Focus - ALE (2022-04-30)

(EriveltonMoraes) #1

Der schwarze Kanal


Foto: Markus C. Hurek für FOCUS-Magazin

6 FOCUS 18/


S


igmar Gabriel hat damit gedroht, die „New
York Times“ zu verklagen. Eine Reporterin
hatte ihn nach seinen Verbindungen zu russi-
schen Energiemagnaten gefragt.
Seine Kontakte zu Repräsentanten aus
Russland sowie von Gazprom beschränkten
sich auf die Jahre 2014 bis 2016, war seine
Antwort. Es sei ausschließlich darum gegangen, einen
Lieferstopp von Russland in die Ukraine zu verhindern.
Sollte die „New York Times“ darüber anders berichten
oder zu einer abweichenden Bewertung kommen, werde er
rechtliche Schritte einleiten.
Ich bin sicher, in New York ist ihnen augenblicklich der
Schreck in die Glieder gefahren. Der ehemalige Vizekanz-
ler und Wirtschaftsminister der Bundesrepublik Deutsch-
land droht mit Klage! Da denkt jeder Chefredakteur zwei-
mal darüber nach, was er in seinem Blatt über eine so
eminente Figur veröffentlichen lässt und was besser nicht.
Wenn ich Gabriel allerdings eines raten dürfte, dann
wäre es, sich eine ordentliche Sekretärin zuzulegen. Er
verdient einen Haufen Geld als Aufsichtsrat bei der Deut-
schen Bank, bei Siemens Energy und
neuerdings auch bei Thyssenkrupp.
Aber offenbar hat er niemanden, der
mal in den Terminkalender schaut,
ob die Angaben, die er einer Zeitung
wie der „New York Times“ gegenüber
macht, auch der Wahrheit entspre-
chen.
Da wäre zum Beispiel ein Treffen
von Gabriel mit Alexej Miller, dem
CEO von Gazprom. Datum: 30. Januar


  1. Im Juni 2017 stand ein Besuch
    bei Putin an, dem Boss der Bosse. Ver-
    trauliches Abendessen in der Residenz
    des Kreml-Herrschers bei St. Peters-
    burg. Gabriel soll die Residenz erst
    gegen 1.30 Uhr verlassen haben. Der


Besuch war übrigens schon damals nicht ganz unumstrit-
ten. Mehrere Bundestagsabgeordnete verlangten anschlie-
ßend Aufklärung, was genau bei dem Abendessen eigent-
lich besprochen worden war.
Dann sehen wir Gabriel wieder zusammen mit Gazprom-
Chef Miller, diesmal anlässlich der Hochzeit von Gerhard
Schröder mit der Koreanerin Soyeon Kim. Datum: Oktober


  1. Ach so, und hier haben wir ihn am 15. April 2018,
    dieses Mal mit dem Nordstream-Beauftragten Matthias
    Warnig beim Turnier Schalke gegen den BVB in der Gaz-
    prom-Loge bei Schalke.
    Ziemlich viele Termine, die nicht exakt in das angege-
    bene Zeitfenster von 2014 bis 2016 fallen. Gut, Gabriel
    ist auch nicht mehr der Jüngste, da bekommt man schon
    mal die Daten durcheinander. Wir beide sind praktisch
    eine Generation; ich weiß, wie das ist. Also: My heart goes
    out to you, brother. Aber sollte man von einem ehemali-
    gen Wirtschaftsminister und SPD-Parteivorsitzenden nicht
    trotzdem ein Mindestmaß an Verlässlichkeit verlangen
    dürfen?
    Dann erinnerte ich mich an eine Geschichte aus der
    Feder des „Spiegel“-Kollegen Matthias Geyer, der vor
    Jahren mit Gabriel für ein Porträt verabredet war. Da war
    der Mann aus Goslar noch nicht Ex-Parteichef, sondern
    abgewählter Ministerpräsident in Niedersachsen.
    „Krank im Goslar“ hieß der Text und handelte unter
    anderem davon, wie Gabriel den Reporter Geyer zur ver-
    abredeten Zeit am Gartenzaun mit der Entschuldigung
    überraschte, er laboriere an einer Lungenentzündung. Er
    habe den Arzt da, ob man das Treffen nicht verschieben
    könne. Dann verließ eine Viertelstunde später jemand das
    Haus, der wie ein Arzt aussah, aber ein Redakteur der
    „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ war, während sich die
    Lungenentzündung erst zu einer Bronchitis verringerte
    und dann ganz verflüchtigte, sodass
    das Treffen mit dem „Spiegel“-Mann
    doch noch stattfinden konnte.
    Eigentlich wollte ich nicht mehr
    über die SPD und ihre Repräsentanten
    schreiben. Ich hatte mir das fest vor-
    genommen. Nicht, dass mir nachher
    noch vorgehalten wird, ich hätte mich
    in ein Thema verbissen.
    Es gibt außerdem so viel anderes,
    über das man schreiben könnte. Elon
    Musk übernimmt Twitter. In China
    testen sie auch Fische auf Corona.
    Amber Heard und Johnny Depp
    streiten vor Gericht, wer während
    ihrer stürmischen Ehe Depp die Fin-
    gerkuppe abgesäbelt hat. Aber sie


JAN FLEISCHHAUER


Der Untergang des


Hauses Schrödaryien


Die SPD ist auf der Ebene der Netflix-Serie ange-
kommen. In den Hauptrollen: Gerhard Schröder
als vom Alter gezeichneter Pate. Sigmar Gabriel als
Consigliere auf Abwegen. Und Manuela „Babuschka“
Schwesig als Hüterin der schwarzen Kasse

»


Arme SPD.


Sie denken, wenn sie


Schröder los sind,


wird alles wieder gut.


Aber das System reicht


weiter und tiefer


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