Der Spiegel - ALE (2022-04-30)

(EriveltonMoraes) #1
DEUTSCHLAND

Nr. 18 / 30.4.2022DER SPIEGEL 23

Auch ein führender Jamaikapoli-
tiker der Grünen sagt, Günther zeige
»wenig Führung« und mache »gerin-
ge inhaltliche Zielvorgaben«. Viel
mehr als Corona-Management habe
Günther in den vergangenen Jahren
nicht betrieben.
Die SPD bemängelte im Wahl-
kampf, dass sich Jamaika auffallend
oft im Bundesrat der Stimme enthal-
te. Es gab da Vorstöße zur Bekämp-
fung von Mietwucher und zum Straf-
rechtsparagrafen 219a, der Werbung
für Abtreibungen verbietet. Die Lan-
desregierung konnte sich nicht eini-
gen. Die Position von Schleswig-
Holstein war in zahlreichen Fällen


neutral. Das passt zu Günthers Re-
gierungsstil. Eher wenig klare Kante
an der Waterkant.
So kommt es dem Regierungschef
zupass, dass es über Inhalte im Wahl-
kampf kaum Streit gibt. SPD-Spitzen-
kandidat Thomas Losse-Müller müht
sich vergebens, Günther zu stellen.
Die SPD will eine Mietpreisbremse
einführen, die Kitas kostenfrei ma-
chen und Gratis-Laptops an Schüler
ausgeben. Aber die Botschaften
scheinen kaum zu verfangen. Nur
knapp ein Drittel der Wähler kennen
Losse-Müller.
»In zentralen Fragen sind sich die
Parteien einig, etwa beim Thema Florian Gathmann, Ansgar Siemens n

Energiewende«, sagt Politologe Kne-
langen. »Die Einzelheiten sind etwas
für Freaks.«
Auch Günther sagt, ein polarisie-
rendes Wahlkampfthema gebe es
nicht – »wir können aber über unse-
re klaren wirtschaftlichen Erfolge re-
den«, so sieht er das. »Weil wir bei
der Energiewende erfolgreicher sind
als andere Bundesländer, siedeln sich
hier Unternehmen an.« Der Norden
könne den Süden überholen.
»Kurs halten« lautet denn auch der
Slogan von Günther. Es ist die mo-
dernere Variante des »Weiter so«.
Dass sich Günther noch einholen
lässt, glauben nur wenige. Zu deut-
lich wirkt sein Vorsprung so kurz vor
der Wahl. Bei den Sozialdemokraten
geht man intern nicht mehr davon
aus, am Ende vorn zu liegen, heißt
es in Parteikreisen.
Und auch bei den Grünen er-
scheint das Ziel zu fern, mit Kandi-
datin Monika Heinold die künftige
Ministerpräsidentin zu stellen, ange-
sichts von weniger als 20 Prozent in
den Umfragen.
»Das Rennen um Platz eins ist
gelaufen«, sagt FDP-Staatssekretär
Rohlfs. »Es geht nur noch darum, mit
welchem Partner die CDU regiert.«
Die FDP kämpft, damit es für Schwarz-
Gelb reicht. Schwarz-Grün wäre wohl
ohnehin möglich. Eine Küstenkoali-
tion aus SPD, Grünen und der däni-
schen Minderheit vom SSW hätte zur-
zeit keine Mehrheit. Eine Ampel aber
bleibt rechnerisch denkbar.
Günther wirbt für Jamaika. Das
Bündnis mit Grünen und FDP hat
sich als stabil erwiesen, mehr als
70 Prozent der Wähler finden es gut.
Und er gibt sich siegesgewiss – selbst
wenn eine Coronainfektion ihn zwei
Wochen vor der Wahl im Schluss-
spurt bremst. Und auch wenn er sagt:
»Natürlich kann auch immer noch
etwas schiefgehen.« Es sei »ein knap-
pes Rennen«.
Verteidigt der CDU-Ministerprä-
sident die Staatskanzlei, hat er nicht
nur seiner Partei und ihrem Bundes-
vorsitzenden geholfen: Günther
selbst wäre plötzlich ein Unions-
Schwergewicht. Einer, der im Rennen
um die Kanzlerkandidatur 2025 ein
Wort mitzureden hätte.
Günther sagt, er wolle sich nach
einer erfolgreichen Wahl in Kiel stär-
ker einbringen in der Bundespartei.
An die Kanzlerschaft denke er
nicht, »da sind andere auch sicher
ehrgeiziger«. Er habe sogar nie das
Ziel gehabt, Ministerpräsident zu
werden.
Wurde er dann doch.

CDU-Wahlkämpfer
Günther in
Sankt Peter-Ording:
Auf dem Weg
zum Unions-Schwer-
gewicht

Niklas Grapatin / DER SPIEGEL
Free download pdf