Der Spiegel - ALE (2022-04-30)

(EriveltonMoraes) #1
Nr. 18 / 30.4.2022DER SPIEGEL 43

DEUTSCHLAND

Autor Name, Autor Name, Autor Name, Autor
Name, Autor Name n

Antisemitismus-Debatte auslöste. Die Staats-
anwaltschaft hat ihn inzwischen unter an-
derem wegen Verleumdung angeklagt, of-
fenkundig auch aufgrund Ihrer Analyse von
Videoaufnahmen. Wären die Ermittler vor
20 Jahren zu einem anderen Ergebnis gekom-
men, weil es die heutigen Methoden noch
nicht gab?
Labudde: Natürlich gab es damals schon Ka-
meras in Hotels, aber nicht die technischen
Möglichkeiten. Inzwischen können wir kom-
plexe Taten detailliert rekonstruieren, in Bre-
men etwa hatte die Polizei vor zwei Jahren
eine Frau aus der Weser geborgen, die an eine
Betonplatte gefesselt war. Die Beamten wuss-
ten aber nicht, wie sie dort hingelangt war.
SPIEGEL: Was haben Sie gemacht?
Labudde: Wir haben das gesamte infrage kom-
mende Areal mit einer Drohne und einem
3-D-Scanner abgelichtet und mithilfe privater
Fotos sowie des Obduktionsberichts einen
Dummy gebaut, der von Größe, Proportionen
und Gewicht dem Opfer entsprach. So konn-
ten wir die Situation nachstellen und die zen-
trale Frage klären, von welcher Brücke die
Frau ins Wasser geworfen worden war. Außer-
dem fanden wir heraus, woher die Beton-
platte stammte, mit der die 19-Jährige im Fluss
versenkt wurde.
SPIEGEL: Wie ist Ihnen das gelungen?
Labudde: Mit einem 3-D-Scan vom Haus des
Hauptverdächtigen. Das war zwar seit der
Tat erheblich umgebaut worden, aber wir
konnten rekonstruieren, dass die fragliche
Waschbetonplatte höchstwahrscheinlich mal
ein Teil der Terrasse war. Der Beschuldigte
wurde zu acht Jahren Gefängnis verurteilt,
im Moment läuft noch die Revision.
SPIEGEL: Lässt sich auch die Arbeit der Ge-
richtsmedizin digitalisieren?
Labudde: In der Schweiz gibt es bereits eine
virtuelle Autopsie: die Virtopsie. Die Ober-
fläche eines Körpers lässt sich scannen, hinzu
kommen Daten aus dem Computertomogra-
fen und der Magnetresonanztomografie, dem
MRT. Damit lässt sich der Zustand eines
Leichnams im Computer konservieren. Die-
sen digitalen Dummy kann man dann in ein
3-D-Modell des Tatorts einfügen.


SPIEGEL: Wird die digitale Forensik irgend-
wann die klassische Ermittlungsarbeit er-
setzen?
Labudde: Nein, aber sie wird ein wichtiger
Teil davon sein. Inzwischen ist etwa bekannt,
welche Gene das Aussehen der Nase bestim-
men. In Zukunft wird es vermutlich möglich
sein, mithilfe einer DNA-Spur ein ziemlich
exaktes Phantombild zu erstellen.
SPIEGEL: Kritiker sagen, dass genau solche
Phantombilder eben nicht möglich sein wer-
den, sondern nur Aussagen über die Wahr-
scheinlichkeit, dass der Verdächtige bestimm-
te Merkmale hat.
Labudde: Auf der DNA befinden sich Stellen,
die Informationen über die Gesichtsmorpho-
logie statistisch wiedergeben. Damit lässt sich
schon heute ein Gesicht berechnen, das der
Realität recht nah kommt. Ich rechne damit,
dass sich in Zukunft weitere Möglichkeiten
für die Forensik ergeben werden.
SPIEGEL: Schon heute lassen sich aus einer
DNA-Spur Rückschlüsse auf die Haar-, Au-
gen- und Hautfarbe des Täters ziehen. Diese
Möglichkeiten dürfen Ermittler seit 2019 nut-
zen, aber für weitere Informationen müsste
erneut das Gesetz geändert werden.
Labudde: Als Forscher bedauere ich es, dass
ich manche Informationen aus einer DNA-
Spur nicht verwenden darf und dass es nicht
überall Kameras gibt. Der Bürger in mir weiß:
Es ist gut, dass alles seine Grenzen hat.
SPIEGEL: Sie wollen Tatverdächtige künftig
nur anhand ihrer Statur in Videos identifizie-
ren, da gibt es keine rechtlichen Schranken.
Labudde: Zum ersten Mal ausprobiert haben
wir das bei den Ermittlungen nach dem Dieb-
stahl der riesigen Goldmünze aus dem Berli-
ner Bode-Museum 2017. Die Polizei hatte Auf-
nahmen einer Überwachungskamera, auf der
drei vermummte Personen auf einem Bahn-
steig in Tatortnähe zu sehen waren. Unser
Auftrag war es, mit einem biometrischen Ver-
fahren zu bestimmen, ob es sich um drei Tat-
verdächtige handelte.
SPIEGEL: Worauf haben Sie sich gestützt?
Labudde: Jeder Mensch hat spezifische Pro-
portionen, unterschiedlich lange Arme und
Beine zum Beispiel. Wir haben also digitale
Skelette der Verdächtigen erstellt und diese
in die Videosequenzen gelegt. Das Ergebnis
war deutlich: Es handelte sich offenbar um
die drei Verdächtigen.
SPIEGEL: In dem Gerichtsprozess ließen nicht
nur die Verteidiger, sondern auch das Gericht
Kritik an der Zuverlässigkeit Ihrer Arbeit
durchblicken.
Labudde: Die Methode war völlig neu und
noch nicht komplett ausgereift, wir verbes-
sern sie kontinuierlich. Ich arbeite daran, dass
es schon nächstes Jahr ein Verfahren gibt,
das sich standardisieren lässt. Denn im Prin-
zip ist der Körperbau eines Menschen ähnlich
individuell wie ein Fingerabdruck. Deshalb
wird es künftig keine Rolle mehr spielen, ob
in einem Video das Gesicht einer Person zu
erkennen ist.
Tatort Teufelstalbrücke Interview: Peter Maxwill n


Landespolizeiinspektion Jena

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