Der Spiegel - ALE (2022-05-07)

(EriveltonMoraes) #1
DEBATTE

48 DER SPIEGELNr. 19 / 7.5.2022

Schwarzer, 79, Gründerin der Zeitschrift
»Emma«, ist Deutschlands bekannteste Fe mi-
nistin. Strack-Zimmermann, 64 (FDP), ist
Vorsitzende des Verteidigungsausschusses.
Wenn es nicht um den Krieg geht, verstehen
sich die beiden Rheinländerinnen gut.


SPIEGEL: Frau Schwarzer, Sie haben einen offe-
nen Brief an Bundeskanzler Olaf Scholz initiiert,
in dem Sie und Prominente wie Edgar Selge oder
Juli Zeh vor der Lieferung schwerer Waffen
in die Ukraine warnen. Was war der Auslöser?
Schwarzer: Ich denke schon seit Wochen und
Monaten in diese Richtung. Aber dann gab
es letzte Woche dieses Statement vom russi-
schen Außenminister Sergej Lawrow, der von
einer »ernsten, realen Gefahr« einer nuklea-
ren Bedrohung sprach. Das ist mir in die Kno-
chen gefahren. Und dann lief alles sehr schnell.
Am Dienstag vergangener Woche gab es den
ersten Entwurf, am Donnerstagabend die
letzte Abstimmung mit allen Unterzeichnern,
am Freitag wurde der Brief veröffentlicht.
SPIEGEL: Hat Sie die Aussage Lawrows auch
so erschreckt, Frau Strack-Zimmermann?
Strack-Zimmermann: Der ganze Krieg, das
russische Morden, Vergewaltigen, Verschlep-
pen von Kindern erschreckt mich, aber was
Lawrow gesagt hat, ist ja nichts wirklich Neu-
es. Selbstverständlich muss man das äußerst
ernst nehmen, alles andere wäre ja, mit Ver-
laub, bescheuert. Es läuft zurzeit aber auch
ein Krieg der Kommunikation. Lawrow be-
nutzt solche Aussagen auch, um uns psycho-
logisch in Schach zu halten.
SPIEGEL: Sie haben sich früh für die Lieferung
schwerer Waffen ausgesprochen. Der offene


Brief von Frau Schwarzer und den anderen
spricht sich genau dagegen aus. Was war Ihr
erster Gedanke, als Sie diesen Brief lasen?
Strack-Zimmermann: Nach mehr als 60 Tagen
Krieg hatte ich damit gerechnet, dass Intel-
lektuelle irgendwann Stellung beziehen. Das
hat mich nicht überrascht. Was mich über-
rascht hat, ist, dass gerade Sie, Frau Schwar-
zer, diese Position einnehmen. Ich bin 16 Jah-
re jünger als Sie und war meistens nicht Ihrer
Meinung, aber Sie haben eine Menge für uns
Frauen erreicht, vor allen Dingen auch für
meine Generation, und deswegen habe ich
großen Respekt vor Ihnen. Ich habe daher
damit gerechnet, dass Sie nun die körperliche
und seelische Gewalt an Frauen, dass Sie das
Ermorden von Soldaten, die Bombardierung
einer Geburtsklinik anprangern.
SPIEGEL: Diese Kritik erreicht Sie ja häufiger,
Frau Schwarzer. Wo ist Ihre Stimme gegen
das Leid der Frauen in diesem Krieg?
Schwarzer: Die ist da, vernehmlich. In der
aktuellen »Emma« ist ein sehr starker Artikel
einer kroatischen Kollegin, die über die sys-
tematischen Kriegsvergewaltigungen in der
Ukraine schreibt und an die durch die Sowjet-
armee begangenen am Ende des Zweiten
Weltkrieges erinnert. Seit dem ersten Erschei-
nungsjahr 1977 schreiben wir in der »Emma«
über Vergewaltigungen als Kriegswaffe – und
Sie wissen, dass das Thema lange Zeit tabu
war. Aber gerade darum bin ich dafür, dass
wir mit aller Kraft versuchen, diesen Krieg
nicht in eine unendliche Länge zu ziehen, son-
dern in baldige Verhandlungen investieren,
damit dieser Krieg gestoppt werden kann.
Damit die Zerstörungen, die Vergewaltigun-
gen, die Toten ein Ende haben.
SPIEGEL: Wäre es aus Ihrer Sicht besser ge-
wesen, die Ukraine hätte sich gleich am ersten

Tag des Einmarsches ergeben? Weil dadurch
viel Tod, Leid und Vergewaltigungen verhin-
dert worden wären?
Schwarzer: Nein, auf keinen Fall! Ich gehöre
als Frau zu einer Menschengruppe, die eher
Opfer ist. Ich habe die letzten 50 Jahre damit
verbracht, potenzielle Opfer zu ermutigen,
sich zu wehren. Natürlich ist es bewunderns-
wert, wie die Ukrainer sich wehren. Und es
ist gut, dass sie die Russen aufhalten, ja sogar
zurückdrängen konnten. Aber wir dürfen die
Ukraine nicht in der Illusion wiegen, dass sie
die größte Atommacht der Welt, Russland,
final besiegen könnte über ihr Territorium
hinaus. Es wäre fatal, wenn wir sie das glau-
ben ließen. Denn dann hätten wir eine Mit-
verantwortung für die totale Zerstörung des
Landes, das Leid und noch mehr Tote. Darum
haben wir diesen Brief geschrieben.
Strack-Zimmermann: Dem möchte ich wider-
sprechen. Wladimir Putin hat geglaubt, der
Krieg dauere vier oder fünf Tage. Er hat nicht
damit gerechnet, dass die 30 Nato-Staaten
zusammenstehen. Auch nicht, dass Finnland
und Schweden, die jahrzehntelang neutral
waren, jetzt gerade darüber reden, Teil der
Nato zu werden. Wir sehen: Die Ukraine hat
eine Chance, dass dieser Krieg anders verläuft,
als Wladimir Putin es sich vorgestellt hat. Al-
lerdings nur, wenn der Westen, auch wir, den
nötigen Beistand leisten.
Schwarzer: Ja. Aber wo verläuft für Putin die
rote Linie? Wenn wir Waffen zum Angriff
liefern, kann das von ihm so interpretiert wer-
den, dass wir Kriegspartei sind. Denn: Wie
Putin etwas interpretiert, ist leider seine Sa-
che, nicht unsere. Und deswegen ist die wich-
tigste Frage: Können wir nicht schnellstmög-
lich verhandeln? Damit wir auf jeden Fall das
Risiko eines dritten Weltkrieges vermeiden.
Strack-Zimmermann: Aber was ist Ihr Ziel,
Frau Schwarzer? Ich gebe Ihnen gern ein Bei-
spiel: Sie haben eine Wohnung, die einem
anderen gefällt. Derjenige möchte diese Woh-
nung haben und hat Ihren Partner oder Ihre
Partnerin umgebracht. Sie selbst werden ver-
gewaltigt. Und dann bieten Ihre Nachbarn,
die sich vom Lärm in Ihrer Wohnung belästigt
fühlen und endlich Ruhe haben wollen, dem
Vergewaltiger und Mörder die Hälfte Ihrer
Wohnung an. Das ist für mich unerträglich.
Es geht im Ukrainekonflikt um unsere freie
Welt. Um Menschenrechte, Demokratie und
Frieden in Freiheit. Das ist jetzt ein Kampf
der Systeme. Es darf nicht sein, dass Putin
sich hier durchsetzt.
Schwarzer: Ich bitte Sie! Dieser Vergleich ist
eine Zumutung. Es geht nun wirklich nicht
darum, dass wir uns »belästigt« fühlten. Im
Gegenteil. Wir fühlen mit dem Drama und
dem Leid in der Ukraine mit. Genau deshalb
erlauben wir uns die Frage, wie ihr Leid be-
endet werden kann. Sie, Frau Strack-Zimmer-
mann, haben gerade viele legitime moralische
Argumente angeführt: Menschenrechte, De-
mokratie, Freiheit und so weiter. Das ist alles
schön und gut. Aber ich darf Ihnen jetzt sa-
gen: Darum geht’s leider nicht! Das ist hier

»Können Sie Ihren Panzer


bitte bremsen?«


»Ich werde sie fahren


lassen, bis das Schlachten


ein Ende hat!«


SPIEGEL-STREITGESPRÄCH Die Publizistin Alice Schwarzer hat in einem
offenen Brief gegen die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine plädiert,
die Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann ist dafür. Ein Disput.

Das Gespräch führten die Redakteurin Susanne Beyer
und der Redakteur Markus Feldenkirchen.
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