DEBATTE
Nr. 19 / 7.5.2022DER SPIEGEL 49
gerade kein Wunschkonzert. Dieser Krieg ist
eine Machtfrage.
Strack-Zimmermann: Die Ukraine hat ganz
allein zu entscheiden, unter welchen Bedin-
gungen sie einem Frieden zustimmt. Das ist
nicht unsere Sache. Das vorzugeben, wäre
vermessen und extrem übergriffig.
Schwarzer: Aber der ganze Westen ist schon
jetzt involviert. Nur Verhandlungen können
diesen Krieg stoppen. Und bei diesen Ver-
handlungen müssen beide Seiten Konzessio-
nen machen. Und beide müssen die Möglich-
keit haben, gesichtswahrend herauszukom-
men. Mir geht es jetzt um die Verhinderung
von noch mehr Toten, um ein vernunftgelenk-
tes Handeln. Einen eindeutig enthemmten
Gegner wie Putin zu demütigen, das ist sehr,
sehr gefährlich. Frauen sind Demütigungen
eher gewohnt, wenn ich das als Frau so sagen
darf. Aber gedemütigte Männer und gede-
mütigte Nationen sind gemeingefährlich.
Deutschland hat sich nach 1919 extrem vom
Versailler Vertrag gedemütigt gefühlt. Wir
kennen die Folgen.
Strack-Zimmermann: Glauben Sie, man hätte
Adolf Hitler besiegen können, wenn man im
Westen nicht militärisch reagiert hätte? Putin
hat sich in die Riege der Massenmörder dieser
Welt eingereiht. Glauben Sie ernsthaft, dass
man mit ihm Verhandlungen führen kann?
Ich behaupte, dass Wladimir Putin – und das
ist tragisch genug – nur die klare militärische
Ansage versteht: Bis hierher und nicht weiter!
Nach der Eroberung der Krim hat der Westen
katastrophal zahm reagiert, Putin hat das re-
gistriert und will sich jetzt die ganze Ukraine
holen.
Schwarzer: Wir verhandeln ja sogar mit den
Taliban! Manchmal muss man eben Kompro-
misse machen – und aufhören, mit dem Säbel
zu rasseln. Unter dem Geschlechteraspekt
nötigt mir Ihr schneidiges Auftreten ja durch-
aus Achtung ab, Frau Strack-Zimmermann.
Und trotzdem missfällt mir, was Sie sagen.
Was ist eigentlich Ihr Ziel? Wie soll dieser
Krieg enden?
Strack-Zimmermann: Das Ziel ist die Wieder-
herstellung der ganzen Ukraine. Das Ziel ist,
Wladimir Putin in Den Haag vor Gericht zu
stellen. Das Ziel ist, dass Putin weiß, dass er
nach diesem Krieg keine Chance mehr hat,
andere Länder zu annektieren.
Schwarzer: Wie bitte? Es kann doch nicht
unser Ziel sein, Russland zu vernichten. Sie
sprechen vom Präsidenten der stärksten
Atommacht der Welt. In der Logik von Putin
bedeutet das: Bevor der sich von uns vernich-
ten oder in Den Haag vor Gericht stellen lässt,
zöge er uns wohl eher mit in den Abgrund.
Strack-Zimmermann: Entschuldigung, ich
habe nie gesagt, dass wir Russland vernichten
wollen. Ich habe gesagt, dass wir die Ukraine
schützen müssen. Und dass wir als Westen
nicht zulassen dürfen, dass das Recht des Stär-
keren wieder zählt. Putin hat allen gezeigt,
dass ihm die Vereinten Nationen, das Völker-
recht und eine wertebasierte Ordnung kom-
plett am Gesäß vorbeigehen. Ich möchte, dass
die Ukraine den Gegner zurückschlagen kann
und ihr Territorium zurückbekommt.
Schwarzer: Jetzt entschuldigen Sie aber mal!
Mit dem, was Sie eben gesagt haben, sind Sie
weit über den Schutz der Ukraine hinaus-
gegangen. Ein Land, dessen Staatschef in Den
Haag vor Gericht gestellt wird, ist natürlich
am Boden. Sie verwenden eine Rhetorik, vor
der wir uns hüten sollten. Das treibt den Geg-
ner in die Enge und muss selbst einem so mar-
tialischen Gegner wie Putin Angst machen.
Mit Tönen wie den Ihren steuern wir auf die
Eskalation des Konfliktes zu und könnten
schnell in einem dritten Weltkrieg landen. Der
nutzt dann auch der Ukraine nichts.
SPIEGEL: Am Sonntag ist der 8. Mai, vor 77
Jahren endete der Zweite Weltkrieg, Russland
feiert diesen Jahrestag am 9. Mai. Was wäre
die richtige Lehre aus diesen Daten für die
aktuelle Situation?
Strack-Zimmermann: Ja, dieser Tag hat in
Russland eine besondere Bedeutung. Und
nun heißt es immer wieder, an diesem histo-
rischen Tag, da müsse etwas passieren. Etwas
ganz Schreckliches. Zum Beispiel, dass Putin
die Generalmobilmachung ausruft. Ich finde
es falsch, dass wir dieses Narrativ von Wla-
dimir Putin einfach so übernehmen. Genauso
»Glauben Sie ernsthaft, dass man mit
Putin Verhandlungen führen kann?«
Marie-Agnes Strack-Zimmermann
»Wir verhandeln ja sogar mit den Taliban!
Man muss Kompromisse machen.«
Alice Schwarzer
Dominik Butzmann / DER SPIEGEL Maximilian Mann