Der Spiegel - ALE (2022-04-30)

(EriveltonMoraes) #1

WIRTSCHAFT


66 DER SPIEGELNr. 18 / 30.4.2022


W


irtschaftsprüfer lieben Ver-
schwiegenheit: Über ihre
Kunden kommt den Zahlen-
füchsen, die Firmenbilanzen auf Kor-
rektheit abklopfen, in der Regel nichts
über die Lippen, auch über sich selbst
reden die Prüfer höchst ungern. Ihr
Geschäft ist technokratisch und un-
sexy, das öffentliche Interesse gering.
Es sei denn, ein Skandal zwingt
zur inneren Einkehr und äußeren
Läuterung – wie im Fall Wirecard.
Die Prüfungsfirma EY, vormals Ernst
& Young, hatte jahrelang die Bilanzen
des Schummelkonzerns als un be-
denklich abgestempelt, trotz viel-
facher und deutlicher Warnsignale,
dass es bei Wirecard nicht mit rechten
Dingen zugeht. Der Imageschaden ist
immens, EY-Prüfer machten scharen-
weise zur Konkurrenz rüber, die ju-
ristische Aufarbeitung kann für den
Konzern, der weltweit zu den vier
Größten (»Big Four«) der Branche
gehört, teuer werden.
Jetzt hat sich die Prüfertruppe um
Deutschlandchef Henrik Ahlers ge-
schüttelt und eine Art Leitfaden
publiziert, um ähnliche Desaster zu
verhindern. Auf 44 Seiten hat der
Konzern in 29 Empfehlungen zusam-
mengetragen, was sich ändern soll.
Die Maßnahmen gehen auch auf
eine Kommission unter Ex-Bundes-
finanzminister Theo Waigel (CSU)
und der früheren Justizministerin Bri-
gitte Zypries (SPD) zurück. Die Po-
litgranden sollten mit Blick von außen
Schwächen aufdecken, dafür sorgen,
dass EY die richtigen Schlüsse aus
dem Skandal zieht – und helfen, den
ramponierten Ruf wiederherzustel-
len. Waigel war das bereits bei Sie-
mens gelungen, wo er einst die Auf-
arbeitung des Schmiergeldskandals
überwacht hatte.
Davon träumen sie auch bei EY.
Acht Monate haben Waigel und
Zypries mit den Wirtschaftsprüfern
gearbeitet. Im ersten Halbjahr 2023
sollen sie überprüfen, ob EY realisiert
hat, was beschlossen wurde. »Jetzt
kommt es darauf an, wie all das um-


Projekt Imagepolitur


SKANDALE Der Wirtschaftsprüfer EY hat bei der Kontrolle des kollabierten


Dax-Konzerns Wirecard versagt. Jetzt hat die Führung einen Plan


vorgelegt, der solche Blamagen künftig verhindern – und das Geschäft retten soll.


gesetzt und mit Leben gefüllt wird«,
sagt Waigel.
Die Aufarbeitung ist ein schmaler
Grat. EY steht unter Druck, die Staats-
anwaltschaft München ermittelt wegen
des Verdachts der Beihilfe zum Betrug,
ein Vorwurf, den EY zurückweist.
Wire card-Insolvenzverwalter Michael
Jaffé bereitet eine Klage vor, zahllose
Anleger haben EY auf Schadensersatz
verklagt. Würde sich der Prüfkonzern
mit Veröffentlichungen zur internen
Fehlersuche stark selbst belasten, wäre
das für Ermittler und Kläger ein gefun-
denes Fressen. Jaffé will bis Ende 2022
vor Gericht Einsicht in die Wirecard-
Ermittlungs akten erstreiten und die
Nichtigkeit mehrerer Jahresabschlüsse
feststellen lassen – erst danach wird er
wohl Klage einreichen.
Eine Grundlage für Kläger und
Ermittler ist ein Bericht, den Wirt-
schaftsprüfer Martin Wambach von
der Kanzlei Rödl & Partner im Auf-
trag des Bundestags-Untersuchungs-
ausschusses zu Wirecard erstellt hat-
te. Wambach stellte schwere Ver-
säumnisse fest und unterstellt EY
etwa, gegen Standards des Instituts
der Wirtschaftsprüfer (IDW) versto-
ßen zu haben, was EY bestreitet.
Waigel und Zypries haben den
Wambach-Bericht gesichtet, aber die
Bewertung der EY-Versäumnisse war
nicht ihre Aufgabe. Gleichwohl lesen
sich die Reformpläne wie eine Liste
der Mängel, die EY zum Erfüllungs-
gehilfen der Wirecard-Betrüger mach-
ten. Ob vorsätzlich oder unfreiwillig
müssen Gerichte beantworten.
Herausgekommen ist jedenfalls
ein Sammelsurium an Maßnahmen,
von denen manche dem Zeitgeist ent-
sprechen – weniger Arbeitsbelastung,
mehr Diversität, angstfreie »Speak
up«-Kultur – und andere kaum um-
setzbar scheinen, ohne dass EY deut-
lich mehr Personal einstellt, zu ent-
sprechenden Kosten. Mit dem Risiko,
ökonomisch hinter die Erzrivalen
KPMG, Deloitte und PwC zurückzu-
fallen – und damit im Kampf um Ta-
lente das Nachsehen zu haben. Die

»Big Four« kämpfen mit attraktiven
Gehältern und erfolgsabhängigen
Tantiemen beinhart um leistungs-
willige Kräfte und Partner mit Top-
Unternehmenskontakten.
Dennoch wagt EY den Spagat.
»Qualität geht vor Marge« lautet das
Mantra. »EY sollte im Zweifel auch
mal ein Mandat ablehnen, wenn die
Ressourcen nicht verfügbar sind«,
mahnt Waigel. In der Vergangenheit
seien die Prüfer mitunter zu stark be-
lastet gewesen. Mehr Mitarbeiter und
»gesteuerte« Überstunden sollen für
Entlastung sorgen. Künstliche Intel-
ligenz soll standardisierte Arbeitspro-
zesse übernehmen, damit die Prüfer
mehr Zeit haben, um Betrug und Kor-
ruption bei Mandanten früher zu ent-
decken. Bei Wirecard hatte EY laut
Sonderprüfer Wambach etwa das für
den Zahlungsabwickler essenzielle
Geschäft mit externen Partnern in
Asien nicht hinreichend überprüft.
Personell »deutlich aufgestockt«
werden sollen Risikomanagement
und Revision. Auch daran, so wohl
das implizite Eingeständnis, muss es
bei EY erheblich gemangelt haben,
anderenfalls wäre das Wirecard-De-
saster früher aufgefallen.
Dabei gab es durchaus Wirecard-
Warner bei EY, bloß fanden die intern
kein Gehör. Künftig soll die Whistle-
blower-Hotline sogar Externen offen-
stehen, um »Verstöße und Missstände
jeder Art bei EY« melden zu können.
Wie sichergestellt wird, dass Hinwei-
sen von Whistleblowern konsequent
nachgegangen wird, bleibt in den
Empfehlungen unklar.
Ein »Risk & Audit Quality Board«
soll genauer als bisher prüfen, mit
welchen Mandanten sich EY einlässt


  • was offenkundig ebenfalls vernach-
    lässigt wurde. »Wenn das neue Gre-
    mium gut arbeitet und auch die Revi-
    sion wie geplant gestärkt wird, setzt
    EY damit neue Standards«, glaubt
    Waigel. Besetzt wurde das Gremium
    aus den eigenen Reihen. Es habe be-
    reits verhindert, dass ein Mandat an-
    genommen wurde, das zu einer zu
    hohen Arbeitsbelastung und einem
    Risiko für die Qualität der Prüfung
    geführt hätte, heißt es aus EY-Kreisen.
    Der Umbau kostet Geld, das EY
    teils durch höhere Prüfgebühren ein-
    spielen will. Außerdem will man sich
    auf Aufträge konzentrieren, die mehr
    Rendite abwerfen. Das meiste Geld
    verdient EY indes nicht mit Bilanz-
    prüfung, sondern mit Unternehmens-
    beratung. Damit das so bleibt, muss
    die Reputation wiederhergestellt wer-
    EY-Chef Ahlers, Ex- den. Und zwar schnell.
    Ministerin Zypries,
    Ex-Minister Waigel


Tim Bartz, Martin Hesse,
Gerald Traufetter n

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