Der Spiegel - ALE (2022-04-30)

(EriveltonMoraes) #1

WIRTSCHAFT


70 DER SPIEGELNr. 18 / 30.4.2022


SPIEGEL: Herr Buch, können Sie den
rund eine Million Vonovia-Mieterin-
nen und -Mietern zusichern, dass sie
es im kommenden Winter warm ha-
ben werden?
Buch: Mit 100-prozentiger Sicherheit
kann das niemand versprechen. Die
Politik hat zwar europaweit geregelt,
dass im Fall von Engpässen bei der
Gasversorgung private Verbraucher
als Letzte abgeschaltet werden. Was
im Einzelnen geschieht, wenn bei-
spielsweise der Druck im Netz ab-
fallen sollte, ist aber noch nicht
absehbar. Wir machen uns schon
Sorgen. Aber wir sehen, dass die
Bundesregierung sehr besonnen han-
delt, um die Menschen und daher
auch die Wirtschaft in diesem Land
zu schützen.
SPIEGEL: Wie viele der rund 565 000
Vonovia-Wohnungen verfügen über
eine Gasheizung?
Buch: Ungefähr 200 000. Dazu kom-
men etwa 100 000 Wohnungen, die
an Fernwärme aus Gaskraftwerken
angeschlossen sind.
SPIEGEL: Mit welchen Preiserhöhun-
gen müssen die Gaskunden rechnen?
Buch: Das ist schwer vorauszusehen.
Sicher ist nur: Wir müssen uns jetzt
alle mit dem Thema beschäftigen. Wer
seine Vorauszahlung für die Neben-
kosten nicht erhöht, auf den werden
im nächsten Jahr hohe Nachforderun-
gen zukommen. Für den einen oder
anderen Mieter könnte das bis zu zwei
Monatsmieten ausmachen.
SPIEGEL: Je stärker die Nebenkosten
steigen, umso weniger Spielraum hat
Vonovia, die Kaltmiete zu erhöhen,
weil viele Mieter überlastet sind. Ihr
Geschäftsmodell allerdings setzt ein
stetiges Mietwachstum voraus.
Buch: Vermieter legen die Mieten ja
nicht frei fest. Entscheidend ist doch,
wie sich der Mietspiegel entwickelt.
Wenn die Baukosten zweistellig
wachsen, wie es derzeit geschieht,
und insgesamt die Inflation zulegt,
dann werden auch die Mieten steigen.
Das geht gar nicht anders, das war


»Wenn die Inflation zulegt,


steigen auch die Mieten«


IMMOBILIEN Rolf Buch, 57, Chef des Wohnungskonzerns Vonovia, warnt vor


dem nächsten Winter und erklärt, warum die Häuserpreise bald fallen könnten.


bereits in den Siebzigerjahren so. His-
torisch betrachtet, laufen die Mie-
ten mit Zeitverzögerung der Infla-
tion hinterher.
SPIEGEL: Wie lange dauert es, bis
Vonovia von Erdgas unabhängig ist?
Buch: Unser Ziel lautet, den Woh-
nungsbestand bis 2045 klimaneutral
zu machen. Wir müssen diese Trans-
formation noch beschleunigen. Aber
klar ist: So schnell werden wir von
Erdgas nicht loskommen. Immerhin
wissen wir, welche Lösungen wir
brauchen: vor allem Fotovoltaik und
Wärmepumpen. Natürlich benötigen
wir dafür auch das nötige Material
und Personal.
SPIEGEL: Dort gibt es überall Engpäs-
se. Was ist besonders knapp?
Buch: Langfristig ist wahrscheinlich
der Fachkräftemangel das größte Pro-
blem. Wir haben gerade Elektriker
aus Kolumbien rekrutiert. Auch für
viele andere Handwerksberufe be-
nötigen wir dringend Nachwuchs aus
dem Ausland.
SPIEGEL: Und in Europa gibt es dafür
keine geeigneten Kräfte?

Buch: Die Sanierung des Gebäude-
bestands betrifft alle europäischen
Staaten, die Pläne der EU-Kommis-
sion für mehr Klimaschutz gelten ja
überall. Polen, die auf deutschen Bau-
stellen arbeiten, werden auch daheim
gebraucht.
SPIEGEL: Laut dem Brüsseler »Green
Deal« müssen bis 2030 die 15 Prozent
Gebäude mit den schlechtesten Effi-
zienzwerten als erste saniert werden.
Wie teuer wird das für Sie?
Buch: Wir haben kein Problem damit.
2030 werden wir solche Wohnungen
nicht mehr haben. Wir modernisieren
seit Jahren kontinuierlich unseren Be-
stand, wir haben einen Vorsprung im
Vergleich zu anderen Unternehmen.
SPIEGEL: Ist die EU-Strategie über-
haupt sinnvoll? Selbst Bundesbau-
ministerin Klara Geywitz (SPD) findet
es problematisch, wenn mit viel Ka-
pitaleinsatz die schlechtesten Gebäu-
de zuerst saniert werden.
Buch: Ich halte das »Worst First«-
Prinzip, also mit den größten CO 2 -
Schleudern anzufangen, für eine lo-
gische Herangehensweise. In einem
Punkt hat die Ministerin recht: Es gibt
Häuser, bei denen eine Sanierung
zu aufwendig wäre. Im Moment sind
wir zu fixiert auf den CO 2 -Ausstoß im
Betrieb. Wir sollten den gesamten Zy-
klus berücksichtigen, von der Errich-
tung eines Gebäudes bis zum Abriss.
SPIEGEL: Wenn Vonovia mit der Sa-
nierung seiner Wohnungen tatsäch-
lich so fortgeschritten ist, warum per-
formt die Aktie dann seit Monaten so
schlecht?
Buch: Die langfristigen Investoren sind
uns treu, sie erwarten dauerhaft stei-
gende Mieten, die sich mit etwas Zeit-
verzug an die Inflation anpassen. An-
deren Anlegern mögen unsere aktu-
ellen Renditen angesichts der hohen
Inflationsrate zu niedrig erscheinen.
SPIEGEL: Werden Sie von Ihren In-
vestoren gedrängt, im Kampf gegen
den Klimawandel aktiver zu werden?
Buch: Wir spüren den Druck sehr
stark. Etwa vom norwegischen Staats-
fonds, einem unserer größten Aktio-
näre. In unseren Gesprächen geht es
mittlerweile mehr darum, wie wir
CO 2 einsparen können, als um die
Frage, ob wir unsere wirtschaftlichen
Ziele erreichen. Hier haben sich die
Prioritäten bei vielen Akteuren am
Kapitalmarkt deutlich verschoben.
SPIEGEL: Meidet mancher Investor
Ihr Unternehmen, weil er sich vor
sogenannten Stranded Assets fürch-
tet, also Immobilienvermögen, das
massiv an Wert verliert, weil es hoch-
gradig sanierungsbedürftig ist?
Buch: Bei uns spielen »Stranded As-
sets« keine Rolle, wir sanieren jähr-

Teurer
Wohnen

Mieten in Deutsch-
land, Durchschnitts-
preise* in Euro je
Quadratmeter

* inserierte Angebotspreise
S◆Quelle: Empirica

Q1 2022
,

,

jeweils
+%
gegenüber
Q1 2004

2004 2022

0

3

6

9

12

Neubau
alle Baujahre

Manager Buch
Julia Sellmann
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