Focus - ALE (2022-04-30)

(EriveltonMoraes) #1

WISSEN


Fotos: Shutterstock, dpa Illustration: Birgit Lang//FOCUS-Magazin

72 FOCUS 18/2022


S


ie ist von ambitionierter Gestalt und
exponierter Lage, sitzt schmetterlings-
förmig im Hals unterhalb des Kehlkopfs
und hat eine Ganzkörperbedeutung. Obwohl
nur zehn bis zwanzig Gramm schwer, produ-
ziert, speichert und verteilt sie die Schilddrü-
senhormone Trijodthyronin (T3) und Thyroxin
(T4), die in fast allen Körperzellen und Orga-
nen den Energiestoffwechsel anregen. Das
kann das Wachstum und die Reifung der Mus-
kulatur betreffen, die Aktivität unserer Nerven,
die Schnelligkeit der Reflexe sowie Wärme-
produktion, Herzschlag, Verdauung, Haar- und
Hautbeschaffenheit. Diese und andere Bau-
stellen beliefert die Schilddrüse. Nebenbei
wirft sie das Hormon Calcitonin für den
Knochenstoffwechsel ab.
Der Rohstoff, den sie benötigt, ist das
lebensnotwendige Jod. Weil es unser Kör-
per nicht selbst herstellen kann, muss er es
importieren. Geliefert wird Jod als Spuren-
element durch die Nahrung, etwa in Seefisch
und Meerestieren. In Deutschland besteht
wegen der Jodarmut der Böden und des
Grundwassers ein natürlicher Jodmangel.
Daher wird empfohlen, zumindest jodiertes
Speisesalz zu essen. Auch Nahrungsergän-
zungsmittel mit 100 bis 200 Mikrogramm Jod
können helfen, den Bedarf insbesondere bei
Schwangeren und Stillenden zu decken. Ob
man ausreichend versorgt ist, lässt sich am
sichersten im Urin messen. Mangelt es dem
Körper längere Zeit an Jod, kann sich in
der Schilddrüse ein Gewebeumbau
anbahnen. Die Schilddrüsen-
zellen vermehren sich, das
Organ vergrößert sich, bis
der Schmetterling zu einer
Struma anwächst, volks-
tümlich Kropf genannt.
Besteht ein unerkann-
ter angeborener Man-
gel an Schilddrüsen-
hormonen, kommt es
zur geistigen Retar-
dierung.
Eine vorwiegend
bei Frauen zwischen
30 und 50 Jahren
auftretende Erkran-
kung der Schilddrüse ist

die Hashimoto-Thyreoiditis, eine chronische
Entzündung, bei der Antikörper gegen Schild-
drüsengewebe ausgebildet werden. Jodid als
Nahrungsergänzungsmittel kann hier proble-
matisch sein und muss mit dem Arzt abge-
klärt werden. Es kann im Verlauf zur Unter-
funktion der Schilddrüse kommen, die sich in
Müdigkeit, Niedergeschlagenheit, Konzentra-
tionsproblemen, Haarausfall, trockener Haut,
Gewichtszunahme und Verstopfung äußert.
Eine Therapie mit Schilddrüsenhormonen
ermöglicht im Fall einer Unterfunktion bald
wieder ein normales Leben.
Für eine gesunde Schilddrüse raten Ernäh-
rungsmediziner grundsätzlich zu einer guten
Versorgung mit Selen, Omega-3-Fettsäuren,
Vitamin D und Eisen bei den Blutwerten.
Unruhe und Nervosität verspüren Pati-
enten mit Hyperthyreose, einer Überfunk-
tion der Schilddrüse. Auch Schlafstörungen,
Menstruationsprobleme, Gewichtsverlust,
Schwitzen, Zittern, Haarausfall, Herzklop-
fen zählen zu den Symptomen. Liegt hier
eine Fehlsteuerung des Immunsystems vor,
handelt es sich typischerweise um Morbus
Basedow, der außerdem Augenprobleme mit
sich bringt. Internisten und Endokrinologen
verordnen dann Schilddrüsenhemmer, die
das Organ wieder einregeln. Sodann kön-
nen Operation oder Radiojodtherapie folgen.
Erfreulicherweise lassen sich die meisten
Schilddrüsenprobleme gut behandeln. Sogar
Schilddrüsenkrebs hat in vielen Fällen eine
gute Prognose.
Bei unklaren Beschwerden lohnt
es sich, den TSH-Wert, das Schild -
drüsenregulationshormon, im
Blut bestimmen zu lassen.
Entwickelt das Organ Knubbel,
heißt es ab zum Ul tra schall,
zur Szintigrafie oder Biopsie.
Bleiben Sie wachsam
und kommen Sie gesund
durch die Zeit!

Die Ärztin Yael Adler
schreibt hier im
wöchentlichen Wechsel
mit dem Psychiater
und Theologen
Manfred Lütz

FOCUS-Kolumnistin Yael Adler erklärt die
ebenso wichtige wie fehleranfällige Schilddrüse

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Individuen mit Schnauze Auch Hunde
haben jeweils eine Persönlichkeit

A


rbeitnehmer bringen in Videokonfe-
renzen weniger Ideen hervor als in
persönlichen Treffen. Experten verglichen
den kreativen Ausstoß von 1490 Ver-
suchspersonen in fünf Ländern in einer
Reihe von Experimenten. Ergebnis: Am
Bildschirm verengt sich das Denken.

Psychologie

Zahl der Woche

Rasse zählt nicht


D


ieses Studienergebnis wird Debatten
nach sich ziehen. Nur neun Prozent
des Verhaltensrepertoires eines Hundes
sollen auf die Rasse zurückzuführen sein.
Unter der Leitung des Broad-Instituts an
der Harvard-Universität in den USA er -
gaben zahlreiche Erbgutanalysen unter-
schiedlicher Hunde zwar elf Gen-Kons-
tellationen, die mit Eigenschaften wie
Aggressivität und Folgsamkeit in Zusam-
menhang stehen. Sie deckten sich aber
nicht mit der Zugehörigkeit zu bestimm-
ten Rassen. Die Arbeit ist im Fachjournal
„Science“ erschienen. kmm

1070
Jugendliche
je 100 000 bekamen laut Kranken-
kassenerhebung im Jahr 2020
Antidepressiva verschrieben, gegenüber
811 im Jahr 2017.
Quelle: TK-Verordnungsreport 2022

Genetik
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