Focus - ALE (2022-04-30)

(EriveltonMoraes) #1
GLAUBE

Foto: Markus C. Hurek für FOCUS-Magazin^

FOCUS 18/2022 41


B


ernhard Felmberg residiert
unweit des Bahnhofs Zoo
in Berlin-Charlottenburg.
„Evangelischer Oberkirchen-
rat“ steht über dem Portal
des hohen Gebäudes aus der
Kaiserzeit. Darunter, auf ei-
ner dunklen Tafel, „Der Evangelische
Militärbischof“. Gemäß Soldatengesetz
hat jeder Soldat Anspruch auf Seelsorge
und ungestörte Religionsausübung. Bern-
hard Felmberg ist der ranghöchste evan-
gelische Militärgeistliche. Neben ihm gibt
es den katholischen Militärbischof Franz-
Josef Overbeck und seit Sommer 2021 den
Militärbundesrabbiner Zsolt Balla.

Das fünfte Gebot lautet: Du sollst nicht
töten. Die Sachlage ist glasklar. Wofür
braucht es dann einen Militärbischof?
Du sollst nicht töten ist für die Chris-
ten eins der zehn Gebote, an die wir uns
halten – und trotzdem wissen wir, dass
wir nicht im Reich Gottes leben, sondern
in der unerlösten Welt. Menschen tun
einander eben nicht nur Gutes. Das Alte
Testament sagt sogar: Der Mensch ist
böse in seiner Anlage. Eine sehr nüch-
terne Einschätzung, die Gott damals traf.
Wie kam es zu diesem
deprimierenden Urteil?
Die Menschen brachten einander um:
Kain tötet Abel. Gott bereute, dass er den
Menschen erschaffen hatte, und schickte
die Flut. Es kam zur Noah-Katastrophe.
Alle ertranken – außer Noah, seiner Familie
und den Tieren in diesem einen Schiff. Gott
änderte wenig später zwar seine Sicht,
weil er seine eigene Schöpfung nicht zer-
stören wollte, aber ja: Es gibt Situationen
im Leben, wo als Ultima Ratio, als letztes
Mittel, Gewalt angewendet werden kann
und muss.
Nur – wer sagt, wann es sich tatsächlich
um Ultima Ratio handelt?
Zuerst einmal ist wichtig klarzustellen:
Die Botschaft Jesu ist eine Botschaft des
Friedens. Er äußert sehr klar, dass alle
Wege, die Frieden fördern und gewaltlos
sind, die richtigen Wege sind.
Aber ...?
Aber was tun wir, wenn diese Wege in
der Sackgasse enden? Unsere Soldatinnen
und Soldaten setzen sich als Parlaments-
armee dafür ein, Frieden, Freiheit und
Demokratie zu verteidigen. Das ist nicht
nur ein Recht, das uns nach der Menschen-
rechtscharta der Vereinten Nationen, son-
dern das uns als Christen zusteht.
Für das man töten darf?
Wir können uns doch nicht immer wei-
ter in die Tasche lügen! Wir denken alle,
wir müssen nur lange genug miteinander

reden, und irgendwann herrscht ein gro-
ßes Einverständnis. Das ist aber eine Illu-
sion, wie wir spätestens in den vergange-
nen Wochen erfahren haben. Manchmal
kommt man mit Worten nicht mehr weiter.
Das Soldatsein ist in der christlichen Tra-
dition auch angelegt. In der Bibel lesen
Sie immer wieder Geschichten, in denen
Jesus ohne Berührungsängste Kontakt
mit Soldaten aufnimmt. Ein berühmtes
Beispiel ist der Hauptmann von Kaper-
naum, der sich um einen kranken Knecht
kümmert. Er kommt zu Jesus und bittet
ihn, den Knecht zu heilen. Und Jesus sagt
zum Hauptmann: Solchen Glauben, wie
du ihn hast, habe ich in ganz Israel noch
nicht angetroffen. Jesus zeigt damit, dass
ein Soldat ein guter Christ sein kann.
Erleben Sie Soldaten, die auch wegen
ihres Glaubens an ihrem Beruf zweifeln?
Die Gründe, weshalb die Menschen zu
uns kommen, sind sehr unterschiedlich.
Wir haben 185 000 Soldatinnen und Solda-
ten, davon sind knapp 55 000 evangelisch
getauft. Es wird aber nicht nach der Kon-
fession gefragt. Unsere Pfarrerinnen und
Pfarrer, 105 in den Kasernen in Deutsch-
land, bieten einen Raum innerhalb der
Bundeswehr, der eine Freiheit gegenüber
dem Dienstherrn hat. Beim Pfarrer weiß
ich, dass meine Belange und Gedanken
bei ihm bleiben. Je nach Situation nutzen
sie unsere Angebote. Geht es in den Ein-
satz? Ist die politische Lage angespannter
als gewöhnlich? Dann kommen die Men-
schen zu uns und suchen den Austausch.
Wie groß ist das Bedürfnis derzeit?
Der Krieg in der Ukraine, die Drohungen
Moskaus – was macht das mit jenen,
die im Bündnisfalle Putins Armee
gegenüberstehen?
Die Bundeswehr ist seit vielen Jahren
eine Einsatzarmee. Seit der Annexion der
Krim stellt die Bundeswehr sich auch stär-
ker ein auf Bündniseinsätze und territo-
riale Verteidigung. Aber natürlich merken
wir seit Ausbruch des Krieges, dass die
Nachfrage nach Seelsorge, nach Gesprä-
chen zugenommen hat und dass sicherlich
auch die Ernsthaftigkeit des Eides und
das Gelöbnis, das man abgelegt hat, jetzt
jedem Soldaten noch mal vor Augen steht.
... und sie deshalb größere Angst haben?
Man muss sich bewusst machen, dass
jedes Gespräch in einer Familie mit Bun-
deswehrangehörigen die gleichen Inhalte
hat wie in anderen deutschen Familien,
aber in Potenz intensiver geführt wird,
weil die Weltenlage ganz konkrete Konse-
quenzen für die Familie haben kann. Was
bedeutet es, wenn ich verlegt werde an
die Ostflanke der Nato? Oder: Wie gehe
ich damit um, wenn ein Mitschüler zu

Oberster Seelsorger
Der Theologe
Bernhard Felmberg
war von 2009 bis 2013
Bevollmächtigter
der Evangelischen
Kirche bei Bundestag,
Bundesregierung und
Europäischer Union.
Vor Heimspielen von
Hertha BSC hält der
sportbegeisterte
56-Jährige die
Andacht in der
Kapelle des Berliner
Olympiastadions
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