Focus - ALE (2022-04-30)

(EriveltonMoraes) #1
KOLUMNE

FOCUS 18/2022 7

Den Winter im Herzen
Illustration von Silke Werzinger
JAN FLEISCHHAUER


machen es einem bei der SPD wirklich nicht leicht, sich
anderen Themen zuzuwenden.
Haben Sie die Bilder von Gerhard Schröder in der „New
York Times“ gesehen? Wenn man mir nicht gesagt hätte, dass
sie in seinem Büro in Hannover aufgenommen wurden, hätte
ich auf ein Set von „Game of Thrones“ getippt. Untergang
des Hauses Targaryen. Dazu passt, dass Schröder inzwischen
schon mittags, während er fröhlich russische Reiseerinnerun-
gen austauscht, solche Mengen an Weißwein verkostet, dass
die Reporterin nicht umhinkann, dies zu erwähnen. „Unmen-
gen Weißwein“, so notierte sie es.
Schröder gilt jetzt auch in der SPD als untrag-
bar. Sogar Saskia Esken hat all ihren Mut
zusammengenommen und dem Ex-Kanzler
den Parteiaustritt nahegelegt. Aber im Grunde
spricht Schröder nur aus, was viele in der SPD
denken: Hoffentlich ist dieser verdammte Krieg
bald vorbei, damit wir wieder mit den Russen
ins Geschäft kommen können. Sie sagen es nur
nicht so direkt wie er, sondern sprechen von der
Notwendigkeit einer Rückkehr der Diplomatie.

W


ir sind jetzt auf der Ebene der Net-
flix-Serie angekommen. Im Mittel-
punkt der vom Alter gezeichnete
Pate, der in seinem Starrsinn alles
zerstört, was er zuvor aufgebaut hat. Ihm zur
Seite Consigliere Gabrielitsch, der verzweifelt
auf der Suche nach einem Abgang ist, der nicht

nach Verrat aussieht. In der weiblichen Starrolle: Manuela
„Babuschka“ Schwesig, die Hüterin der schwarzen Kassen,
die inmitten des einsetzenden Chaos zu retten versucht, was
zu retten ist, insbesondere die zur Seite geschafften Millionen
aus dem Osten.
Arme SPD. Sie denken, wenn sie Schröder los sind, wird
alles wieder gut. Aber ich fürchte, so läuft das nicht. Das Sys-
tem reicht weiter und tiefer. Gabriel war sieben Jahre lang
Parteivorsitzender. Nur Erich Ollenhauer und Willy Brandt
haben länger durchgehalten.
Es gab zwar keine Männerfreundschaft mit dem Mann in
Moskau wie bei Don Schröder. Aber wenn es um die Absi-
cherung der russischen Gasleitungen ging, war auf Gabriel
immer Verlass. Auch in anderen Dingen erwies er sich als
zuverlässig. Der Kreml lässt den Oppositionsführer Alexej
Nawalny vergiften? Nein, das kann nicht sein. Keine vor-
eiligen Schlüsse! „Giftangriff auf Nawalny – Sigmar Gabriel
nimmt Putin in Schutz“, lautet die Überschrift im „Stern“.
Es spricht für Gabriels Wendigkeit, dass er es gleichzeitig
zum Chef der Atlantik-Brücke gebracht hat und in den Auf-
sichtsrat der größten deutschen Bank. Wäre ich bei der Deut-
schen Bank, würde ich darüber nachdenken, welche Anfor-
derungen ich an die Seriosität meiner Aufsichtsratsmitglieder
stelle. Anderseits: Was verstehe ich schon vom Finanzgeschäft?
Ich will mich nicht zu weit aus dem Fenster hängen. Wie
man hört, ist Gabriel schnell mit Klagen gegen Journalisten
bei der Hand, die seine Russland-Kontakte nicht so darstel-
len, wie er es gerne hätte. Nach der Berliner Büroleiterin der
„New York Times“ traf es vor ein paar Tagen den Politik-
redakteur der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, Reinhard
Bingener. Als Bingener in einem Telefonat das Gespräch auf
Gabriels Rolle in der Russlandsache brachte, drohte der sofort
mit rechtlichen Schritten.
Ich hinterlasse an dieser Stelle deshalb vor-
sorglich schon einmal folgende Erklärung: Sig-
mar Gabriel hat immer das Beste gewollt. Er hat-
te nie eigene Interessen im Auge, sondern nur
Stabilität und Weltfrieden. Alle Bilder, die ihn an
der Seite von Putin zeigen und auf denen es so
aussieht, als hätten sie ein besonders herzliches
Verhältnis gehabt, stellen die Beziehung verzerrt
dar. In Wahrheit ist Gabriel immer mit der Faust
in der Hosentasche nach Moskau gereist. Wie
heißt es bei „Leonce und Lena“: Den Frühling
auf den Wangen, den Winter im Herzen.
Falls sich trotzdem die Anwälte melden soll-
ten: Ich bin jederzeit auch noch zu weiterrei-
chenden Erklärungen bereit. Ich will keinen
Ärger. Ich weiß schließlich aus Netflix, wie das
ausgehen kann, wenn man sich mit den falschen
Leuten anlegt.n

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