Der Spiegel - ALE (2022-04-30)

(EriveltonMoraes) #1

DEUTSCHLAND


32 DER SPIEGELNr. 18 / 30.4.2022


tremisten mit »Gewaltbezug« durch-
leuchten. Bei Verfassungsfeinden, die
unterhalb dieser Schwelle »still und
leise« ihren Geschäften nachgingen
und so die Demokratie unterhöhlten,
könnten »tiefergehende Finanzinfor-
mationen mit den derzeitigen Mitteln
nur selten gewonnen werden«, bekla-
gen die Verfasser des Papiers.
Immer wieder sind die Verfassungs-
schützer auf Tipps anderer Behörden
angewiesen. So erhielt die Financial
Intelligence Unit (FIU) beim Zoll in
den vergangenen fünf Jahren aus dem
Banken- und Finanzsektor 414 Geld-
wäscheverdachtsmeldungen, bei denen
es um Rechtsextremisten ging.
Der FIU-Hinweis mit der Nummer
SV6006 half dem Bundesamt für Ver-
fassungsschutz in Köln-Chorweiler,
einen Blick in das Innenleben des in-
zwischen offiziell aufgelösten völki-
schen »Flügels« der AfD zu werfen –
und eine mutmaßliche schwarze Kas-
se aufzudecken.
Auf einem Konto eines Bundes-
tagsabgeordneten bei der Deutschen
Kreditbank waren laut Verwendungs-
zweck Dutzende Spenden an die Par-
teiströmung eingegangen. Sie stamm-
ten unter anderem von prominenten
AfD-Rechtsaußen wie Björn Höcke.
Bei einer Einzahlung in Höhe von
500 Euro handelte es sich laut Betreff
offenbar um eine Spende von Götz

Kubitschek, der von einem Rittergut
in Sachsen-Anhalt aus die Strippen
im Lager der Neuen Rechten zieht.
Der Inhaber des Kontos bestritt, dass
es sich um ein Spendensammelkonto
für die AfD-Parteiströmung handle.
Warum aber wurde die Kontonum-
mer dann monatelang auf der Web-
site des »Flügels« genannt?
Ebenfalls durch eine Verdachts-
meldung der FIU stießen die Verfas-
sungsschutzämter auf heimliche Fi-
nanziers des Wohnprojekts »Flam-
berg« der »Identitären Bewegung« in
Halle an der Saale. Der Blick in die
Kontobewegungen zeigte: Nicht nur
Rechtsextremisten aus dem ganzen
Bundesgebiet unterstützten die für
die Szene einst symbolträchtige und
inzwischen wieder aufgegebene Im-
mobilie. Eine der größten Spenden
stammte von einem in Brixen in Süd-
tirol lebenden Altnazi. Im Betreff der
Überweisung bezeichnete der Mann
sich als »Heimatschützer«.
In den vergangenen Jahren be-
merkten die Behörden, dass die rechts-
extreme Szene zunehmend versucht,
Grundstücke und Gebäude auf dem
Land zu kaufen. Doch Immobilien-
makler und Notare sind nicht ver-
pflichtet, dem Bundesamt für Verfas-
sungsschutz Auskünfte zu geben. Auch
Geldwäscheverdachtsmeldungen an
den Zoll kommen selten aus dieser
Ecke, wie Kriminalisten beklagen.
Dass in der Szene mitunter hohe
Summen bewegt werden, hat Thürin-
gen in dem 144-seitigen Finrex-Be-
richt vorgerechnet. Demnach waren
vor sechs Jahren Neonazis aus dem
Freistaat an der Organisation des
»Rocktoberfests« im Schweizer Kan-
ton St. Gallen beteiligt, eines der
größten rechtsextremen Konzerte in
Europa. Nach Erkenntnissen des Thü-
ringer Verfassungsschutzes spülte al-
lein der Kartenverkauf rund 130 000
Euro in die Kassen der Neonazis.
Samt Erlösen aus dem Verkauf von
Getränken, CDs oder T-Shirts belie-
fen sich die Einnahmen auf geschätzt
350 000 Euro. Selbst nach Abzug
aller Kosten sei wohl »ein hoher fünf-
stelliger Betrag« als Gewinn in den
Taschen der Organisatoren gelandet,
heißt es in dem Bericht.
Bei den »Tagen der nationalen
Bewegung« 2019 im thüringischen
Themar, bei denen rechtsextreme Sze-
nebands auftraten, geht das Landes-
amt von Ticketeinnahmen in Höhe
von rund 45 000 Euro aus. Weitere
10 800 Euro seien in der Spendenkas-
se der rechtsextremen Partei NPD ge-
landet. Wie hoch die Gagen für die
Musiker waren, ließ sich nicht genau
herausfinden. Der Kopf der Band

E


s war ein Zufallsfund. Bei den
Ermittlungen gegen den Mörder
des CDU-Politikers Walter Lüb-
cke stießen Polizisten auf eine Auto-
grammkarte mit persönlicher Wid-
mung. Der Attentäter Stephan Ernst
hatte sie von Komplott bekommen,
einem rechtsextremen Rapper, der in
einem Lied zum »Heldenkampf« um
die Heimat aufrief. Auch eine Über-
weisung an den Musiker in Höhe von
27,99 Euro entdeckten die Beamten.
Finanzermittler des baden-würt-
tembergischen Verfassungsschutzes
durchleuchteten daraufhin 2020 die
Konten von Komplott. Sie stellten
fest, dass der Mann, der heute als An-
walt in einer Kanzlei der rechten Sze-
ne arbeitet, nicht nur Geld von Fans
seiner CDs und T-Shirts bekam – son-
dern offenbar auch für die »Identitä-
re Bewegung« (IB) sammelte, was er
wie alles andere bestreitet. »IB-Ak-
tion«, »Heil Dir Kamerad« oder
»Spende IB« lauteten Betreffzeilen
von Überweisungen auf sein Konto.
Das Motto »Follow the Money« ist
offenkundig nicht nur bei Mafiaermitt-
lungen oder im politischen Kriminalfall
Watergate hilfreich. »Folge dem Geld:
Das muss besonders für rechtsextreme
Gruppen und Szeneprojekte gelten,
die überraschend große Summen ein-
setzen können«, sagt der Brandenbur-
ger Verfassungsschutzchef Jörg Müller.
»An der Quelle der Finanzströme be-
finden sich die Akteure, die unsere Ge-
sellschaft spalten wollen.«
Doch ein interner Bericht zu »Fi-
nanzströmen und Einnahmequellen
im Rechtsextremismus« (Finrex) für
die Innenministerkonferenz zeigt,
wie selten die Verfassungsschutzbe-
hörden das Instrument bisher nutzen.
Neben dem Bundesamt hat nur eine
Handvoll der Landesämter eigens ge-
schulte Finanzermittler. Und die we-
nigen Experten, die sich um diesen
komplexen Bereich kümmern, sind
offenbar häufig überlastet.
Dazu kommen hohe rechtliche
Hürden. Die Beamten können in vie-
len Fällen nur die Geldströme von Ex-


Die Spur des Geldes


SICHERHEIT Konzerte, Online-Versandhandel, Kampfsportevents: Rechtsextreme


erwirtschaften teils hohe Summen. Doch der Verfassungsschutz kann


die Finanzströme der Szene bislang zu wenig ausleuchten. Das soll sich ändern.


Innenministerin
Faeser: »Propaganda,
Hetze und Radikalisie-
rung stoppen«

Gew altber eit


Rec htsextreme* in
Deutschland

2016 2020

0

10.000

20.00 0

30.00 0

33.30 0

13.300

ges amt
davon
gew altorientiert

* Die Zahlen sind zum Teil
geschätzt und gerundet.
S Quelle: B undes amt für
Ver fassungsschutz

Julia Steinigeweg / Agentur Focus
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