Der Spiegel - ALE (2022-04-30)

(EriveltonMoraes) #1

DEUTSCHLAND


20 DER SPIEGELNr. 18 / 30.4.


SPIEGEL: Frau Rehlinger, Sie sind am
Montag zur Ministerpräsidentin ge-
wählt worden – und führen nun die
einzige Regierung in Deutschland
mit absoluter Mehrheit. Da können
Sie ja alles durchdrücken, was Sie
versprochen haben: Kita-Beiträge
weg, Tablets für alle Schülerinnen
und Schüler, mehr Sozialwohnun-
gen. Oder wird das dann doch zu
teuer?
Rehlinger: Ich sehe diese Projekte als
Investitionen, nicht als Ausgaben-
posten. Wenn die Kita-Gebühren
wegfallen, wird das Saarland für jun-
ge Familien attraktiver, die sonst viel-
leicht nach Rheinland-Pfalz ziehen
würden, wo es keine Kita-Gebühren
gibt. Wir stehen im Wettbewerb mit
anderen Bundesländern und müssen
um Menschen und Unternehmen
werben. Das geht nicht nur mit
Sparen.
SPIEGEL: Woher nehmen Sie das Geld
in einem kleinen Bundesland mit fast
15 Milliarden Euro Schulden?
Rehlinger: Wir können sehr genau
vorrechnen, dass sich diese Investi-
tionen rentieren. Wenn wir den Be-
völkerungsrückgang stoppen und
mehr Menschen hierbleiben oder
zuziehen, lohnt sich das für unser
Land auch finanziell. Die Übernah-
me der kommunalen Altschulden ist
im Koalitionsvertrag der Ampel-
koalition in Berlin schon vereinbart.
Das muss kommen und hilft uns
ebenfalls.
SPIEGEL: Sie wollen vor allem mehr
Geld vom Bund?
Rehlinger: Ich will eine sinnvollere
und gerechtere Verteilung. Das deut-
sche Fördersystem ist hochproblema-
tisch für finanzschwache Kommunen.
Für die meisten Fördermittel müssen
Sie einen Eigenanteil zur Kofinanzie-
rung aufbringen. Wer das nicht kann,
geht leer aus. So werden die Starken
noch stärker gemacht, und die Schwa-
chen werden abgehängt.
SPIEGEL: Im Saarland gibt es verhält-
nismäßig viele finanzschwache Kom-
munen.
Rehlinger: Das Saarland hat durch die
späte Angliederung an die alte Bun-


desrepublik Nachteile erlitten, die bis
heute nicht ausgeglichen sind. 1957
waren die Bundesbehörden überall
schon angesiedelt worden, nur eben
nicht im Saarland. Ebenso viele gro-
ße Unternehmenssitze, an denen
Steuern gezahlt werden. Und als 1990
die neuen Bundesländer im Osten
dazukamen, waren wir wieder ge-
kniffen, weil die Fördermittel seither

»Wir wären gern Trendsetter«


SAARLAND Die neue Ministerpräsidentin Anke Rehlinger, 46 (SPD), über Parität im Kabinett, einen Rauswurf


von Gerhard Schröder und die Frage, ob man ihr Bundesland eigentlich noch braucht


meist nach Himmelsrichtung verteilt
wurden, nicht nach strukturpoliti-
schen Notwendigkeiten. Natürlich
gibt es Bedarfe im Osten, aber bei uns
auch.
SPIEGEL: Was haben die anderen Län-
der und der Bund davon, wenn mehr
Geld ins Saarland fließt?
Rehlinger: Zunächst einmal gibt es
die Verpflichtung im Grundgesetz,

Wahlsiegerin
Rehlinger: »Schröders
Aussagen sind bizarr«

Peter Jülich / DER SPIEGEL
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