Der Spiegel - ALE (2022-04-30)

(EriveltonMoraes) #1
WIRTSCHAFT

Nr. 18 / 30.4.2022DER SPIEGEL 69

namens @tesla_truth, der heute ge-
sperrt ist, habe ihn daraufhin beleidigt
und Lügen über sein Privatleben ver-
breitet. Greenspan wettete auch mit
Leerverkäufen Geld auf einen Ab-
sturz der Tesla-Aktie. Musk bezeich-
nete ihn daraufhin öffentlich als geis-
teskrank. Seitdem werde er perma-
nent von Fans des Unternehmers
belästigt, erzählt Greenspan.
Auch als Alleineigentümer in spe
hält sich Musk auf der Plattform nicht
zurück, im Gegenteil. Mitte dieser
Woche sprudelten seine Beiträge nur
so. Seine Tweet-Tiraden richteten sich
unter anderem gegen das bisherige
Topmanagement, und sie lassen er-
ahnen, worauf Musk hinauswill,
wenn er das Sagen hat. Am Mittwoch
teilte Musk ein Meme, mit dem er
Vijaya Gadde attackierte, Twitters
Chefjuristin und eine der Verantwort-
lichen für die bisherigen Modera-
tionsregeln auf der Plattform. Das
Bild verkürzte eine Diskussion zwi-
schen Gadde und dem rechten US-
Podcaster Tim Pool so, dass die Ma-
nagerin darin schlecht wegkommt.
Seit Musk die gebürtige Inderin ins
Visier genommen hat, wird sie auf
Twitter rassistisch beleidigt.
Für sich selbst kennt Musk kaum
Grenzen, seine Wortmeldungen wir-
ken oft impulsiv, aufbrausend, unbe-
dacht: Maßnahmen gegen die Pande-
mie nannte er faschistisch, Kanadas
Premier Justin Trudeau verglich er
wegen seines Verhaltens angesichts
der Lkw-Fahrer-Proteste im Februar
mit Adolf Hitler, Twitters aktuellen
Chef Parag Agrawal mit Josef Stalin.
Seinen angeblichen Plan, Tesla
von der Börse zu nehmen und bereits
eine Finanzierung dafür zu haben,
verkündete Musk 2018 nicht artig via
Börsenmitteilung, sondern über einen
flotten Tweet. Weil die Finanzierung
keineswegs gesichert war, klagten
Tesla-Aktionäre. Die Prozesse in der
Affäre ziehen sich bis heute. Ein Rich-
ter warf Musk kürzlich vor, seine
Tweets seien »rücksichtslos und be-
wusst falsch« gewesen. Musk wider-
sprach dem Vorwurf bei einem öffent-
lichen Auftritt und beschimpfte die
amerikanische Finanzaufsicht als
»Bastarde«.
Es ist vielsagend, wer Musks Ver-
sprechen nun bejubelt und die Über-
nahme feiert – es sind vor allem
rechtskonservative und libertäre
Kreise. Seit der Deal bekannt ist,
rückt Twitters Nutzerschar offenbar
eher nach rechts: Die extremistische
US-Republikanerin Marjorie Taylor
Greene etwa gewann binnen Tagen
rund 155 000 Follower dazu, Donald
Trump Jr. mehr als 305 000. Die An-

hängerschar der demokratischen Vize-
präsidentin Kamala Harris oder des
linken Senators Bernie Sanders
schrumpfte hingegen. Trump-Fans
setzen darauf, dass Musk als Allein-
eigentümer den Account des Ex-Prä-
sidenten wieder zulässt, der wegen
Anstiftung zur Gewalt im Januar 2021
gesperrt wurde. Egal wie Musk ent-
scheidet, er greift damit in bevorste-
hende US-Wahlkämpfe ein.
Und was, wenn er sich für die pri-
vaten, bislang unverschlüsselten Di-
rektnachrichten von Politikern, Ver-
tretern von Aufsichtsbehörden oder
die seiner vielen Wettbewerber inte-
ressiert? Oder deren Aufenthaltsorte,
die die Twitter-App abfragt? Was,
wenn er die Algorithmen nach seinen
Interessen und Vorstellungen »opti-
mieren« lässt? Die Möglichkeiten für
Missbrauch sind enorm, das haben
die Datenskandale der vergangenen
Jahre gezeigt. Manche Befürchtungen
scheint Musk ernst zu nehmen, zu-
mindest versprach er Algorithmen
offenzulegen. Mitte der Woche
schrieb er, Direktnachrichten sollten
künftig verschlüsselt werden, »damit
niemand Ihre Nachrichten ausspio-
nieren oder hacken kann«.
Hinzu kommen zahllose mögliche
Interessenkonflikte. Tesla betreibt ein
Werk in Shanghai, China ist der
zweitwichtigste Absatzmarkt für den
Autobauer. Offiziell ist Twitter dort
verboten, viele Bürger umgehen die
Sperre jedoch. Hunderte Bürger wur-
den aufgrund ihrer Tweets bereits zu
Haftstrafen verurteilt. Wie wird, wie
kann Musk reagieren, wenn chinesi-
sche Behörden die Preisgabe von Nut-
zerdaten fordern?
Schon jetzt ruft die Machtballung
in den Händen des Multimilliardärs
die Politik auf den Plan. US-Senato-
rin Warren und ihr Kollege Ed Mar-
key fordern Gesetze, die Twitters
Algorithmen kontrollieren und die
Privatsphäre der Nutzer schützen. In
Europa erinnerten EU-Kommissar
Thierry Breton und der deutsche Jus-
tizminister Marco Buschmann Musk
daran, dass das neue Digitale-Diens-
te-Gesetz, auf das man sich in der EU
erst am Wochenende geeinigt hatte,
natürlich auch für Twitter gelten
werde. Das Paket sieht wie das in
Deutschland bereits geltende Recht
unter anderem Regeln für die Inhalte-
moderation vor – jenen Bereich also,
den Musk lieber laxer hand haben
würde.
Die Techriesen stehen wegen ihrer
Probleme mit Hassrede und Desinfor-
mation weltweit unter scharfer Be-
obachtung. Meta-Chef Mark Zucker-
berg etwa wurde von der EU und vom

US-Kongress mehrfach zu hochnot-
peinlichen Anhörungen vorgeladen
und zu Zugeständnissen gezwungen.
Facebook stellte in der Folge zahl-
reiche neue Mitarbeiter ein, die In-
halte prüfen – und löschen.
Musks erste Ankündigungen, die
Inhaltemoderation abschwächen zu
wollen, klingen da wie eine Kampf-
ansage. Bei nächster Gelegenheit
dürfte der Mann mit dem legendär
losen Mundwerk ebenfalls vor Parla-
mentsausschüsse zitiert werden.
Viel wird davon abhängen, welche
Rolle er selbst bei Twitter übernimmt.
Wirklich unabhängige, starke opera-
tive Unternehmenschefs gibt es in
seinem Imperium bislang nicht. Ein
weiterer Chefposten, dazu in einer
derart heiklen Branche, könnte selbst
für den Multitasker der eine Job zu
viel sein. Die Tesla-Aktionäre schei-
nen genau das zu befürchten: Seit
Musks Interesse an Twitter Anfang
April bekannt wurde, ist der Tesla-
Kurs um rund 25 Prozent gefallen.
Leicht würde der Job für den Kon-
trollfreak jedenfalls nicht. Anders als
seine bisherigen Unternehmungen
entzieht sich die Plattform einem
autoritären, durchregierenden Füh-
rungsstil. Twitter lebt vom Engage-
ment seiner Nutzerinnen und Nutzer,
von ihren Tweets und Threads. Man-
che reagieren auf den Eignerwechsel
höchst sensibel.
Und so könnte sich Twitter als
Musks bislang riskanteste Wette er-
weisen. Wenn er seine »Antizensur«-
Pläne wahr macht und der Umgang
auf der Plattform noch toxischer wird
als bisher, wäre das auch Gift fürs Ge-
schäft. Twitters wesentlicher Umsatz-
bringer ist Werbung. Die Kunden von
»Sponsored Tweets« aber wollen ihre
Produkte nicht inmitten immer neuer
Shitstorms anpreisen. Auch neue
Abo modelle dürften in dem Umfeld
schwer gedeihen – wenn es überhaupt
zahlungsbereite Nutzerinnen und
Nutzer gibt. Das bisherige Premium-
Angebot für knapp drei Dollar mo-
natlich wird kaum nachgefragt. Der
Deal aber bürdet dem Unternehmen
13 Milliarden zusätzliche Schulden
auf, nach Berechnungen von Exper-
ten führt das zu einer Zinslast von
rund einer Milliarde Dollar jährlich.
Mit einem Massenexodus von
Werbekunden und Nutzern wäre dies
kaum zu stemmen, das weiß Musk.
In einer seiner ersten Wortmeldungen
nach dem Deal schrieb der künftige
Eigentümer, er hoffe, dass selbst seine
schlimmsten Kritiker auf der Platt-
form bleiben. Es klang fast ein wenig
flehentlich.

Tech-Deals


Ausgewählte
Übernahmen, in Mrd.
Dollar*

Twitter , 2022 geplant

Slack, 2021

Linked In, 2016

WhatsApp, 2014

Tab leau, 2019

Sk ype, 2011

GitHub, 2018

YouTube, 2006

Tumblr, 2013

Instagr am, 2012

44,0

28,0

26,0

22,0

15,7

8,5

7,5

1,7

1,1

1,0

* gerundet
S Quelle: Eigene Rec herc he


  • 155 000


Marjorie Taylor
Greene Alexander Demling, Marcel Rosenbach n

Zuwächse bei rechten
Twitter-Konten seit
Ankündigung der Über-
nahme durch Musk

Ron DeSantis


  • 300 000


Donald Trump Jr.


  • 305 000


J. Bazemore / AP; P. Hennessy / ZUMA Wire / IMAGO; R. Ellis / ZUMA PRESS / dpa

Free download pdf