Foto: Peter Rigaud/FOCUS-Magazin
EDITORIAL
für die von Olaf Scholz am 27. Februar
im Bundestag ausgerufene „Zeitenwen-
de“ gab es eine gute, ja zwingende Be -
gründung: den Überfall Putins auf die
Ukraine. Und deshalb brauchte der Kanz-
ler nur drei Tage, bis er den Bürgern und
der ganzen Welt die dramatischen Kon-
sequenzen erklärte – bis hin zur „Wieder-
bewaffnung“ der Bundeswehr mittels
eines Sondervermögens von 100 Milliar-
den Euro sowie dem Versprechen, künftig
jedes Jahr mehr als zwei Prozent des
Bruttoinlandsprodukts für die Truppe im
Haushalt aufzuwenden.
Für die am vergangenen
Dienstag vollzogene Panzer-
wende – also die reichlich
späte Zusage, auch schwere
Waffen an die Ukraine zu lie-
fern – liegen die Dinge nicht
so einfach. Denn bis vor weni-
gen Tagen hatte der Kanzler
seine ablehnende Haltung
zu Panzerlieferungen mit
der Gefahr eines Atomkriegs
begründet und seine Verant-
wortung dafür betont, dass
Deutschland nicht Kriegs-
partei werden dürfe. Da stellt
sich die Frage, ob der Kanzler
- aus welchen Gründen auch
immer – dieses Risiko jetzt
doch einzugehen bereit ist
oder ob dieses Risiko nur vorgeschoben
war. Deshalb ist es nicht überraschend,
dass Scholz die Panzerwende von seiner
Verteidigungsministerin Christine Lam-
brecht verkünden ließ und er selbst dazu
schwieg.
Auch die Beratungen im Bundestag
über das 100-Milliarden-Paket für die
Bundeswehr begannen am Mittwoch
ohne einen Redebeitrag des Kanzlers.
Für beides gibt es einen gewichtigen
Grund, der aber den Nachteil hat, dass
man ihn schlecht öffentlich benennen
kann: die tiefe Spaltung der Kanzler -
partei in Fragen von Krieg, Bewaffnung
und Waffenlieferungen. Kein Geringe-
rer als SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich
Herzlich Ihr
und Wirtschaft, von einem systematischen
Gegensteuern oder gar einer Therapie
kann nicht die Rede sein.
Die neue Vorsitzende der Mittelstands-
und Wirtschaftsunion, Gitta Connemann,
erinnerte kürzlich daran, wie eine an -
gemessene Reaktion auszusehen hätte:
Finanzminister Christian Lindner müsste
in erster Linie die Einkommensteuer an
die dramatisch veränderte Geldentwer-
tung anpassen, also deutlich senken.
Doch der Staat und auch Lindner verhiel-
ten sich „wie ein Gutsherr, der Almosen
verteilt“. Da ist etwas dran, denn eine
Senkung des Einkommensteuertarifs
käme erheblich teurer als die jetzt be -
schlossene Einmalzahlung.
Doch die Bürger und vor allem die Leis-
tungsträger haben nach meiner Über-
zeugung einen Anspruch darauf, dass
der Staat, der jahrelang Rekordsteuer-
einnahmen verbuchte, sie steuerlich sys-
tematisch entlastet für die enorme Infla-
tion. Es ist doch ein schlechter Witz, dass
der aktuelle Einkommensteuertarif auf
einer Inflationsprognose von 1,17 Pro-
zent aus dem Jahr 2020 beruht. Gerade
ein Finanzminister, der zugleich Vorsit-
zender der Steuersenkungspartei FDP
ist, sollte aus innerer Überzeugung hier
tätig werden. In der Vergangenheit sind
Wolfgang Schäuble und auch ein gewis-
ser Olaf Scholz so verfahren. Da hatten
wir aber nur eine Mini-Inflation, deren
Ausgleich den Finanzminister so gut
wie nichts gekostet hat. Jetzt geht es um
zweistellige Milliardenbeträge für Bürger
und Wirtschaft. Ich finde: Steuergerech-
tigkeit darf keine Frage des Preises sein!
Was den Kanzler betrifft, so können wir
nach knapp fünf Monaten ein erstes
Scholz-Gesetz formulieren: Je größer
und gefährlicher ein Problem ist, desto
eiserner schweigt er.
Von Robert Schneider, Chefredakteur
Liebe Leserinnen,
liebe Leser,
Die hohe Inflation und ein Plädoyer
für Steuersenkungen
FOCUS 18/2022 3
hatte bereits wenige Wochen nach der
Zeitenwende-Rede von Scholz im Bun-
destag erklärt: „Die SPD ist nach wie vor
der Auffassung, dass zur Kriegsverhin-
derung mehr gehört als immer größere
Rüstungsausgaben. Und schon gar nicht
gehört dazu, nachfolgenden Generatio-
nen vorzuschreiben, wie hoch diese Aus-
gaben zu sein haben.“ Am Dienstag kri-
tisierte der Fraktionschef eine „massive
militaristische Schlagseite“ der Debatte.
Dicker kann man die Fragezeichen
hinter die Ankündigungen des eigenen
Kanzlers zur Stärkung der Bundeswehr
nicht malen! Scholz muss sich nun die
Frage stellen, ob er diesen massiven Kon-
flikt in der eigenen Partei –
nicht zuletzt durch Schwei-
gen und Zögern – überdecken
will oder ob er ihn nicht doch
auskämpfen muss. Für nicht
wenige Genossen gilt, dass
man Frieden nur mit weniger
Waffen schaffen kann. Sie
empfinden die Zeitenwende-
Politik des eigenen Kanzlers
als genauso falsch wie seiner-
zeit die Agenda-Politik Ger-
hard Schröders.
Diese Woche hätte sich aber
für Scholz noch aus einem
anderen Grund eine ausführ-
liche Kommunikation mit dem
Bürger angeboten. Am Mitt-
woch verkündete Wirtschafts-
minister Robert Habeck die neue Infla-
tionsprognose der Bundesregierung für
- Sie liegt mit 6,1 Prozent so hoch wie
zuletzt vor vier Jahrzehnten. Die Wachs-
tumsprognose musste ein weiteres Mal
eingedampft werden – auf gerade noch
2,2 Prozent. Doch auch dazu hörten Par-
lamentarier und Bürger vom Kanzler –
nichts!
Nun könnte man einwenden, dafür
habe das Kabinett ja am selben Tag ein
Entlastungspaket unter anderem mit
einer Einmalzahlung von 300 Euro für
alle Erwerbstätigen und einem deutli-
chen Tankpreis-Rabatt für drei Monate
auf den Weg gebracht. Doch damit ver-
teilt die Ampel Heftpflaster an Bürger
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Oder: Was vom Koalitionsvertrag übrig bleibtVon Andreas Rinke Seite 2
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