Der Spiegel - ALE (2022-04-30)

(EriveltonMoraes) #1
Nr. 18 / 30.4.2022DER SPIEGEL 127

Kochen für die


Zukunft


Vor vielen Jahren nahm Alain
Ducasse, 65, die monegassische
Staatsbürgerschaft an, aber
natürlich hat einer der bedeu­
tendsten Köche Frankreichs
noch immer viel zur Küche sei­
nes Heimatlandes zu sagen.
Dessen Zukunft sieht laut eines
Gastbeitrags, den Ducasse für
die Tageszeitung »Le Monde«
verfasste, düster aus. Zumin­
dest dann, wenn die Haute
Cuisine weiter im eigenen Saft
schmort. So zumindest seine
Analyse, die er gleich auf die
Politik des nach den Präsident­
schaftswahlen mehr denn je
zerrissenen Frankreichs auswei­
tet. Ducasse beginnt seinen
Artikel mit diesem Satz: »Es


scheint, dass heute sowohl das
kulinarische als auch das poli­
tische Frankreich mehr in die
Vergangenheit schauen als in
die Zukunft, so als wäre unsere
Küche dazu verdammt, auf
die Rezepte von vorgestern zu­
rückfallen zu müssen.« Ducasse
steht schon lange nicht mehr
selbst am Herd, die praktische
Arbeit überlässt er den Küchen­
chefs seiner zahlreichen Res­
taurants überall auf der Welt.
Die Linie gibt aber weiterhin er
vor, und als Ideen­ und Takt­
geber gilt er ebenfalls noch.
In seinem Artikel fordert Du­
casse mehr Mut zum Experi­
ment und zur Avantgarde. Im
Restaurant des Luxushotels
»Plaza Athénée« in Paris zeigte
Ducasse, wie er sich das kon­
kret vorstellt: Dort verzichtete
er nicht nur komplett auf
Fleisch, sondern auch auf die in
der französischen Küche all­
gegenwärtige Butter. Allerdings
trennte sich der Hotelbetreiber
im vergangenen Jahr von ihm.
Ob es daran lag, dass das fran­
zösische Publikum noch nicht
reif war für seine Ideen, weiß
man aber nicht – über die
Gründe wurde nichts bekannt.
Dass sich die fran zösische
Küche weiterent wickelt, hält
Ducasse jedenfalls für eine
Aufgabe von nationaler Trag­
weite: »Ein kulinarisch starkes
Frankreich trägt ebenso zum
Erfolg unseres Landes bei wie
unsere Modekonzerne und
Filmproduktionen.« KAE

Bereit zum Abheben


Die britischen Musikerinnen
Jenny Hollingworth und
Rosa Walton sind beide Anfang



  1. Aber eine Krise zerstörte
    ihre gemeinsame Band Let’s Eat
    Grandma beinahe, bevor sie
    richtig abheben konnte. Mit
    dem düster schillernden Synthie­
    Pop auf ihrem Album »I’m All
    Ears« hatten die beiden 2018
    Kritik und Fans begeistert. Der
    frühe Erfolg brachte jedoch
    auch Probleme. Walton und
    Hollingworth, die in der osteng­
    lischen Stadt Norwich aufwuch­
    sen und sich seit ihrer Kind­
    heit kennen, hatten das Gefühl,
    nicht mehr mit einander kom­
    munizieren zu können. Bei den
    Proben zu einer geplanten Tour
    seien sie auf keinen gemein­


samen Nenner gekommen, er­
zählten sie dem britischen
»Guardian«, »es war, als ob wir
uns fundamental missverstehen
würden«. Während dieser Zeit
starb Hollingworths Freund an
einer Krebserkrankung. Die
Tragödie warf die Band vollends
aus der Bahn. Hollingworth
zog sich zurück und versuchte,
mit dem Verlust umzugehen.
Trost spendeten ihr, wie sie
sagt, die natürlichen Zyklen der
Natur. Schließlich fand sie die
Kraft, ihre Trauer in Songs ein­
fließen zu lassen – und auch
Rosa Walton begann wieder, an
neuer Musik zu arbeiten. Das
Ergebnis ist das Album »Two
Ribbons«, das jetzt erscheint.
Band und Freundschaft sind
wieder intakt – und bereit zum
Abheben. KAE

In Stein gemeißelt


Vor 21 Jahren starb George
Harrison – kaum zu glauben,
wenn man ihn als jungen Mann
in pinkfarbenen, tibetisch an­
mutenden Stiefeln oder Ethno­
Lammfellmantel durch Peter
Jacksons kürzlich veröffentlich­
te Beatles­Doku »Get Back«
hüpfen sieht. Seine Frau Olivia
erinnert sich nun auf ganz eige­
ne Weise an den Musiker: Am


  1. Juni erscheint der Gedicht­
    band »Came the Lightening.
    Twenty Poems for George«,
    den sie ihm widmet. Die 20 Ge­
    dichte seien 20 Jahre nach sei­
    nem Tod entstanden, ohne dass
    sie es so geplant habe, sagt Oli­
    via Harrison in einem kurzen
    Film, der in den sozialen Me­
    dien veröffentlicht wurde. Das
    Buch enthält außerdem zahlrei­
    che Fotos von George Harrison


und ist auf 1000 Sammlerstücke
limitiert, die alle von der Auto­
rin signiert sind. Die Einleitung
stammt von dem Filmregisseur
Martin Scorsese, der 2011 die
dreistündige Doku »Living in
the Material World« über Harri­
son drehte. George und Olivia
heirateten 1978, kurz nach der
Geburt ihres Sohnes Dhani.
George Harrison schrieb ein
Jahr später für seine Ehefrau
den Song »Dark Sweet Lady«.
Darin heißt es: »Du kamst und
hast mir beigestanden, als ich
schon losgelassen hatte.« Zwei
der Gedichte, die Olivia ihm
nun widmete, sind online vorab
bereits zu lesen. In »Carved in
Stone« schreibt sie etwa: »Nur
die Vergangenheit ist in Stein
gemeißelt, damit sie nicht ver­
loren geht. Dieser Sand, einst
Granit, bedeckt meine nassen
Füße.« KAE

1974

El Hardwick

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