Der Spiegel - ALE (2022-04-30)

(EriveltonMoraes) #1
DEUTSCHLAND

Nr. 18 / 30.4.2022DER SPIEGEL 27

linebau zugeschnitten. Umwelt und
Klima zu schützen schien eher zweit-
rangig. Das untermauert eine Ant-
wort des heutigen Innenministers
Christian Pegel (SPD) auf eine
SPIEGEL-Frage. Pegel, der zum Zeit-
punkt der Gründung Energieminister
war und an der Satzung der Stiftung
mitgearbeitet hat, schreibt: »Die Stif-
tung sollte ja ein Schutzschirm für
Unternehmen aus Mecklenburg-Vor-
pommern werden, und wir wollten
nicht, dass amerikanische Sanktions-
wirkungen auf das Land durch-
schlagen.« Und weiter: »Aus diesen
Gründen haben wir eine Stiftung mit
großer Unabhängigkeit vom Land ge-
schaffen.« Das Land hat zugunsten
von Nord Stream 2 auf viele Einfluss-
möglichkeiten verzichtet, etwa den
Vorstand mit Mitgliedern der Landes-
regierung zu besetzen, wie es bei
vielen öffentlichen Organisationen
üblich ist.
Auch in puncto Gemeinnützigkeit
stellte die Stiftung den Umwelt- und
Klimaschutz bisher hintan, wie Sel-
lering höchstpersönlich dem SPIEGEL
bestätigte. Gemeinnützige Stiftungen
haben große finanzielle Vorteile,
unter anderem sind sie von der Kör-
perschaftsteuer, der Gewerbesteuer
und weitgehend der Grundsteuer be-
freit. Doch für die Stiftung Umwelt-
und Klimaschutz MV haben die Ver-
antwortlichen bisher keinen Antrag
auf Gemeinnützigkeit gestellt. Zwar
sei die »gemeinwohlorientierte Kli-

ma- und Umwelttätigkeit ohne Zwei-
fel gemeinnützig«, schreibt Sellering.
Aber: »Wegen des wirtschaftlichen
Geschäftsbetriebs« – also wegen der
Fertigstellung der Pipeline – »haben
wir einen entsprechenden Antrag zu-
rückgestellt.«
Deutlicher kann man Haupt- und
Nebenzweck nicht in eine Rangfolge
bringen. Auch die Opposition ist
überzeugt, dass der Pipelinebau der
vorrangige Zweck der Stiftung war
und sich dieser erledigt hat. Für
Hannes Damm, den energiepoliti-
schen Sprecher der Landtagsfraktion
von Bündnis 90/Grüne, ist diese
Argumentation »der erfolgverspre-
chendste Weg zur Umsetzung des
Landtagsbeschlusses, die Stiftung
aufzulösen«.
Für Ministerpräsidentin Schwesig
könnte die Sache brenzlig werden,
denn sie steht vor einem Dilemma,
weil sie sich Anfang Januar 2021 im
Landtag festgelegt hat: »Hauptzweck
dieser Stiftung ist Klima- und Um-
weltschutz.« Sollte es nur ein Vor-
wand gewesen sein und die Pipeline
nicht nur Nebenzweck, hätte sie das
Parlament getäuscht. Wenn sie darauf
beharrt, dass der Umweltschutz im
Vordergrund steht, wird die Auflö-
sung der Stiftung schwieriger.
Ein Sprecher Schwesigs erklärte
auf Anfrage, Klima- und Umwelt-
schutz sei »das erklärte Ziel zum Zeit-
punkt der Aussage der Ministerprä-
sidentin« gewesen. »Die Stiftung
sollte über viele Jahre Klima- und
Umweltschutzprojekte in Mecklen-
burg-Vorpommern fördern und zeit-
lich begrenzt an der Fertigstellung der
Ostseepipeline mitwirken.« Und wei-
ter: »Mit dem Angriff Russlands auf
die Ukraine ist die Grundlage dafür
entfallen.« Deshalb strebe die Lan-
desregierung eine Auflösung der Stif-
tung an, so der Sprecher.
Warum aber ersetzt Schwesig den
für sie gefährlichen Sellering nicht
durch einen Vorstandsvorsitzenden,
der dieses Ziel mitträgt? Laut Stif-
tungssatzung kann die Regierungs-
chefin dies »jederzeit aus wichtigem
Grund« tun. Danach gefragt, erklärte
Schwesigs Sprecher, die Regierung
habe ein Gutachten in Auftrag gege-
ben, »in dem Wege zu einer Auflö-
sung der Stiftung dargestellt werden
sollen. Darüber werden wir mit dem
Landtag beraten. Daraus ergeben sich
dann die weiteren Schritte«. Eine
Antwort, die keine ist. Was soll der
arme Sprecher auch anderes sagen?
Seine Chefin hat sich festgelegt. Mal
so und mal anders.

habe sich bewusst gegen eine Stiftung
öffentlichen Rechts entschieden, die
deutlich leichter aufzulösen wäre. Bei
einer Stiftung bürgerlichen Rechts
aber habe die Regierung nach der
Überweisung des Stiftungskapitals
»nix mehr zu sagen«. Das stimmt nur
zum Teil. Das Justizministerium
kann eine Stiftung aufheben, wenn
sie das Gemeinwohl gefährdet oder
die »Erfüllung des Stiftungszwecks
unmöglich« geworden ist. Das ist
etwa der Fall, wenn sie überflüssig
geworden ist, weil der Stiftungs-
zweck erfüllt ist.
Legt man dieses Raster an die Kli-
ma- und Umweltstiftung MV, heißt
dies: Nach der Stiftungssatzung ist
vorrangiger Zweck der Klima- und
Umweltschutz, und dieser ist, so se-
hen es Sellering und die Gutachterin,
noch lange nicht erfüllt. Wäre der
Hauptzweck jedoch die Absicherung
des Pipelinebaus gegen mögliche
Sanktionen, wäre der Stiftungszweck
erfüllt. Denn die Pipeline ist fertig.
Für letztere Variante spricht die
große Eile, mit der die Stiftung aus
dem Boden gestampft wurde: an allen
zuständigen Ausschüssen vorbei, im
Schnellverfahren ins Parlament ein-
gebracht, innerhalb eines Tages vom
Justizministerium als rechtsfähig an-
erkannt. Solch eine Hektik wäre für
den Umwelt- und Klimaschutz wohl
kaum nötig gewesen, das Thema
bleibt auch in den kommenden Jahr-
zehnten aktuell. Zeitdruck gab es in
der Gründungsphase der Stiftung nur
wegen des Pipelinebaus, weil US-
Sanktionsdrohungen die Fertigstel-
lung der Gasleitung zunehmend er-
schwerten.
Einen weiteren Hinweis auf den
Pipelinebau als wahren Stiftungs-
zweck gibt eine interne E-Mail an
Schwesigs damaligen Chef der Staats-
kanzlei, Heiko Geue, Anfang 2021,
die das Portal »FragDenStaat« ver-
öffentlicht hat. Darin heißt es, »dass
unsere Einfügungen Naturschutz und
Umweltschutz bei den Stiftungszielen
bei Erwin Sellering auf Gegenwehr
stoßen werden«. Und weiter: »Er
(Sellering –Red.) wollte diese Berei-
che ausdrücklich nicht drinhaben, um
sich nicht mit LM abstimmen zu müs-
sen.« Mit »LM« ist hier offenbar Lan-
desumweltminister Till Backhaus
(SPD) gemeint, mit dem Sellering
schon als Ministerpräsident frem-
delte. Im Klartext: Ausgerechnet den
von ihm heute als wesentlichen
Zweck der Stiftung betonten Umwelt-
schutz wollte Sellering, nach Akten-
lage, nicht im Programm haben.
Selbst die Struktur der Stiftung
wurde offenbar primär auf den Pipe-


»Die Stiftung
sollte ein
Schutzschirm
für Unterneh-
men aus
Mecklenburg-
Vorpommern
werden.«
Innenminister
Christian Pegel

Philipp Kollenbroich, Gunther Latsch,
Jean-Pierre Ziegler n

Nord-Stream-2-
Anlandestation,
Stiftungsvorstand
Sellering: Die
Staatskanzlei ließ
sich aus Russland
vieles diktieren

Jens Büttner / dpa

Hannibal Hanschke / REUTERS
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