Focus - ALE (2022-04-30)

(EriveltonMoraes) #1
WAHLEN

FOCUS 18/2022 37

2017 regiert ein Bündnis aus CDU, Grü-
nen und FDP. Die Jamaikakoalition
unter Ministerpräsident Daniel Günther
bestimmt die Geschicke eines Bundes-
landes, das vor gar nicht langer Zeit
noch ein armer, abgehängter Landstrich
war mit wenig mehr als Fisch und Watt.
Heute aber fährt man vorbei an schicken
Gebäuden in Kiel, an riesigen Windrad-
parks und einem schönen Strand, vor dem
sehr bald ein LNG-Terminal stehen soll.
Dieses kleine Nordlicht schickt sich an,
zum Leuchtturm der bundesdeutschen
Energiewende zu werden. Modern. Prag-
matisch. Und plötzlich erstaunlich wichtig
für die Zukunft der Republik.
Und während Friedrich Merz mit der
CDU auf Bundesebene noch nach dem pas-
senden Profil sucht und trotz wochenlan-
gem Druck auf die Ampelregierung nicht
über 25 Prozent kommt, folgt der freund-
liche Herr Günther in Schleswig-Holstein
seinem eigenen Kompass. Gut eine Woche
vor der Landtagswahl am 8. Mai liegt
die CDU mit 38 Prozent klar vorn, mit
großem Abstand vor der SPD (20), gefolgt
von den Grünen (16) und der FDP (9).

Die Wähler im Norden stehen einer Er-
hebung von Infratest dimap zufolge fest
hinter ihrem Ministerpräsidenten. Rund
drei Viertel sind mit seiner Arbeit zufrieden,
62 Prozent würden ihn, wenn möglich,
direkt wählen. Die von ihm geführte Koali-
tion ist die beliebteste in ganz Deutsch-
land, rund 75 Prozent der Befragten sind
mit dem Bündnis „zufrieden“ oder „sehr
zufrieden“.
Am Hafen von Glückstadt, wo gerade
„Mama Mia“ aus den Boxen scheppert,
fragt man sich also: Gibt es einen Zusam-
menhang zwischen der Zufriedenheit der
Menschen und dem Wirken der Regie-
rung? Oder sind die Menschen so glück-
lich, dass egal ist, wer sie regiert?

Hochgefühl, Heimat und Brise
Martin Balasus, CDU-Kandidat für den
Landtagswahlkreis Pinneberg-Elbmar-
schen, vermutet naturgemäß, dass die
CDU-geführte Regierung das Glück be-
schere. An einem sonnigen Samstagnach-
mittag zwei Wochen vor der Wahl steht
er auf dem Erlebnisbauernhof Almthof
vor den Toren Hamburgs, Kinder spielen

im Heu, die Luft riecht nach frischen Waf-
feln. Im Rundum-sorglos-Ambiente der
Gemeinde Appen wird gleich der amtie-
rende Ministerpräsident um Stimmen
werben.
Der 35-jährige Balasus, Gymnasial-
lehrer, Vater von zwei Kindern, wohnt in
einem hübschen Haus, das seine Groß-
eltern bauten. Heimat-, geschichts- und
familienverbunden. Die braunen Haare
hat er akkurat zum Scheitel gegelt, doch
die Brise zwingt ihn im Sekundentakt zum
Nachjustieren. „Wir sind die glücklichsten
Menschen und haben den beliebtesten
Ministerpräsidenten, da muss es einen
Zusammenhang geben“, sagt er. Wie
genau der aussieht, vermag aber auch er
nicht zu sagen.
Während er noch grübelt, rollt der Minis-
terpräsident auf den Hof und übernimmt.
Für Daniel Günther ist momentan jeder
Wahlkampftermin ein Heimspiel. Nicht
nur die Leute aus den eigenen Reihen
stehen hinter ihm, auch die Wähler der
Opposition zollen ihm Respekt. Tatsäch-
lich trifft Günther beharrlich den richti-
gen Ton – komme, was da wolle, er bleibt
ruhig, freundlich, klar. Günther eifert
nicht. Piesackt nicht. Hält sich auch keine
Tank-Pistole an den Kopf. Im Gegenteil,
dieser etwas blasse Mann scheint wirk-
lich eins mit seiner Rolle als Landesvater.
In seinen Wahlkampf-Auftritten spricht
er über den Krieg in der Ukraine und
die damit verbundene Versorgungskrise,
die er als Herausforderung auch für sein
Bundesland annehme. „Dass wir uns für
LNG-Terminals in Brunsbüttel eingesetzt
haben“, sagt er an diesem schönen Sams-
tag auf dem Almthof, „das war richtig.“
In der Landeshauptstadt Kiel, gute 100
Kilometer nördlich von Appen, sitzt an
jenem friedlichen Tag vor einer Kulisse
aus Kreuzfahrtschiffen und Segelbooten:
Frau Dr. Bettina Bunge. Ihre roten Haare
wehen im Wind – so wie hier überhaupt
immer alles im Wind weht.
Diese quirlige und laute Frau Bunge,
das ist nach wenigen Minuten des Ken-
nenlernens offensichtlich, ist alles andere
als ein schleswig-holsteinisches Origi-
nal. Sie kommt aus Lüneburg. Für ihre
Arbeit profitiert die Zugezogene jeden
Tag davon, dass sie vor fast viereinhalb
Jahren neu hinzukam. Bunge ist Ge-
schäftsführerin der TA.SH, der Touris-
musagentur Schleswig-Holstein. Für ihre
Kampagnen beschäftigt sich die 55-Jähri-
ge intensiv mit den Menschen und ihrem
Land zwischen Nord- und Ostsee. Teil-
nehmende Beobachtung sozusagen.
Für Bunge resultiert die Zufriedenheit
ihrer Mitbürger aus einer Mischung

Hier weht ein anderer Wind Auf Bundesebene sucht die CDU nach sich selbst, in Schleswig-Holstein ist sie beliebt wie nirgendwo sonst in Deutschland. Was ist das Geheimnis des nördlichsten Bundeslandes? Wer durch das Flachland zwischen den Meeren reist, dem begegnet vor allem eines: Gelassenheit

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