Der Spiegel - ALE (2022-04-30)

(EriveltonMoraes) #1
Nr. 18 / 30.4.2022DER SPIEGEL 125

Klaus Schulze, 74
Den Begriff »Krautrock« fand Klaus Schulze furchtbar, auch mit
»Berliner Schule« konnte er nichts anfangen. Doch sein Werk
ist mit beidem verbunden. Fest steht auch: In den Siebziger jahren
hat er Klassiker der elektronischen Musik aufgenommen, gilt als
Pionier des Genres. Der 1947 in Berlin geborene Schulze hatte Ger-
manistik studiert, fand 1969 als Schlagzeuger zur Band Tangerine
Dream. Bald begann er mit Synthesizern zu ex perimentieren und
veröffentlichte 1972 sein erstes Soloalbum »Irrlicht«. Es folgten
Alben wie »Timewind« oder »Moondawn« mit ausufernden instru-
mentalen elektronischen Tracks. In Deutschland wurde Schulze
dafür von Kritikern belächelt. Im Ausland genoss er Respekt und
war auch kommerziell erfolgreich. David Bowie, Brian Eno und
DJ Shadow zählten zu seinen Bewunderern. In Hollywood nutzten
Michael Mann und Sofia Coppola seine Musik. Dutzende Solo-
alben veröffentlichte Klaus Schulze, dazu zahlreiche Kollaboratio-
nen. Er absolvierte Tourneen in aller Welt, sein letztes Konzert
gab er 2010 in Japan. Produktiv blieb Schulze auch danach: Das
Album »Deus Arrakis« soll im Juni erscheinen. Klaus Schulze starb
am 26. April nach langer Krankheit. RED

Navina Sundaram, 76
Mit dem Format »Asiatische Mi-
niaturen« begann 1963 die einzig-
artige Karriere von Navina Sun-
daram, der ersten nicht weißen
Moderatorin und Filmemacherin
des öffentlich-rechtlichen Rund-
funks in Westdeutschland. Ohne
ein Wort Deutsch zu sprechen,
kündigte die damals 18-jährige
Inderin mit auswendig gelernten
Texten die kurzen Beiträge an,
die der NDR aus seinem Studio
in Neu-Delhi schickte. Im
Stammhaus in Hamburg machte
Sundaram damit so viel Ein-
druck, dass sie 1964 zum Volon-
tariat nach Deutschland einge-
laden wurde. Als ausgebildete
Fernsehjournalistin kehrte sie für
kurze Zeit nach Indien zurück,
bevor sie 1970 eine Festanstellung
beim NDR in Hamburg erhielt.
34 Jahre lang drehte Sundaram
für Formate wie »Weltspiegel«,
»Panorama« oder »extra 3«, da-
nach arbeitete sie frei. Migration
und Rassismus waren Themen
ihrer Filme und Magazinbeiträge,
aber auch Währungs- und Um-
weltpolitik. Ihre Rolle als Pionie-
rin in den westdeutschen Medien
verstand Sundaram immer als
Verpflichtung, sich für die Reprä-
sentation anderer Migrantinnen
und Migranten einzusetzen: »Die
Macht über Menschen in teres-
siert mich nicht«, sagte sie ein-
mal, »sondern die Macht übers
Programm.« Um Sundarams
Schaffen zu würdigen und zu be-
wahren, ging im September 2021
das allgemein zugängliche Ar-
chivprojekt »Die fünfte Wand«
online. Als »Innenansichten einer
Außenseiterin oder Außenan-
sichten einer Innenseiterin« wird
ihr Werk dort bezeichnet. Navina
Sundaram, die an einer chroni-
schen Lungenerkrankung litt,
starb in der Nacht zum 25. April
in Hamburg. HPI

Willi Resetarits, 73
Er hatte noch viel vor im öster-
reichischen Pop: »Elapetsch«
hieß das letzte Album, das Willi
Resetarits im Oktober veröf-
fentlichte. Darin heißt es zum
Thema Tod: »Es is’ no ned mei
Zeit, Gevatter, duad ma leid.«
Der 1948 geborene Resetarits,
besser bekannt als »Ostbahn
Kurti«, war ein »Krowod«, wie
sie in Wien sagen. Ein Burgen-
landkroate aus Stinatz, der
Deutsch – besser: Wienerisch –
erst spät lernte. Mitte der
Siebziger spielte Resetarits mit
seiner politischen Folkband
Schmetterlinge, mitunter vor
bis zu einer halben Million
Menschen. Später verlegte er
sich darauf, das amerikanische
Lebensgefühl in die Wiener
Vorstadt zu transplantieren.
Aus Fats Dominos »I Hear You
Knocking« wurde so »I hea di
klopfn«, auch Coverversionen
von Bruce Springsteen und
Willy DeVille waren im Reper-
toire. In der Rolle der Kunst-
figur Kurt Ostbahn, erfunden
von dem Journalisten und Tex-
ter Günter Brödl, stellte sich
Resetarits ab Mitte der Achtziger

in Ruder leiberl (Feinrippunter-
hemd) und Lederjacke einer
wachsenden Fangemeinde. Re-
setarits war Musiker, Sänger,
Mann der Poesie – ein rastloses
Gesamtkunstwerk, vor allem
aber ein Mensch, der Menschen
mochte. Als Mitbegründer von
SOS Mitmensch, Asyl in Not
und dem Integrationshaus half
er, wo er konnte – er, der ja
einst selbst ein Fremder in Wien
gewesen war. Noch am Abend
vor seinem Tod stand Resetarits
beim Flüchtlingsball auf der
Bühne. Sein letzter Satz im letz-
ten Interview lautete: »Es ist
noch nicht vorbei.« Willi Rese-
tarits starb am 24. April an
den Folgen eines Treppensturzes
in seinem Haus in Wien. WMA

Fritz Stotmeister, 94
Der Familienname erwies sich im Ausland als
Zungenbrecher. Also machte Fritz Stotmeister aus
dem väterlichen Unternehmen schlicht Sto. Das
einstige Kalk- und Zementwerk nahe der Schwei-
zer Grenze wurde unter seiner Ägide ein Welt-
konzern und typischer Vertreter des international
erfolgreichen Mittelstands aus der deutschen
Provinz. Im VW Käfer fuhr Stotmeister umher, um Handwerker
von einem Kunstharzputz zu überzeugen, der den wirtschaftlichen
Durchbruch brachte. Markenzeichen der Firma ist der gelbe Farb-
eimer; heute ist Sto wichtiger Anbieter von Fassadendämmungen
und im S-Dax notiert. Früh regelte Stotmeister seine Nachfolge mit
seinen Söhnen – die Familie hält fast alle Stimmrechtsaktien des
Unternehmens, das 2021 rund 1,6 Milliarden Euro Umsatz erwirt-
schaftete und mehr als 5700 Mitarbeiter hat. Fritz Stotmeister starb
am 21. April auf der Halbinsel Höri am Bodensee. MUM

NACHRUFE


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Stotmeister


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teutopress / IMAGO
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