Der Spiegel - ALE (2022-05-07)

(EriveltonMoraes) #1

52 DER SPIEGELNr. 19 / 7.5.2022


REPORTER


I


ch hatte gerade ein Stipendium am
berühmten »Ufa Nachwuchsstudio« in
Berlin ergattert, aber abgesehen von
der Ehre, angenommen worden zu sein,
hatte ich vor allem: kein Geld. Deshalb fuhr
ich öfter hinaus nach Spandau, wo der
Produzent Artur Brauner eine Filmproduk-
tionsfi rma mit großen Studios aufgebaut
hatte. Dort konnte ich als Komparsin we-
nigstens etwas Geld verdienen, half aus,
wenn sich im Hintergrund lautes Lärmen an
Kaffeetischen abspielen sollte, und konnte
so den damaligen Stars wie Heinz Erhardt,
Caterina Valente, Vico Torriani, Peter
Alexander oder Cornelia Froboess bei der
Arbeit zusehen. Manchmal schlenderte ich
mit einem befreundeten Fotografen in den
Studios herum, und er machte Schnapp-
schüsse, einfach so für sich, nicht für die
Presse. Und plötzlich saß da, in einer Ecke,
der große Louis Armstrong, mit seiner
Trompete auf dem Schoß.
Natürlich erkannte ich ihn sofort. Ich
liebte Jazz, damals schon. Der Fotograf sag-
te zu mir: »Setz dich doch mal neben ihn.«
Die beiden kannten sich. Zack, war die
Aufnahme im Kasten. Unglamourös, ohne
Pose, fast familiär. Armstrong sagte noch
etwas wie »Berlin is nice«, ein paar Worte
nur, dann war der Moment auch schon wie-
der vorbei. Aber das Foto blieb. Es ist die
größte Trophäe meines Lebens: der große


Louis Armstrong und ich, die kleine Schau-
spielschülerin. Armstrong saß gemütlich da
und wartete auf seinen Einsatz, ein Duett
mit dem damaligen Kinderstar Gabriele
Clonisch, das ging ungefähr so:

Gabriele: Ich sag gute Nacht.
Louis: And I say good night.
Gabriele: Schon leuchtet ein Stern.
Louis: Yes, I see the light ...

Furchtbar, aus heutiger Sicht. So eine
Jazzgröße ein so lapidares Liedchen singen
zu lassen – als würde Karajan »Hänschen
klein« dirigieren. Aber das war eben die
Zeit, das war romantisch, die Leute moch-
ten so was.
Jazz hingegen reißt mich bis heute aus
dem Senkel. Ich fi nde diese Musik unglaub-
lich. Ich habe einen ganzen Schrank voller
Jazzmusik. Früher habe ich sie auf meinem
»Schneewittchensarg« gehört, diesem wei-
ßen Kasten mit Plattenspieler von Braun.
Heute höre ich nur CDs. Auch die von
Louis Armstrong natürlich.
Ich habe schon an vielen Orten auf der
Welt gelebt, in Asien, in Afrika, und in je-
der meiner Wohnungen hing dieses Foto
von Louis Armstrong und mir im karierten
Rock. Und ich stieg sofort in der Achtung
meiner Besucher, wenn sie sahen, mit wem
ich da so vertraut saß.
Auch in meinem alten Bauernhaus hier
im Süden Deutschlands hängt es, aber
in der letzten Zeit kam es schon vor, dass
ein Handwerker oder jüngerer Besuch
das Bild sah und sagte: »Schön warst du ja,
aber, bitte, wer ist der Herr da neben dir?«

Armstrong, 1959


FAMILIENALBUM Uta Stiefvater, 82, aus Breisach-Niederrimsingen


‣Sie haben auch ein Bild, zu dem Sie uns
Ihre Geschichte erzählen möchten?
Schreiben Sie an: [email protected] Aufgezeichnet von Dialika Neufeld

ENERGIEKRISE


»Kohen wir bald in


Kisten, Herr Möller-


Hof zum Berge?«


SPIEGEL: Wir kochen auf dem In-
duktionsherd, das Tablet steuert
den Backofen – alles ungünstig,
falls der Strom ausfällt. Kann da
die Kochkiste von früher helfen?
Möller-Hof zum Berge: Kochkis-
tenwaren bis in die Wirtschafts-
wunderjahre verbreitet, um
Energie zu sparen. Lange hat
man zum Isolieren Stroh in eine
Holzkiste gepackt, die Töpfe
reingegeben und nachgegart. Ab
den Zwanzigern gab es auch das


»Heinzelmännchen«, eine vor-
gefertigte Kiste für zwei Töpfe.
Gemüse rein, Brühe kurz aufko-
chen und drüber gießen – und
dann hat man das Ganze stun-
denlang verschlossen. Wenn
mittags die Männer von der
Arbeit kamen, war die Suppe
fertig. So konnte man Holz oder
Kohle sparen. Wenn es mal eng
wird mit der Stromversorgung:
So eine Kiste funktioniert.
SPIEGEL: Man kann sie selbst
bauen?
Möller-Hof zum Berge: Genau.
Eine einfache Holzkiste mit De-
ckel und Isolation. Wir leben in
der Wohlstandsgesellschaft, es
gibt Küchen, die man vom Han-

dy aus bedienen kann. Wir sind
gewohnt, dassStrom und Was-
ser immer fl ießen. Fährt man
mal 1000 Kilometer gen Osten,
auf eines der vielen Gehöfte auf
dem Land, nach Rumänien oder
Russland zum Beispiel, da ha-
ben die Leute häufi g noch Kohle-
öfen – und Kochkisten.
SPIEGEL: Welche Rezepte eig-
nen sich?
Möller-Hof zum Berge: Neulich
habe ich Kartoffel-Möhren-Ge-
müse nach ungarischer Art pro-
biert, aus einem Kochkistenbuch
aus den Zwanzigerjahren. Das
ging ruck, zuck. In den Büchern
gibt es aber auch Spargelsuppe
oder Hasen- und Rehragout.

SPIEGEL: Auf Chefkoch.de fi n-
det man das Rezept »Milchreis
aus dem Bett«. Ist das Garen im
Bett auch eine gute Alternative?
Möller-Hof zum Berge: Auf jeden
Fall. Es reicht eine Decke. So
hat’s Oma früher gemacht.
SPIEGEL: »Zehn Prozent Ein-
sparung geht immer«, hat Wirt-
schaftsminister Habeck gesagt.
Wie viel Energie spart man
beim Kochen mit der Kiste?
Möller-Hof zum Berge: Bestimmt
60 Prozent. DIA

Carl-Werner Möller-Hof
zum Berge, 65, ist Direktor
des Küchenmuseums
World of Kitchen in Hannover.
Free download pdf