Der Spiegel - ALE (2022-04-30)

(EriveltonMoraes) #1
DEUTSCHLAND

Nr. 18 / 30.4.2022DER SPIEGEL 33

Maik Baumgärtner, Ann-Katrin Müller,
Sven Röbel, Ansgar Siemens,
Wolf Wiedmann-Schmidt n

Blutlinie soll jedoch in einem Briefumschlag
1500 Euro in bar bekommen haben, notierten
die Verfassungsschützer. Immerhin eine wich-
tige Einnahmequelle konnten die Behörden
damals schließen: Sie erließen ein Alkohol-
verbot für das Konzertwochenende, die Poli-
zei beschlagnahmte mehrere Fässer Bier.
Ein weiteres traditionelles Geschäftsfeld
für Rechtsextremisten ist der Musikversand-
handel, deutschlandweit sind hier mehrere
Dutzend Szeneunternehmen aktiv. In einem
Fall, beim zwischenzeitlich in Santa Ponca
auf Mallorca firmierenden Zeughaus, fielen
dem bayerischen Verfassungsschutz Finanz-
daten von 2013 bis 2018 in die Hände. Dem-
nach generierte der Versand in diesen Jahren
366 580 Euro Umsatz. Einen nennenswerten
Gewinn des Unternehmens konnten die
Beamten jedoch nicht entdecken – vielleicht
nur, weil die Ermittlungen nicht tief genug
reichten, wie sie selbstkritisch vermerkten.
In einem anderen Fall vermuten die Be-
hörden, dass ein Versandhandel von einem
Strohmann betrieben wird. Küsten Textil, das
unter anderem Kapuzenjacken mit der
Szenechiffre »88« im Angebot hat, wird of-
fiziell von einem Alleingesellschafter geführt.
Vor einiger Zeit verlegte er den Sitz der Firma
laut Website von Niedersachsen an eine Post-
fachadresse im thüringischen Artern. Ermitt-
lungen legen nahe, dass in Wirklichkeit ein
führender Kopf der rechtsextremen »Ham-
merskins« in dem Versandhandel das Sagen
hat – und regelmäßig Geld vom Geschäfts-
konto an ihn fließt.
Die Verfassungsschutzämter würden die
Finanzströme der Szene gern noch stärker
durchleuchten. Doch der Verwaltungsauf-

wand, um solche Ermittlungen anzustoßen,
sei zu hoch und nehme »unnötig Zeit in An-
spruch«, heißt es in dem internen Finrex-Be-
richt. Zudem fehlt es vielerorts an Personal.
Das baden-württembergische Landesamt
beklagte demnach, dass es mit nur einem Mit-
arbeiter für Finanzermittlungen unterbesetzt
sei und es teils zu »enormen zeitlichen Ver-
zögerungen« komme. Sachsen-Anhalts Ver-
fassungsschutz hat laut dem Papier ebenfalls
nur einen Spezialisten für den Bereich. In
einem Fall hätten die Finanzermittlungen gan-
ze 14 Monate gedauert: 70 Konten bei 23 Ban-
ken im gesamten Bundesgebiet mussten aus-
gewertet werden.
Die Zusammenarbeit mit den Banken läuft
für die Behörden nicht immer optimal. Kri-
minalbeamte berichten, dass Geldhäuser in
Einzelfällen rechtsextremen Kunden mit
einem expliziten Verweis auf ein Straf-
verfahren gekündigt haben – und sie so vor
verdeckten Ermittlungen warnten.
Auch der Verfassungsschutz hat mitunter
Ärger mit den Banken. So lehnte ein Finanz-
institut in Brandenburg eine Anfrage aus
Sachsen-Anhalt zunächst ab, in der falschen
Annahme, die Behörde aus dem Nachbar-
bundesland habe kein Recht, Daten ihrer
Kunden abzufragen.
Die rund 20 Finanzermittler des Bundes-
amts haben außerdem ganz praktische Pro-
bleme: Sie bekommen viele Daten immer
noch nicht digital übermittelt, sondern alt-
modisch per Fax oder Brief. Das Übertragen
ist nicht nur anfällig für Fehler, sondern be-
deutet auch viel Arbeit. Schwierig gestaltet
sich die Zusammenarbeit mit Internetban-
ken – hier verzweifeln Verfassungsschützer

immer wieder daran, den richtigen Ansprech-
partner zu finden. Sitzt die Bank im Ausland,
wird der Erfolg der Ermittlungen vollends
zum Glücksspiel. Dazu kommen Online-Be-
zahldienste wie Stripe oder Patreon sowie
Zahlungen per Bitcoin und anderen Krypto-
währungen, die für die Sicherheitsbehörden
schwer nachzuvollziehen sind.
Eine noch regelmäßigere Zusammenarbeit
der Verfassungsschützer mit der Finanzbran-
che könnte Vertrauen schaffen, heißt es im
Finrex-Bericht. Doch gleichzeitig brauche es
für die »Verstetigung von Finanzermittlun-
gen« im Rechtsextremismus eine »andere
gesetzliche Grundlage«. Auch die Frage, ob
die rechte Szene in Deutschland durch Geld
etwa aus Russland unterstützt wird, haben
die Dienste laut Kennern der Materie noch
nicht systematisch ausgeleuchtet.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser
(SPD) will sich der Probleme nun annehmen.
Vor Kurzem hat sie einen Aktionsplan gegen
Rechtsextremismus vorgestellt. Dieser sehe
auch vor, »dass das Bundesamt für Verfas-
sungsschutz die Aufklärung und Analyse
rechtsextremistischer Finanzaktivitäten deut-
lich ausweitet«, sagte die Innenministerin
dem SPIEGEL. Besonders wichtig sei dabei
der Blick auf die rechtsextreme Kampfsport-
szene, auf Konzerte und Geschäfte mit Szene-
produkten. »Die Finanzquellen von Rechts-
extremisten auszutrocknen«, so Faeser, »ist
von großer Bedeutung, um Propaganda, Het-
ze und Radikalisierung zu stoppen und rechts-
extremistische Gewalt zu verhindern.«

Neonazikonzert im thüringischen Themar: Die Polizei schloss eine wichtige Einnahmequelle – sie beschlagnahmte das Bier

Detlef Müller / Sendung: Rechtsrock in Deutschland / ZDF

Free download pdf