Der Spiegel - ALE (2022-04-30)

(EriveltonMoraes) #1

98 DER SPIEGELNr. 18 / 30.4.2022


WISSEN


Eine Reise ins All und der Blick auf die Erde werden für viele Menschen ein Traum bleiben. Viel realistischer und deutlich günstiger ist dagegen eine
Reise nach Tokio. Im dortigen Nationalen Museum für aufstrebende Wissenschaft und Innovation können die Besucher einen Blick auf den
»Geo-Cosmos« werfen, einen Globus mit sechs Meter Durchmesser. Der künstliche Blaue Planet wurde nun mit 10 362 neuen LED-Panels aus-
gerüstet, die für noch realistischere Wolken- und Vegetationsdarstellungen sorgen sollen.


Feldversuch auf der Autobahn


ANALYSE Sorgt ein Tempolimit für mehr Sicherheit?


Autolobbyisten waren erbost, dass ab dem 1. September 1957
innerorts nur noch maximal Tempo 50 gefahren werden sollte:
»Der Fortschritt der Zivilisation kostet Opfer«, versuchten sie
die hohe Zahl der Verkehrstoten zu rechtfertigen. Heute gibt es
allenfalls noch Widerstand gegen Tempo-30-Zonen – vor allem
aber gegen ein generelles Limit auf der Autobahn, über das
derzeit wieder gestritten wird. Die Befürworter argumentieren,
langsamer zu fahren helfe, Sprit zu sparen und die Abhängigkeit
vom russischen Öl zu verringern. Doch es heißt auch, dass ein
Tempolimit für mehr Sicherheit sorge. Stimmt das wirklich?
Klar ist, dass die Zahl der Unfallopfer in den vergangenen
Jahrzehnten auch ohne Tempolimit auf der Autobahn stark
zurückgegangen ist. Siegfried Brockmann, Leiter der Unfall-
forschung der Versicherer, führt das auf Assistenzsysteme und
stabilere Fahrzeugkonstruktionen zurück. Doch es seien auch
strengere Regeln, die Leben retteten. Mittlerweile gibt es bereits

auf etwa 30 Prozent der Autobahnstrecken Geschwindigkeitsbe-
schränkungen, insbesondere auf Abschnitten, die sich als unfall-
trächtig entpuppt haben. Tatsächlich hatten die Limits vielerorts
die erhoffte Wirkung, und die Zahl der Verunglückten sank.
Unfallforscher Brockmann hegt aber Zweifel, dass ein generelles
Tempolimit ähnliche Effekte hätte: »Dort, wo der meiste Schaden
entstand, wurde schließlich schon etwas unternommen.«
Befürworter des Limits verweisen darauf, dass im europäi-
schen Ausland ausnahmslos strengere Regeln gelten. Doch der
Vergleich wirft oft Fragen auf. Italien und andere Länder haben
höhere Todesraten, Norwegen und Großbritannien niedrigere.
Es gebe »Forschungsbedarf«, warum das so sei, sagt Brockmann.
Er plädiert für einen Ausbau intelligenter Steuerungssysteme,
die situativ unter anderem aufs Wetter reagierten. Es sei für viele
Autofahrer nicht nachvollziehbar, dass sie auch auf kaum befah-
renen Abschnitten stur mit Tempo 120 zuckeln müssten.
Auch der Berliner Ökonom Christian Traxler räumt die un-
befriedigende Studienlage ein – und plädiert dafür, einzelne
Abschnitte zu »Reallaboren« zu machen und dort Tempo 130
einzuführen. Danach müssten die Feldversuche »rigoros« eva-
luiert werden – auch auf die Gefahr hin, dass die Ergebnisse
manch einem missfallen könnten. Guido Kleinhubbert

Philip Fong / AFP
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