Der Spiegel - ALE (2022-05-07)

(EriveltonMoraes) #1
Nr. 19 / 7.5.2022DER SPIEGEL 61

Russland wird zum


Milliardenrisiko


AUTOINDUSTRIE Der Rückzug
aus Russland wird für westliche
Autohersteller zum finanziellen
Desaster. Konzernen wie Volks-
wagen, Mercedes-Benz und
Stellantis droht nicht nur der
Verlust ihrer milliardenschwe-
ren Investitionen vor Ort,
sondern auch eine Reihe teurer
Rechtsstreitigkeiten. Für die
Autobauer bestehe »das Risiko
von Rückkäufen«, sagt Volker
Treier, Außenwirtschaftschef
des Deutschen Industrie- und
Handelskammertags (DIHK).
Laut russischem Recht sind die
Hersteller innerhalb bestimmter
Garantiefristen verpflichtet,
ihren Kunden im Bedarfsfall Er-
satzteile zu liefern. Viele dieser
Teile, etwa Rückspiegel, stehen
aber auf den EU-Sanktionslis-
ten. Die Konzerne haben deren
Ausfuhr nach Russland deshalb
eingestellt. Kommen die Her-
steller ihrer Pflicht zur Instand-
haltung eines Fahrzeugs nicht
nach, können betroffene Kun-
den eine Klage wegen Vertrags-
bruch anstrengen – und wo-


möglich den kompletten Kauf-
preis zurückerhalten. Darüber
hinaus könnte ihnen Schadens-
ersatz für die Zeit zustehen, in
der sie ihr Auto nicht nutzen
konnten. Entsprechend groß ist
das finanzielle Risiko. Der VW-
Konzern etwa setzte allein 2021
gut 200 000 Fahrzeuge in Russ-
land ab. Die Konzerne geben
sich dennoch entspannt: Die
russischen Kunden dürften ihre
Autos lieber behalten, statt
sie zurückzugeben, heißt es bei
VW. Schließlich seien in Russ-
land kaum noch Neufahrzeuge
erhältlich. SH, GT

Preisexplosion bei
Bauprojekten
IMMOBILIEN Der Baukosten-
anstieg macht Deutschlands
Wohnungsunternehmen schwer
zu schaffen. Das zeigt eine ak-
tuelle Umfrage des Spitzenver-
bandes der Wohnungswirtschaft
(GdW). Danach steigen bei
65 Prozent von 174 Unterneh-
men die Preise laufender Neu-
bauprojekte, bei weiteren
18 Prozent werden Steigerun-
gen erwartet. Bei lediglich
17 Prozent aller laufenden Neu-
bauprojekte seien keine Ver-
änderungen feststellbar. Die
Baukosten bereits gestarteter
Neubauten erhöhen sich laut
Um frage um durchschnittlich

rund 14 Prozent, die Preise ge-
planter Projekte um knapp
19 Prozent. Den An gaben zufol-
ge wirken sich die Preissteige-
rungen auf bis zu 58 000 Wohn-
einheiten im Neubau aus. Als
Gründe nennt GdW-Präsident
Axel Gedaschko Lieferschwie-
rigkeiten infolge des Ukraine-
kriegs, geringere staatliche För-
derungen und die steigende
Inflation: »In der Bauwirtschaft
braut sich gerade der perfekte
Sturm zusammen.« Sollte sich
die Preisdynamik der vergange-
nen Monate weiter fortsetzen,
planen 24 Prozent der befragten
Unternehmen, Neubauprojekte
komplett aufzugeben, weitere
64 Prozent wollen die Vorhaben
zumindest zurückstellen. HEJ

Inflation füllt


Staatskasse


BUNDESHAUSHALT Trotz wirt-
schaftlicher Abschwächung
rechnet das Bundesfinanzminis-
terium (BMF) mit kräftig stei-
genden Steuereinnahmen. 2022
würden Bund, Länder und Ge-
meinden etwas mehr als 30 Mil-
liarden Euro an zusätzlichen
Einnahmen verbuchen, 2023
knapp 40 Milliarden Euro, heißt
es im Ressort von Finanzminis-
ter Christian Lindner (FDP).


Die Zahlen stammen aus dem
Vorschlag des BMF für die kom-
mende Woche anstehende
Steuerschätzung. Das Einnahme-
plus kommt zustande, weil
sich vor allem die Körperschaft-
und die Einkommensteuer, aber
auch die Abgaben auf den Kon-
sum besser entwickeln als er-
wartet. Hinzu kommt, dass die
Inflation die Staatskasse füllt.
Wenn die Preise steigen, die
Menschen aber trotzdem viel
einkaufen, kassiert der Staat
zum Beispiel mehr Umsatz-
steuer. »Auf Basis der einschlä-
gigen nominalen Eckwerte er-
gibt sich tendenziell vor allem
für die nächsten Jahre eine ge-
wisse Aufwärtsanpassung der
Einnahmeerwartung«, heißt es
in einem Vermerk des BMF.
Lindner dürfte trotz des Ein-
nahmeschubs keinen Spielraum
für zusätzliche Ausgaben sehen.
Der Bund hat seinen Anteil von
knapp der Hälfte an den Mehr-
einnahmen praktisch schon ver-
plant. Kürzlich legte die Regie-
rung zwei Entlastungspakete für
die Bürger auf. Diese haben ein
Volumen von zusammen rund
30 Milliarden Euro. REI

Ukrainekrieg hilft
Düngerkonzernen
LANDWIRTSCHAFT Die Re-
kordgewinne von Düngemittel-
herstellern wie Yara oder K+S
inmitten der Ukraine- und Ener-
giekrise stoßen auf heftige Kri-
tik. »Dass diese Konzerne ex-
orbitante Margen einfahren und
sich an der Krise bereichern,
ist skandalös und sollte von der
Politik reguliert werden«, sagt
Lena Bassermann vom entwick-
lungspolitischen Inkota-Netz-
werk. Es entstehe der Eindruck,
»dass ein Großteil der jüngsten
EU-Hilfsgelder für die Bauern
mittels drastisch gestiegener
Düngerpreise in die Taschen der
Aktionäre fließt«. Der Kasseler
K+S-Konzern hat bereits seine
Gewinnprognose für 2022 ange-
hoben. Das Nettoergebnis des
norwegischen Yara-Konzerns
hat sich im ersten Quartal 2022
im Vergleich zum Vorjahr von
14 Millionen US-Dollar auf
947 Millionen Dollar nahezu

versiebzigfacht. Die Unterneh-
men räumen ein, dass sie ihre
ge stiegenen Kosten durch Preis-
erhöhungen überkompensieren
konnten. Den Vorwurf des
Krisenprofiteurs, so K+S, weise
man zurück. Gewinne auf dem
Rücken der Bauern mache der
Konzern nicht. Bei Yara heißt
es, man sei sehr besorgt um die
globale Nahrungsmittelsicher-
heit. Der hohe Preis für Dünge-
mittel, so die Konzerne, ergebe
sich aus der weltweiten Ange-
bots- und Nachfragelage. Jahre-
lang bezog der Yara-Konzern
Kalisalze aus Belarus, auch nach
Beginn der EU-Sanktionen
gegen das Regime von Präsident
Alexander Lukaschenko. Salze
mit einem Kaliumgehalt von
40 bis 62 Prozent – genau jene
Produkte, die Yara vorrangig
benötigte – waren für längere
Zeit von den Sanktionen aus-
genommen. Seit Beginn der
russischen Invasion habe man
die Bezüge aus Belarus jedoch
gestoppt, so Yara. NKL

VW-Neufahrzeuge
in Kaluga

Wohnungsbau in Frankfurt am Main

Finanzamt
in Lindau
Werner Dieterich / Westend61 / vario images

YAY Images / IMAGO

Sebastian Gollnow / dpa
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