidung
auf. Vielleicht hatten die ehemaligen
DDR-Punks damit ihr bestes Pulver
verschossen. Heute warnen sie im
Song »Angst« ganz ohne doppelten
Boden vor einer Populistenmeute, die
mit der althergebrachten Angst vorm
»schwarzen Mann« zündelt. Mit
Schaumlatex-Maskerade im Gesicht
hüpfen sie pappnasig durch das Video
ihrer Single »Zick Zack« und dichten
nonstop Nonsens gegen den Schön-
heits- und Jugendwahn: »Bauchfett
in die Biotonne / Der Penis sieht jetzt
wieder Sonne.«
Auch in diesem Song findet sich
das Vergänglichkeitsmotiv wieder,
das die Platte durchwirkt: »Tick-tack,
tick-tack, du wirst alt / Deine Zeit
läuft langsam ab«, singt Lindemann
launig. Aber auch: »Ohne Schmerzen
geht es nicht.« Jetzt gerade tut’s rich-
tig weh.
Andreas Borcholte n

Endstation Klamauk


POPKRITIK Vom Zeitgeist ausgebremst: Die Schockrocker von Rammstein


taugen auf ihrem neuen Album »Zeit« nicht mehr als


Buhmänner – sondern machen Altherrenwitze über Brüste. Schauerlich.


Nonstop
Nonsens
gegen den
Schönheits-
und Jugend-
wahn.

Rammstein-
Bandmitglieder

Bryan Adams
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