Nr. 19 / 7.5.2022DER SPIEGEL 117
Ingeborg Villwock, 92
Einmal im Monat kam sie zum SPIEGEL, zum letzten Mal kurz
nach Ostern. Die Verabredungen in der Kantine waren ein Ritual,
durch das Ingeborg Villwock dem Magazin verbunden blieb, das
ihr Bruder Rudolf Augstein 1947 gegründet hatte. Hinzu kam ihre
Arbeit im Kuratorium der Rudolf Augstein Stiftung. Villwock war
die Jüngste von sieben Geschwistern und die Letzte, die noch lebte.
Eine ihrer ersten Reisen bestritt sie als junge Frau mit Augsteins
Fahrrad, von München fuhr sie bis Sizilien. Villwock promovierte
am Botanischen Institut der Universität Hamburg über Flechten,
sie arbeitete als Lehrerin, betreute für den HB-Verlag das Natur-
magazin »Draußen« und konzipierte Ausstellungen über Wale und
Bäume. Außerdem unterstützte sie die Forschung ihres Mannes,
eines Zoologieprofessors. So flog sie nach Kairo, um Eierlegende
Zahnkarpfen aus dem Nil zu fischen. Mit dem SPIEGEL sprach sie
Ende vergangenen Jahres erstmals offen über ihren Bruder. »Über
niemand anderen denke ich so oft nach wie über Rudolf«, bekannte
sie. Villwocks Blick auf Augstein war schonungslos, aber respekt-
voll, gepaart mit dem ihr eigenen fröhlichen Sarkasmus. Ihr ältester
Bruder Josef sei groß und von strahlendem Auftreten gewesen,
sagte sie. »Rudolf war nicht hässlich, aber er war klein und sah eher
aus wie ich.« Ingeborg Villwock starb am 4. Mai in Hamburg. AKÜ
Ron Galella, 91
Einige seiner Bilder wurden vom New Yorker
Museum of Modern Art eingekauft, trotzdem war
er einer der meistverachteten Fotografen. Ron
Galella, aufgewachsen in der Bronx, hat den Berufs-
stand der Paparazzi mitbegründet. Er zog in den
Fünfzigern nach Los Angeles und suchte Promi-
nente in ihrem Privatleben heim. Marlon Brando
hat ihm dafür fünf Zähne ausgeschlagen, Jackie Kennedy-Onassis
brachte ihn vor Gericht. »Schuldgefühle kenne ich nicht«, behaup-
tete er. Für seine Bilder fand der Fotograf gut zahlende Abnehmer
bei bunten Blättern. Zu seinem Entzauberungshandwerk gehörte
es, Sicherheitsleute zu bestechen. Bevorzugt lauerte er Stars in
Situationen auf, in denen »sie einen nicht erwarten«, wie er prahlte.
Fans priesen ihn als Aufklärer, der glamouröse Figuren vermensch-
liche. Ron Galella starb am 30. April in Montville, New Jersey. HÖB
Régine, 92
Zur »Königin der Nacht« wird
man nicht ohne Einsatz: Sie brau-
che wenig Schlaf, sei 18 Stunden
auf den Beinen, trinke selten
und rauche nie, hat Régine von
sich gesagt. Was eine Gastgebe-
rin ausmacht, hatte die 1929 im
belgischen Anderlecht als Toch-
ter polnisch-jüdischer Eltern
geborene Régina Zylberberg im
Pariser Bistro ihres Vaters
gelernt. Bald machte sie sich im
Nachtklub Whisky à Gogo
unersetzlich, Françoise Sagan
freundete sich mit ihr an,
die Rothschilds finanzierten ihr
Ende der Fünfziger den ersten
eigenen Klub. Manchen Histo-
rikern des Nachtlebens gilt
Régine als Erfinderin der Disco,
denn im Chez Régine tanzten
Georges Pompidou oder Bri-
gitte Bardot zu Musik, die nicht
von einer Kapelle oder aus der
Jukebox kam, sondern von zwei
Plattenspielern. Anfang der
Sechziger lehrte die talentierte
Tänzerin Tout-Paris den Twist,
später nahm die Rothaarige Ge-
sangsstunden und sang Chan-
sons, die Aznavour oder Gains-
bourg für sie schrieben. In den
Siebzigern exportierte sie ihr
Régine’s-Erfolgsrezept, zeitweise
umfasste ihr Imperium 23 Eta-
blissements. Auch in New York,
Kuala Lumpur oder Düsseldorf
kam es auf die richtige Gäste-
mischung aus Prominenten,
Reichen und Gutaussehenden
an. Die Kontrolle durchs Guck-
loch in der Klubtür bestand nur,
wer korrekt gekleidet war:
Selbst Mick Jagger wurde we-
gen seiner Turnschuhe wegge-
schickt. Sie sang eine französi-
sche Version von »I Will Sur-
vive« und behielt ihren spötti-
schen Humor auch in einer
Reality-TV-Show auf dem Bau-
ernhof. Eine Freundin nannte
sie »eine Taschenlampe in
der Nacht, Vertraute, Trösterin,
Beraterin«. Régine starb am
- Mai im Großraum Paris. FEB
Mino Raiola, 54
Als »Scheißkerl« ist er be-
schimpft worden, als »Raff-
zahn« – für viele, die mit dem
Fußball noch romantische
Gefühle verbinden, war Mino
Raiola so etwas wie das personi-
fizierte Feindbild. Eine Symbol-
figur für die Gefräßigkeit der
Branche, für die Gier, für das
Immer-mehr, die gab der wahr-
scheinlich bekannteste Spieler-
berater der Welt schon durch
sein Äußeres vor: die dunkle
Sonnenbrille, die bewusst lege-
re Kleidung, der mächtige
Bauch – Raiola war eine baro-
cke Persönlichkeit, er lud seine
Kritiker geradezu ein, das Fuß-
ballgeschäft als mafiös zu be-
zeichnen. Dabei hat er stets be-
tont, dass es ihm nur um das
Interesse der von ihm vertrete-
nen Spieler gehe. Tatsächlich ist
von denen auch kein böses
Wort über Raiola zu hören: Ob
Zlatan Ibrahimović, Paul Pogba
oder Erling Haaland – die Pro-
fis, die bei Raiola in der Kartei
standen, konnten sicher sein,
die finanziell allerbesten Bedin-
gungen ausverhandelt zu
bekommen. Dass Raiola dabei
auch für sich und seine Firma
sorgte, gehörte zum Spiel dazu.
Die Football Leaks enthüllten,
dass er beim Transfer des Fran-
zosen Pogba zu Manchester
United insgesamt 49 Millionen
Euro Honorar für sich selbst
einstreichen konnte. Aufge-
wachsen war Raiola in den Nie-
derlanden, wo seine Eltern ein
italienisches Restaurant betrie-
ben, in dem er schon als Kind
aushalf; seine Gegner verspotte-
ten ihn deswegen später als
»Pizzabäcker«. Er sagte, viel
von dem, was er in seinem Be-
ruf gebraucht habe, habe er dort
gelernt – das Kommunizieren,
das Pflegen von Kontakten, all
das, was er später zur Perfek-
tion entwickelte. Mino Raiola
starb am 30. April an den
Folgen einer Lungenkrankheit
in Mailand. AHA
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Dmitrij Leltschuk / laif
Luc Fournol / photo12 / culture-images
Filippo Alfero / Insidefoto / IMAGO
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