Focus - ALE (2022-04-30)

(EriveltonMoraes) #1

POLITIK


Fotos:

Markus C. Hurek für FOCUS-Magazin; Militärseelsorge (1)

42 FOCUS 18/2022


meinem Kind sagt: Dein Vater ist Sol dat,
der muss jetzt in die Ukraine, und er
stirbt dort. Da brauchen die Soldaten Auf-
klärung und Unterstützung. Wir haben
Taschenkarten und Handouts entwickelt,
die darüber informieren, wie man mit Kin-
dern und Erwachsenen über Tod und Ver-
letzung spricht. Und wir haben immer
viele, die das tägliche Gespräch mit dem
Pfarrer suchen. Gerade im Ausland haben
wir auch einen hohen Prozentsatz, die so-
gar in den Gottesdienst gehen.
Sogar?
Na ja, wenn Sie am Sonntag eine Kirche
besuchen, erleben Sie mein „sogar“.
Welche Rolle spielt die Seelsorge
in den Auslandseinsätzen?
Eine Pfarrerin, ein Pfarrer begleitet
Auslandseinsätze vier Monate am Stück.
Zwanzig Jahre dauerte der Einsatz in
Afghanistan, rund 150 Pfarrerinnen und
Pfarrer waren in dieser Zeit vor
Ort. Die Seelsorger leben mit
den Soldatinnen und Soldaten
im Container. Haben eine Ge-
meinschaftsküche, nehmen am
Leben teil, sind jederzeit an-
sprechbar, machen gemeinsam
Sport, erleben mit, wenn man
von Patrouillen zurückkommt.
Die Intensität der Begleitung
ist sehr hoch und damit auch
die Akzeptanz des Pfarrers.
Welche Momente sind
besonders schwer?
Jene, in denen es Verletzte, Tod und Ver-
wundung gibt. Dann sind es wir von der
Militärseelsorge, die Sprache zur Verfü-
gung stellen, die Rituale anbieten, die über
Dinge reden können, die andere nicht so
einfach aussprechen können in Situatio-
nen, die sprachlos machen. Die Soldaten
sehen, dass wir, zwar mit kritischer Soli-
darität, aber immer an ihrer Seite stehen
und dass das in einer Gesellschaft, die die
Bundeswehr mehr oder weniger emotional
neutral im besten Sinne begreift, für sie
was Besonderes und Gutes ist.
Wie trösten Sie Hinterbliebene?
Wir sind an ihrer Seite. Wir hören zu.
Wir halten die Trauer aus. Wir sind im
Namen Jesu unterwegs. Das heißt, wir
haben Trost und Hoffnung. Worte, die
über den Tod hinausgehen. Für die Fami-
lie, für die Angehörigen. Wir gestalten
den Trauerprozess mit den Familien bis
hin zur Beerdigung und darüber hinaus.
Wie lange bleiben Sie mit den
Familien in Kontakt?
Manchmal über Jahre. Als ich vor an-
derthalb Jahren angefangen habe, hier zu
arbeiten, haben wir einen Gottesdienst
gefeiert in Erinnerung an den Tod eines


Soldaten, der vor zehn Jahren in Afgha-
nistan gefallen ist. Da saßen mehrere
Familien, die ein ähnliches Schicksal hat-
ten, mit dem Militärgeistlichen zusam-
men, der sie zehn Jahre lang begleitet
hat. Das war für mich sehr eindrücklich.
Die Angehörigen sagten, es sei eine harte
Zeit gewesen, aber in diesen Jahren hät-
ten sie durch das gemeinsame Leid neue
Freunde gefunden, die sie durch diese
Zeit getragen haben.
Wie tief sitzt das Trauma
Afghanistan?
Es ist eine sehr schmerzhafte Erfahrung
gewesen, mit der wir einen Umgang erst
noch finden müssen. Ich setze mich gerade
dafür ein, dass wir die einzige christliche
Kapelle, die wir in Afghanistan hatten,
das Haus Benedikt in Masar-i-Scharif, in
Deutschland wiederaufbauen als Erinne-
rungsort für die Soldatinnen und Solda-
ten, die dort gebetet, dort um Kameraden
geweint haben.
Sowohl Einsatz als auch der Abzug haben
die Bundeswehr schwer beschädigt.
Die Arbeit der Soldaten – wertlos, von den
Taliban verjagt, in der Öffentlichkeit ge-
demütigt – wie geht die Truppe damit um?

Der Abzug hat bei manchem den Sinn
des Einsatzes infrage gestellt. Deutsch-
land hatte in zwanzig Jahren 130 000 Sol-
datinnen und Soldaten am Hindukusch.
Die Bilder des Abzugs haben bei vielen,
die längst wieder hier waren, zu einer
Retraumatisierung geführt. Dieses Über-
ranntwerden, die Flucht der Menschen
auf den Flughafen, das war hart. Diejeni-
gen, die an den Evakuierungen beteiligt
waren, haben Grausames gesehen. Zum
Glück hatten wir einen Militärseelsorger
in Taschkent auf dem Flughafen, der hel-
fen konnte, die Eindrücke zu verarbeiten.
Viele Traumatisierungen stellen sich aber
nicht direkt nach einem Erlebnis ein, son-
dern kommen manchmal erst ein Jahr
später hoch. Damit haben wir jetzt zu tun.
Wie begehen Sie den Abschied, wenn ein
Kontingent ins Ausland geschickt wird?
Wir feiern Gottesdienste. Da gibt es vie-
le Verse in der Bibel, die Schutz verspre-
chen, die Trost und auch Mut machen.
Mindestens genauso wichtig ist es für
die Soldatinnen und Soldaten zu wissen,
dass wir sie vor Ort begleiten. Es ist eben
nicht so, dass wir noch mal Gottesdienst
feiern und dann raus sind. Wir bleiben bei
ihnen. Es gibt die Tradition in der Bundes-
wehr, sich bei Besuchen gegenseitig etwas
zu schenken ...
Bischof Felmberg steht auf und geht
zum Regal.
Kennen Sie Coins?
Er kommt mit einem Etui zurück, darin
liegt eine goldene Münze mit lilafarbenem
Rand. Auf der Vorderseite steht „Domini

Fürchte Dich nicht
Der Militärbischof
hat eine eigene
Münze mit diesem
Bibelspruch aus
dem Buch Josua.
Sie soll Soldaten
Kraft spenden

Mit Gottes Segen
Auf sogenannten
Visitationsreisen
besucht der
Militärbischof die
Bundeswehrstand-
orte. Im Juni 2021
feierte er bei dieser
Gelegenheit eine
Andacht in Füssen
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