Der Spiegel - ALE (2022-04-30)

(EriveltonMoraes) #1

AUSLAND


84 DER SPIEGELNr. 18 / 30.4.2022


Dodiks Plan
läuft auf die
Zerstörung
des Staates
hinaus.

Putins Brüder


KONFLIKTE Während die Welt auf die Ukraine schaut, zündelt der russische


Machthaber auch auf dem Balkan. Ein serbischer Separatistenführer


destabilisiert Bosnien und Herzegowina – mit Rückendeckung aus Moskau.


I


m österreichischen Außenminis-
terium hat man feine Antennen
für die neuesten Signale aus dem
Osten und Südosten Europas. Immer-
hin wurde das ukrainische Lwiw, da-
mals Lemberg, genauso wie Sarajevo
oder Banja Luka in Bosnien bis 1918
von Wien aus regiert.
Deshalb blickt man dort in diesen
Tagen mit Sorge nicht nur auf die
Ukrai ne, sondern ebenfalls auf den
Westbalkan. »Wir alle wissen, dass
Moskau die Möglichkeit hat, auch in
anderen Weltgegenden Probleme zu
verursachen«, sagt Alexander Schal-
lenberg, Österreichs Chefdiplomat.
Auf dem Balkan, so der Außenminis-
ter, sei derzeit Bosnien und Herzego-
wina besonders gefährdet.
Würde sich der Konflikt von der
Ukraine auf das Gebiet Ex-Jugosla-
wiens ausweiten, wären die Auswir-
kungen für Europa verheerend, warnt
Schallenberg: »Wenn es am Westbal-
kan kracht, dann trifft es sozusagen
den Innenhof der EU.« Die verblei-
benden sechs Nicht-EU-Länder auf
dem Balkan müssten schnellstmöglich
in die Union integriert werden: »Das
ist Selbstschutz, kein Altruismus.«
In der Tat sind die Signale beun-
ruhigend, die derzeit aus Gebieten
kommen, in denen Serben leben – das
orthodoxe Brudervolk der Russen.
Außer auf Serbien selbst trifft das auf
Bosnien zu, auf das Kosovo, Monte-
negro und Nordmazedonien. Vor
allem in der mehrheitlich serbischen
Teilrepublik Bosniens, in der Repu-
blika Srpska (RS), droht Unheil. Der
starke Mann dort, Milorad Dodik,
intensiviert seit Monaten mit dem
Segen Moskaus sein langjähriges Pro-
jekt: die Loslösung der RS aus dem
Gesamtstaat.
Zwar repräsentiert er selbst Bos-
nien und Herzegowina als Mitglied
des dreiköpfigen Staatspräsidiums,
spricht aber gleichzeitig von einer
»Missgeburt« oder einem »Teufels-
staat«. »Es lebe Serbien, es lebe Russ-
land, es lebe die Republika Srpska«,
tönte Dodik Mitte April vor Anhän-


gern in Bijeljina – ohne Bosnien auch
nur mit einem Wort zu erwähnen.
Exakt 30 Jahre nach Ausbruch des
Bosnienkriegs, in dem an die 100 000
Menschen ihr Leben ließen, nehmen
die Warnungen vor einem weiteren
bewaffneten Konflikt im ehemaligen
Jugoslawien zu. Von einer kriegs-
fähigen Achse, die von Moskau über
Belgrad in die RS-Hauptstadt Banja
Luka reicht, ist die Rede und davon,
dass sich großserbische Separatisten
der Unterstützung aus dem Kreml
sicher sein könnten.
Nato-Generalsekretär Jens Stol-
tenberg erwähnte ausdrücklich Bos-
nien in seiner Risikoanalyse Anfang
April. Und Živko Budimir, einst
kroatischer Vertreter im Staatspräsi-
dium, geht sogar davon aus, dass
der Kreml im Fall einer Unabhängig-
keitserklärung der serbischen Teil-
republik dem neuen Miniatur-Staats-

Serbenführer
Dodik

gebilde seinen diplomatischen Segen
geben würde.
Wagt Wladimir Putin es, das Mo-
dell der ukrainischen »Volksrepubli-
ken« Donezk und Luhansk auf bos-
nischem Boden zu wiederholen?
Seit vergangenem Herbst blockiert
die Republika Srpska auf Geheiß
Dodiks die meisten gesamtstaatlichen
Institutionen. Mehr als 200 Gesetze
und Rechtsakte wurden außer Kraft
gesetzt. Die RS, die etwa die Hälfte
des Staatsgebiets einnimmt, will sich
eine eigene Armee zulegen und sich
der Justiz wie den Steuerbehörden des
Gesamtstaats nicht mehr unterordnen.
Der Plan läuft auf nichts anderes
hinaus als auf die Zerstörung jenes
zerbrechlichen Gebildes, das bei
Kriegsende 1995 durch das Dayton-
Abkommen geschaffen wurde: ein
föderales Bosnien und Herzegowina,
in dem muslimische Bosnjaken, Ser-
ben und Kroaten unter einem ge-
meinsamen Dach nach gemeinsamen
Regeln leben sollten.
Ein Attentat in Sarajevo löste 1914
den Ersten Weltkrieg aus. In und um
Sarajevo tobte drei Generationen
später der blutigste aller jugoslawi-
schen Zerfallskriege. Welche Lehren
hat die Welt daraus gezogen?
Die EU-Militärmission Eufor
Althea hat ihr Personal um fast das
Doppelte aufgestockt. Die USA und
Großbritannien verhängten Sanktio-
nen gegen Dodik und andere RS-Spit-
zen. Die Europäische Union hingegen
scheut bisher davor zurück: Ein Veto
nicht nur von Viktor Orbáns Ungarn,
sondern auch aus Kroatien stünde zu
erwarten.
Unter dem Vorwand, die kroa tische
Bevölkerung vor allem in der Herze-
gowina werde benachteiligt, macht
deren Wortführer Dragan Čović im-
mer wieder gemeinsam mit Dodik
Front gegen die Institutionen des Ge-
samtstaats. Die mit der Europäischen
Volkspartei verbündete Kroaten-Par-
tei HDZ unterstützt ihn mit Lobby-
arbeit in Brüssel.
Die Bundesregierung legte vorver-
gangene Woche 105 Millionen Euro
schwere Investitionen in Dodiks
Reich vorläufig auf Eis – ein Warn-
schuss. Und Christian Schmidt, Ho-
her Repräsentant der internationalen
Gemeinschaft in Bosnien, nutzte An-
fang April erstmals seine »Bonner
Befugnisse«: Er erklärte eines der
serbischen Gesetzgebungsprojekte
für null und nichtig. Auf einer Kund-
gebung in Banja Luka am vorvergan-
genen Mittwoch sangen daraufhin
Demonstranten unter den Augen von
Dodik Schmählieder samt Mord-
Vladimir Zivojinovic / DER SPIEGELdrohungen gegen Schmidt.
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