Der Spiegel - ALE (2022-04-30)

(EriveltonMoraes) #1

DEUTSCHLAND


22 DER SPIEGELNr. 18 / 30.4.2022


D


aniel Günther schlendert zur Wahl-
kampfbühne im Zentrum von Heide
an der Westküste Schleswig-Holsteins.
Den Dienstwagen hat er abseits parken lassen.
Die Hände stecken in den Taschen seiner
schwarzen Jacke, im Vorbeigehen grüßt er.
»Moin.« »Moin.« »Moin.« Passantinnen und
Passanten drehen sich um. Tatsächlich, da ist
er, plötzlich so nah, der Ministerpräsident
Schleswig-Holsteins, ein schlanker Mann mit
einem jugendlichen Gesicht. Von den Zu-
schauern vor dem kleinen Podest, auf das er
steigen soll, gibt es Beifall.
Gut 15 Minuten redet Günther hier in Dith-
marschen über Polizei und Bundeswehr, über
Ukraine und Solidarität, über Energie und
teure Einkäufe. Es ist von vielem ein bisschen.
Dann lehnt er sich an einen Stehtisch und lässt
die Leute zu sich kommen. Er hört zu. Eine
alte Dame beklagt, dass im Osten die Renten
stärker steigen. Ein Hausbesitzer will weniger
Gebühren für eine kommunale Straße zahlen.
Solche Sachen.
Günther sagt: »Ich nehme das noch mal
mit«, er sagt »Danke«, er sagt »gern«. Ein
paar Selfies, »einmal ein Foto mit Daniel«,
ein Händedruck für einen Polizisten. Nach
anderthalb Stunden bricht er auf.
Am 8. Mai wählt Schleswig-Holstein einen
neuen Landtag. Und Günther, seit 2017
Chef der bundesweit einzigen Jamaikakoali-
tion mit FDP und Grünen, ist der Konkurrenz
enteilt. Auf 38 Prozent kommt seine CDU
in der jüngsten Umfrage des Instituts Infratest
dimap. Es folgt die SPD – mit 19 Prozent.
Eine repräsentative Civey-Umfrage für den
SPIEGEL sieht die CDU immerhin bei
34 Prozent, 12 Prozentpunkte vor den Sozial-
demokraten.
Günther zeigt sich im Wahlkampf offen,
so nahbar wie nur eben möglich. Als »Spit-
zenkandidat zum Anfassen« sollen die Leute
den Vater zweier Töchter erleben, sagt ein
Parteistratege. Ein Mann ohne Allüren, ein
Daniel Durchschnitt, der bei jedem nebenan
wohnen könnte. »Die CDU hat drei Argu-
mente: Daniel Günther, Daniel Günther,
Daniel Günther«, spottet der Kieler Polito-
loge Wilhelm Knelangen.
So wie in Heide läuft es fast immer, wenn
der 48-Jährige auftritt. Man ist draußen, es
gibt eine Bühne, die Rede ist kurz, die Zeit
für Gespräche lang. Stets seien 150 bis 500


Leute da, heißt es in der Parteizentrale. An
Haustüren klingelt Günther längst nicht mehr.
Das war seine Strategie im Wahlkampf


  1. Da setzte der noch weitgehend unbe-
    kannte CDU-Politiker auf einen strapaziösen
    Haustürwahlkampf und schaffte es, den
    Amtsinhaber Torsten Albig von der SPD aus
    dem Amt zu jagen. Günthers CDU lag am
    Wahlabend knapp fünf Prozentpunkte vor
    den Sozialdemokraten.
    Als Amtsinhaber stiegen seine Beliebtheits-
    werte immer weiter. Jüngst haben sie Infratest
    zufolge ihren Höhepunkt erreicht, es gibt kei-
    nen anderen Ministerpräsidenten, der persön-
    lich beim Wahlvolk so gut ankommt. Der
    neuesten Erhebung zufolge würden 61 Pro-
    zent der Schleswig-Holsteiner Günther direkt
    wählen. Selbst SPD-Anhänger bevorzugen
    offenbar mehrheitlich den Amtsinhaber und
    nicht ihren eigenen Kandidaten.
    Und so ist der Mann aus Schleswig-Hol-
    stein, einem Land mit gerade mal 2,9 Millio-
    nen Einwohnern, plötzlich der Hoffnungs-
    träger der gesamten Union. Zumindest bis
    auf Weiteres. Seine Wiederwahl wäre genau
    das, was CDU-Chef Friedrich Merz dringend
    braucht: ein Erfolgserlebnis. Das könnte, so
    hofft man in der Partei, auch die Stimmung
    in Nordrhein-Westfalen beeinflussen. Dort
    wird eine Woche später gewählt, es zeichnet
    sich ein sehr knappes Rennen ab.
    Lange hatte man den Mann aus Kiel in der
    Union als »Genosse Günther« geschmäht. Er


galt als zu links. Den Mitte-Kurs von Bundes-
kanzlerin Angela Merkel trug er bedingungs-
los mit. Doch nun ist alles anders. Nach der
Pleite im Saarland, bei der die CDU Ende
März die Staatskanzlei verlor, könnte Gün-
ther den Negativtrend stoppen.
Nach dem Auftritt in Heide sitzt Daniel
Günther im Fond seines Dienst-Audi, der Fah-
rer steuert den Wagen nach Sankt Peter-
Ording, an die Nordsee, zur nächsten Bühne.
Draußen ziehen Windräder vorbei, grüne
Wiesen, die Sonne scheint. Es geht jetzt um
Friedrich Merz.
Merz und Günther waren lange Gegner in
der CDU. Merz der konservative Rivale der
Kanzlerin, Günther der liberale Merkel-An-
hänger. Drei Anläufe brauchte Merz, bis die
Mitglieder ihn nach der vergeigten Bundes-
tagswahl zum Parteichef wählten. Günther
hatte er dabei nie auf seiner Seite.
Als Merz im Herbst 2019 der Kanzlerin
in einer Generalattacke »Untätigkeit« und
»mangelnde Führung« vorwarf, sprang Gün-
ther ihr bei. Und keilte in Richtung Merz,
da wurde es auch persönlich: Die Kritik sei
eine »Debatte, die von älteren Männern ge-
führt wird, die vielleicht nicht ihre Karriere-
ziele erreicht haben in ihrem Leben«.
Heute klingt das ganz anders. Sein Ver-
hältnis zu Merz sei »mittlerweile gut«, sagt
Günther. Merz tue der CDU gut. Und weil
die Bundespartei sich unter Merz erholt, hat
Günther nichts dagegen, gemeinsam Wahl-
kampf zu machen. Der Parteichef reiste zum
Auftakt der heißen Phase nach Neumünster,
man winkte gemeinsam den Leuten zu. Seit-
her duzten beide einander, erzählt Günther.
Und auch Merz formuliert ein Lob: »Da-
niel Günther hat nicht ohne Grund die höchs-
ten Kompetenz- und Persönlichkeitswerte
aller Ministerpräsidenten in Deutschland«,
sagt der Parteichef.
»Natürlich unterstützt er uns im Wahl-
kampf, weil ein Erfolg auch für die Bundes-
partei wichtig ist«, sagt Günther im Auto. »Ich
sehe das sportlich.«
Als Regierungschef profitiert Günther vor
allem von seinem Gemüt. Er kann zuhören,
organisieren, vermitteln. Im Kabinett werde
er nie laut, lasse diskutieren, sagen regel-
mäßige Teilnehmer. Er könne sich sogar über
Erfolge anderer freuen.
FDP-Politiker Thilo Rohlfs arbeitet als
Staatssekretär im Wirtschaftsministerium von
Schleswig-Holstein. Als er wegen eines Groß-
projekts vor Gericht siegte, bekam er prompt
einen Anruf von Günther, so erinnert sich
Rohlfs. »Er war der Erste, der gratuliert hat.«
Und er habe den Erfolg nicht wie selbstver-
ständlich für sich reklamiert.
Selbst innerparteiliche Kritiker loben Gün-
thers ausgleichendes Temperament. »Daniel
Günther ist ein großartiger Moderator, der
jedem das Gefühl gibt, gerade der Wichtigste
zu sein«, sagt einer aus dem CDU-Landes-
verband. Zugleich sei klar: »Seine Stärke liegt
nicht im Vordenken.« Durch inhaltliche Posi-
tionen sei Günther nie aufgefallen.

Merz’ bester Mann


SCHLESWIG-HOLSTEIN Bei der Landtagswahl ist CDU-Ministerpräsident


Daniel Günther der Favorit und dürfte dem Parteichef endlich


mal einen Erfolg bringen. Dabei waren die beiden lange Gegner.


Klarer Vorsprung


»Wen würd en Sie wählen, w enn am Sonntag
Landtagswahl in Schleswig-Holsteinwär e?«,
Angab en in Proz ent
Landtagswahl 2017

Südschleswigscher
Wählerverband,
unterliegt nicht der
5-Prozent-Hürde

38

19
16
9
5 5

CDU SPD Grüne FDP SSW AfD
SQuelle: Infratest dimap für die ARDvom 25. bis 27. April;
Befragte:1530;die statistische Ungenauigk eit der Umfrage
liegt bei bis zu 3 Prozentpunkten; an 100 fehlende Proz ent:
»eine ander e Part ei«
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