Der Spiegel - ALE (2022-04-30)

(EriveltonMoraes) #1

DEUTSCHLAND


26 DER SPIEGELNr. 18 / 30.4.2022


G


anz Deutschland redet vom
Krieg. Von Gefechten in der
Ukraine, von schweren Kämp-
fen und eingekesselten Menschen in
der Stadt Mariupol. Erwin Sellering
redet von Seegras. »Ein wunderbares
Projekt, diese Seegraswiesenge-
schichte«, schwärmt der Sozialdemo-
krat. Seegras sei »absolut wichtig«.
Fürs Klima.
Am Freitag vergangener Woche
hatte Sellering, der ehemalige Minis-
terpräsident von Mecklenburg-Vor-
pommern, in ein Schweriner Restau-
rant eingeladen. Kurzfristig und über-
raschend, im Namen der Stiftung
Klima- und Umweltschutz MV, deren
Vorstandsvorsitzender er ist. Jene
Stiftung, die 200 000 Euro vom Land
und 20 Millionen Euro vom Pipeline-
unternehmen Nord Stream 2 AG be-
kam, das mehrheitlich Gazprom und
damit dem russischen Staat gehört.


Es ist jene Stiftung, die Mecklenburg-
Vorpommerns Ministerpräsidentin
Manuela Schwesig nun in die Bre-
douille bringt, weil sie das Symbol
dafür ist, wie unverfroren sie und ihre
Staatskanzlei versuchten, im Gleich-
schritt mit Gazprom drohende US-
Sanktionen zu umgehen.
Nach dem Einmarsch Russlands in
die Ukraine vollzog Schwesig zwar
eine Kehrtwende ihrer Politik. Die im
Januar 2021 gegründete Stiftung ließ
ihre Arbeit zeitweise ruhen. Doch
nun kommen immer mehr Details
über das Konstrukt heraus. Und im
Raum steht der Verdacht, dass die
Regierungschefin ihrem Parlament
die Unwahrheit gesagt haben könnte.
Klar ist: Ihre Staatskanzlei ließ sich
aus Russland vieles diktieren, bis hin
zur Eingliederung von Nord-Stream-
Personal in die Klimastiftung, das
dann die Fertigstellung der Pipeline

Schwesigs fauler Zauber


MECKLENBURG-VORPOMMERN Die Schweriner Ministerpräsidentin gerät


immer tiefer in die Affäre um die angebliche Klimastiftung


ihres Landes. Nun nähren neue Details den Verdacht, dass die


Sozialdemokratin das Parlament getäuscht hat.


organisierte. Und heikel wird es vor
allem, weil nun Schwesigs Vorgänger
Sellering darauf pocht, dass die Stif-
tung nicht aufgelöst werden könne,
und sich auf für Schwesig brisante
Argumente stützt.
Die Stiftung war seit ihrer Grün-
dung vor knapp anderthalb Jahren
umstritten, weil allzu offensichtlich
war, dass der Klima- und Umwelt-
schutz nur als Deckmantel für einen
sogenannten wirtschaftlichen Ge-
schäftsbetrieb der Stiftung diente.
Und der wurde gebraucht, um sicher-
zustellen, dass die russische Gaspipe-
line nach Mecklenburg-Vorpommern
trotz Sanktionsdrohungen der USA
fertig wurde.
Mittlerweile aber gibt es eine brei-
te politische Mehrheit, die Stiftung
wieder aufzulösen. Dafür hatte der
Landtag gestimmt, Sozialdemokratin
Manuela Schwesig hatte es gefordert.
Doch stattdessen verkündete Selle-
ring gut gelaunt, es sei nun an der
Zeit, mit der Arbeit der Stiftung wei-
terzumachen. Politisch war das eine
Kriegserklärung an Regierung und
Parlament, dazu mit einer Argumen-
tation, die Schwesig weiter in Be-
drängnis bringt und sie womöglich ihr
Amt kosten kann.
Denn Sellering beharrt auf dem,
was auch Schwesig zum Zeitpunkt der
Gründung im Landtag beteuert hat:
dass Klima- und Umweltschutz der
vorrangige Zweck der Stiftung sei.
Dabei belegen interne E-Mails aus
Staatskanzlei und Ministerien in
Schwerin, was Umweltverbände von
Anfang an geargwöhnt haben: Der
ei gentliche Stiftungszweck sei die
Vollendung der Pipeline gewesen.
Sellering präsentierte im Schweri-
ner Restaurant Brinkama’s die Bochu-
mer Juraprofessorin Katharina Uff-
mann, die im Auftrag der Stiftung ein
Rechtsgutachten erstellt hat. Tenor:
Die Stiftung könne nicht so einfach
aufgelöst werden. Das wäre schwie-
rig, sowohl für den Vorstand der Stif-
tung als auch für das Justizministe-
rium als zuständige Behörde, denn
dies würde das Land und den Vor-
stand erheblichen haftungsrechtli-
chen Risiken aussetzen. Die Nord
Stream 2 AG könnte schlimmstenfalls
die gezahlten 20 Millionen Euro zu-
rückfordern. Sellering stellte das wie
eine gute Nachricht dar: »Damit ist
für uns als Stiftung eine Auflösung
vom Tisch.«
Wie Sellering dann argumentierte,
lässt sich nur als Breitseite gegen sei-
ne von ihm selbst ins Amt gebrachte
Nachfolgerin interpretieren. Verant-
wortlich für diese Lage, so Sellering,
sei die Landesregierung selbst. Diese

Landeschefin
Schwesig: »Mit dem
Angriff Russlands
auf die Ukraine ist die
Grundlage für die
Stiftung entfallen«

Petra Nowack / penofoto / IMAGO
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