Focus - ALE (2022-04-30)

(EriveltonMoraes) #1
GLAUBE

FOCUS 18/2022 43


sumus“, auf der Rückseite „Darum fürchte
Dich nicht“ aus dem Buch Josua.
Solche Münzen geben wir Soldaten mit.
Es sind Handschmeichler, die Kraft geben
können. Dazu gibt es das kleine Gesang­
buch „Lebensrhythmen“ mit Liedern und
Gebeten. Es passt in die Uniformtasche.
Unser Leitspruch heißt ja „Domini sumus“,
wir sind des Herrn, ob wir leben oder ster­
ben, so sind wir des Herrn. Wenn man
sich in der zivilen Kirche auf das Hier und
Jetzt konzentriert, so geht es in der Militär­
seelsorge auch um den Blick über den
Rand des Lebens hinaus. Um den Begriff
der Ewigkeit, bei Gott zu sein. ‬‬‬‬‬
Wie nehmen Sie Soldaten die
Angst vor dem Einsatz?
Man muss ja gucken, was ist da? Was ist
der Grund der Angst? Ist es die Situation,
das Leben verlieren zu können? Ist es die
Angst, von der Familie getrennt zu sein?
... nehmen wir die existenzielle
Angst, das Leben zu verlieren.
Wir beraten immer entsprechend der
Einschätzung, wie jemand mit seinen
Ängsten zurechtkommt. Entweder kön­
nen wir über das Gespräch Ängste neh­
men oder, wenn es wirklich existenziell ist,
wenn der Betroffene sagt, er kann zu die­
sem Beruf nicht mehr stehen, dann muss
man auch das Gespräch darüber führen, ob
sein Weg aus der Bundeswehr hinausführt
und wie wir ihm zur Seite stehen können.
Kommt das vor?
Das kommt jetzt wieder vereinzelt vor.
Mehr jedenfalls, als es vor dem Krieg in
der Ukraine der Fall war.
Weil manchen erst jetzt klar wird,
dass der Tod zu ihrem Beruf gehört?
Klar ist das sicher jedem, der in der
Bundeswehr dient. Aber es ist ein Unter­
schied, ob mir etwas theoretisch klar ist
oder ob ich durch jede Nachrichtensen­
dung neu darauf gestoßen werde. Es geht
auch nicht nur um etwaige Ängste: Es ist
ein Unterschied zwischen der eher poli­
tisch verstandenen „großen“ Abschre­
ckung des Kalten Krieges und der plötzli­
chen Wahrnehmung: Hier töten Menschen
Menschen – und auch ich kann in diese
Situation kommen. Da meldet sich das
Gewissen neu.
Versuchen Sie auch, denjenigen
zum Bleiben zu bewegen?
Nein, das wäre zu kurz gegriffen. Wenn
es uns gelingt, den Leuten dabei zu helfen,
sich ihrer eigenen Position klar zu werden,
wenn wir Soldaten bei einer Gewissens­
entscheidung gegen – oder eben auch
für – den Wehrdienst begleiten können,
dann lohnt sich der Einsatz.
Die Bundeswehr wird immer wieder
hart kritisiert. Schlechte Ausrüstung.


Rechtsradikale Vorfälle. Kein Nachwuchs.
Wird das miteinander diskutiert?
In den vergangenen zwei Jahren haben
die Soldaten viel geholfen, um die Pan­
demielage in den Griff zu bekommen.
Das hat ihnen Respekt und Anerkennung
gebracht. Aber die Bundeswehr gut zu
finden, wenn sie im Pflegeheim steht und
Abstriche oder einen Test macht, ist das
eine. Das andere ist die Anerkennung
dafür, dass Soldatinnen und Soldaten im
Notfall ihr Leben geben für die Vertei­
digung unserer Demokratie. Das war in
den letzten Jahrzehnten nicht gegeben,
weil die Gesellschaft seit 1989 davon aus­
gegangen ist, dass Frieden und Freiheit
sich durchsetzen. Nun erleben wir leider,
dass diese Auffassung eine Illusion war.
... und das ändert auch das
Selbstbild der Soldaten?
Die Gesellschaft hat jetzt,
mit der Zerstörung unse­
rer europäischen Friedens­
ordnung, viele Fragen, die
auch die Bundeswehr be­
treffen: Wie ist unsere Ar­
mee ausgerüstet? Wie kön­
nen wir verteidigt werden?
Sind wir eine wehrhafte
Demokratie? Und ich glau­
be, da stellen die Menschen
fest, dass die Antwort auf die letzte Frage
nicht unbedingt Ja ist. Das verändert die
Atmosphäre, in der sich die Soldatinnen
und Soldaten bewegen, von Grund auf.
Sie merken, dass sie in dieser Situation
ganz anders gefordert und ernst genom­
men werden – und plötzlich als wichtiger
Teil dieser Gesellschaft wahrgenommen
werden. Sie würden selbst immer sagen:
Unsere Demokratie ist wehrhaft. Aber sie
wissen auch, dass zu ihrer Verteidigung
viel Luft nach oben ist.
Luft nach oben meint:
mehr Geld?
In Zeiten von Willy Brandt, Helmut
Schmidt und Helmut Kohl hatten wir
einen Wehretat in Höhe von 3 bis 4 Pro­
zent des Bruttoinlandsprodukts. Die Stär­
kung unserer Demokratie, Handel durch
Wandel, all diese außenpolitischen, welt­
politischen Erfolge konnten nur erreicht
werden, weil man das deutliche Signal
gesetzt hat: Wir sind wehrhaft. Heute
liegen wir bei 1,2 Prozent und ...
... nun ja, immerhin mehr als
50 Milliarden Euro 2021 ...
... sicher kann man nicht nur aufs Geld
schauen, und sicher ließe sich vieles strin­
genter organisieren, aber letztlich ist doch
unstrittig, dass die Friedensdividende in
den vergangenen Jahren zu hoch aus­
gefallen ist.

Nun werden 100 Milliarden Euro zur
Verfügung gestellt – aber hilft das
einem Apparat, der so ineffizient auf-
gestellt ist wie die Bundeswehr?
Es ist klar, dass in den langen Friedens­
zeiten, die Deutschland erlebt hat, auch
eine Bundeswehr mit Arbeitszeit­ und
Dienstverordnungen und anderen Seg­
nungen des Beamtenrechts ein hohes
Maß an Zivilisierung erlebt hat. Man hat
suggeriert, es handele sich beim Soldaten­
beruf um einen Beruf wie jeden anderen.
Durch die jetzige Situation ist jedoch sehr,
sehr klar: Dieser Beruf ist anders. Außer­
gewöhnlich in seinen Herausforderun­
gen, seinen Zumutungen und auch seiner
Wichtigkeit für unsere Gesellschaft.
Bischof Felmberg, als höchster Militär-
geistlicher der Evangelischen Kirche:
Wie geben Sie in dieser Welt Hoffnung?

„Die Soldaten


sehen, dass wir


immer an ihrer


Seite stehen“


Indem ich auf Jesus Christus verweise.
Indem ich deutlich mache, dass der Tod
nicht das letzte Wort hat und dass das
Leben siegt. Diejenigen, die den Tod wol­
len, werden nicht siegen, sondern die,
die das Leben wollen, werden siegen.
„Domini sumus“: Ob wir leben oder ster­
ben, sind wir des Herrn. Wir können nicht
tiefer fallen als in seine Hand. Und auf
der anderen Seite wissen wir, Jochen
Klepper hat es schön gedichtet: „Die
Hände, die zum Beten ruhn, die macht
er stark zur Tat.“ Wir Christen helfen,
wo wir können.n
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