Der Spiegel - ALE (2022-04-30)

(EriveltonMoraes) #1

SPORT


96 DER SPIEGELNr. 18 / 30.4.2022


I


m Spiel bei Lazio Rom lief schon
die Nachspielzeit, als Zlatan
Ibrahimović, 40, ein Kopfball­
duell gewann und Sandro Tonali, 21,
den Ball rückwärts fallend zum 2:1
im Tor unterbrachte. Alt und Jung,
Legende und Zukunft, Ekstase beim
Jubel vor den mitgereisten Anhän­
gern  – den AC Milan umgibt dieser
Tage ein Flirren: das frischeste Team
der Liga, der vielleicht einzige Hoff­
nungsschimmer des krisengeplagten
italienischen Fußballs. Auch dank To­
nalis Tor winkt Milan nun die erste
Meisterschaft seit elf Jahren.
Nicht der schlechteste Moment,
um einen Klub zu verkaufen. Die
Mailänder sind zu einem der attrak­
tivsten Spekulationsobjekte der Fuß­
ballbranche geworden.
Während die Anhänger dem Saison­
finish entgegenfiebern, steht der drit­
te Eigentümerwechsel in fünf Jahren
an. 2017 verkaufte der ehemalige Re­
gierungschef Silvio Berlusconi für
rund 740 Millionen Euro den Verein
an den mysteriösen Chinesen Li
Yonghong. Li finanzierte das Geschäft
mit Krediten des Hedgefonds von
Paul Elliott Singer. Als er 2018 eine
Rückzahlungsrate nicht bedienen
konnte, fiel der Klub vertragsgemäß
an Singers Hedgefonds Elliott.
Die Amerikaner machten, was
Heuschrecken so tun: Sie restruktu­
rierten, um möglichst bald mit Ge­
winn wieder zu verkaufen. Die Kon­
ten wurden saniert, ein neues Ma­
nagement mit der Klubikone Paolo
Maldini installiert, ein junges Team
aufgebaut, das von erfahrenen Spie­
lern gestützt wird. Diese Saison spiel­
te Milan erstmals nach sieben Jahren
Verfall wieder in der lukrativen
Champions League. Elliott kann sich
auf einen satten Gewinn freuen.
Denn jetzt kommt Bahrain.
Täglich rechnen Insider mit dem
»Signing«, also den verpflichtenden
Kaufunterschriften unter den Über­
nahmevertrag durch den rund 40 Mil­
liarden Euro schweren Fonds Invest­
corp. 1,18 Milliarden Euro wollen sich
die vom ehemaligen Kampfpiloten
Mohammed Mahfoodh Al Ardhi


geleiteten Investmentexperten den
Klub angeblich kosten lassen. Anders
als bei den übrigen Fußball­Groß­
investoren vom Persischen Golf wie
Katar (Paris Saint­Germain), Abu
Dhabi (Manchester City) oder Saudi­
Arabien (Newcastle United) handelt
es sich nicht um eine staatliche Hol­
ding, die Einnahmen aus Rohstoffver­
käufen anlegen will. Investcorp ver­
waltet Privatvermögen der Scheichs
und soll es tunlichst mehren.
Die Italiener kennen den Fonds
schon von ihrer anderen großen Lei­
denschaft – der Mode. Ende der Acht­
ziger­ und Anfang der Neunzigerjah­
re übernahm Investcorp schrittweise
für insgesamt rund 340 Millionen
Dollar das damals kriselnde Label
Gucci. Wenige Jahre später verkaufte
es die Luxusmarke für rund das
Sechsfache weiter.
Wie einst bei Gucci geht es auch
bei Milan um ein gefallenes Tradi­
tionshaus. Die zweitmeisten Cham­
pions­League­Titel (sieben), der Trai­
nerrevolutionär Arrigo Sacchi und
Stars wie Marco van Basten, Andrea
Pirlo oder jahrzehntelang Maldini
machten den Klub zu einer populären
Weltmarke.
Bis der darbende Calcio, der ita­
lienische Fußball, viele Vereine he­
runterzog – darunter auch Milan. Ein
Heer an internationalen Investoren
witterte preiswerte Schnäppchen. Al­
lein aus Amerika wurden in den ver­
gangenen drei Jahren sechs Vereine
der Serie A übernommen. Aktuell

Die Gucci-Connection


FUSSBALL Ein Investmentfonds aus Bahrain will beim AC Mailand einsteigen.


Viele Anhänger setzen große Hoffnungen in den Verkauf ihres Vereins.


Florian Haupt n

sind 9 der 20 Erstligisten in ausländi­
scher Hand, darunter Inter (Suning,
China), AS Rom (Dan Friedkin, USA)
und Florenz (Rocco Commisso,
USA), also weitere drei der »sieben
Schwestern«, wie die italienischen
Spitzenklubs genannt werden.
Warum ausgerechnet Italien? Für
gute Geschäfte in England sind die In­
vestoren zu spät dran, die Preise sind
explodiert. In Deutschland geht wenig
wegen der 50+1­Regel, in Spanien sind
Barcelona und Real Madrid zu 100 Pro­
zent Mitgliedervereine, und in Frank­
reich ist die Fußball begeisterung nicht
annähernd so ausgeprägt wie in Italien,
das zudem noch vier feste Champions­
League­Plätze bieten kann.
Dafür nehmen die Investoren ei­
niges in Kauf: Die Serie A findet zu­
meist in maroden, halb leeren Stadien
statt. Das schmälert nicht nur die
Spieltagseinnahmen, sondern auch
das Interesse der Sponsoren. Vor al­
lem fehlen attraktive Bilder aus den
Stadien. Und so ist die Serie A bei den
jährlichen Fernsehgeldern hinter die
Bundesliga (1,5 Milliarden Euro) zu­
rückgefallen; Spanien und das domi­
nante England sind sowieso enteilt.
Der Calcio steht stellvertretend für
verkrustete Strukturen und Zukunfts­
feindlichkeit. Die Stadionfrage in
Mailand gilt als Paradebeispiel für
den Reformstau. Das berühmte San
Siro ist seit neun Jahren Gegenstand
einer Dauerfehde zwischen Klubs,
Politik und Bürokratie. Favorisiert
wurde mal eine Generalrenovierung,
dann ein Neubau nebenan, mit nichts
wurde begonnen. Zuletzt verdichte­
ten sich die Anzeichen, dass Milan
mit einem Bau in den Vorort Sesto
San Giovanni umziehen könnte.
Bei so vielen Problemen hält sich
das Murren über die Investoren aus
Arabien in Grenzen. Anders als etwa
in Deutschland gehören Fußball und
Kapitalismus in Italien wie selbstver­
ständlich zusammen, die meisten Ver­
eine werden seit je von Privatper­
sonen geführt. Und dass die mit der
Globalisierung öfter aus dem Ausland
kommen, kennt man aus anderen Sek­
toren. Jahrzehntelange Folklore wie
der rauchende Inter­Patron Massimo
Moratti oder Berlusconis Hubschrau­
berbesuche beim Milan­Training sind
Bilder aus einer untergegangenen
Welt – das klassische Mäzenatentum
konnte den defizitären Fußball nicht
mehr finanzieren.
In Mailand sehen viele Fans den
Einstieg von Bahrain eher als Fanal
für die Rückkehr zu großen Zeiten.
Jetzt muss es nur noch laufen wie bei
Gucci.

Milan-Profi
Ibrahimović im April
in Rom: Attraktives
Spekulationsobjekt

Giuseppe Maffia / NurPhoto / picture allianceGiuseppe Maffia / NurPhoto / picture alliance

Die
Vorbesitzer

Berlusconi, 1986–2017

Li, 2017–2018

Singer, seit 2018

Gribaudi / Image Photo / IMAGO

Remy Steinegger / picture alliance / dpa

Matteo Bazzi / epa
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