Der Spiegel - ALE (2022-05-07)

(EriveltonMoraes) #1
WIRTSCHAFT

Nr. 19 / 7.5.2022DER SPIEGEL 69

SPIEGEL: In Interviews vor dem Markt-
eintritt sagten Sie, Sie wollten die Num-
mer eins werden. »Egal wie viele Wa-
renhäuser unsere Wettbewerber ha-
ben werden, wir werden mehr bauen.«
Östberg: Wann war das? Bezogen auf
Deutschland oder auf die Welt?
SPIEGEL: Im Mai vergangenen Jahres,
bezogen auf Deutschland.
Östberg: Wir hatten nie die Absicht,
hier Marktführer zu werden. Wir hat-
ten die Ambition, den besten Service
anzubieten. Und mit dem Eintritt der
US-Konkurrenten Doordash und Uber,
die unglaublich viel Geld zur Verfügung
haben, wurde uns klar, dass wir uns
nicht genug differenzieren können.
SPIEGEL: Ein bisschen verrückt ist es
schon: Noch im Mai nannten Sie den
deutschen Markt »unterversorgt«.
Ein paar Monate später war er so
übervoll, dass Sie die Flucht ergriffen.
Östberg: Sie müssen bedenken, dass
Delivery Hero ein globales Unter-
nehmen ist. Wir liefern mehr als 250
Millionen Bestellungen pro Monat
aus, in Deutschland hatten wir in
der Spitze nur 2 Millionen. Selbst ein
Erfolg hätte also höchstens ein paar
Prozent unseres Geschäfts bewegt.
Natürlich ist jeder Markt wichtig,
aber wir können nicht die Welt für
Deutschland riskieren.
SPIEGEL: Sogenannte Schnellliefer-
dienste, die Lebensmittel innerhalb
von zehn Minuten vorbeibringen,
verbrennen noch mehr Geld als De-
livery Hero. Auf Twitter warnten Sie
im vergangenen Jahr vor Kostenfallen
in Millionenhöhe – und kündigten
dann an, selbst in nur sieben Minuten
liefern zu wollen.
Östberg: Wenn man ein Produkt neu
auf den Markt bringt, braucht man
einen Wow-Effekt für den Kunden.
Die Leute sollen mit ihren Freunden
darüber sprechen: »Wie ist das mög-
lich? Wie kriegen die das hin?« Dafür
nehmen wir anfangs bei jeder Be-
stellung einen Verlust in Kauf. Lang-
fristig bezahlen aber die Kunden für
derart flotte Lieferungen – und denen
ist der Preis letztlich wichtiger als die
Schnelligkeit. Deswegen liefern wir
lieber etwas langsamer und stellen
sicher, dass wir daran verdienen.
SPIEGEL: Aber auch hier ist Ihre Stra-
tegie erratisch: Im Mai vergangenen
Jahres verglichen Sie Lieferdienste
wie Gorillas mit einer »Sammlung
von 50 Spätis«, die niemals eine Mil-
liardenbewertung verdienen würden.
Ein paar Monate später stiegen Sie
mit 200 Millionen Euro ein. Wie soll
man Ihnen da vertrauen können?
Östberg: Ich glaube nicht, dass unsere
Investoren meinen Entscheidungen
misstrauen. Es stimmt noch immer,


dass relativ wenige dieser Firmen
wirklich erfolgreich werden können,
von Hunderten Playern werden am
Ende ein oder zwei übrig bleiben –
und Gorillas sieht für uns wie ein
Gewinner aus. Aber wir haben das
Unternehmen nicht gekauft, wir ha-
ben darin investiert, damit wir nichts
verpassen. Vielleicht zahlt es sich aus,
vielleicht nicht, so ist das mit großen
Geschäftsentscheidungen. Neun von
zehn mögen falsch sein, die letzte
indes bringt einem das Hundertfache
des Einsatzes zurück.
SPIEGEL: Sie haben die Lieferfirmen
Woowa in Südkorea zugekauft und
Glovo in Spanien, keines dieser Un-
ternehmen ist profitabel.
Östberg: Wir investieren meistens in
Firmen, die noch nicht profitabel sind,
dort sehen wir die größten Chancen.
Wir sehen bei den meisten dieser
Firmen einen klaren Weg in die Ge-
winnzone, und wenn andere das nicht
sehen, umso besser, dann kriegen wir
sie billiger.
SPIEGEL: Sie haben auch angekündigt,
Kosten sparen zu wollen. Müssen An-
gestellte von Delivery Hero um ihren
Job fürchten?
Östberg: Nein, wir werden weiterhin
zweistellig wachsen. Bis 2030 wollen
wir ein Verkaufsvolumen von 200 bis
350 Milliarden Euro erreichen, wir
werden fünf- bis achtmal so groß sein
wie jetzt. Das geht nicht mit weniger
Leuten. Vor allem im Techbereich
suchen wir ständig Mitarbeiter.

SPIEGEL: Niemand wird seinen Job
verlieren müssen, damit Sie profitabel
werden?
Östberg: Es gibt kein unternehmens-
weites Sparprogramm, und es ist auch
nicht geplant.
SPIEGEL: Gewinne machen Sie vor
allem dort, wo die Arbeitnehmerrech-
te Ihrer Fahrradkuriere schwach sind.
Östberg: Da muss ich widersprechen.
Norwegen und Schweden etwa sind
extrem reguliert, unsere Fahrer dort
sind gewerkschaftlich organisiert.
Und trotzdem sind es zwei unserer
profitabelsten Märkte.
SPIEGEL: In Deutschland müssten Sie
Fahrern fixe Arbeitsverträge geben.
Östberg: Unseren Umfragen zufolge
möchten mehr als drei Viertel unserer
Rider freiberuflich arbeiten. Die wol-
len zwischen zwei Unikursen mal ein
paar Stunden liefern, arbeiten dazu
noch als Kellner oder haben Kinder.
Wenn man diese Leute in feste Ver-
träge zwingt, werden das nur wenige
akzeptieren.
SPIEGEL: Die EU-Kommission könn-
te Ihnen einen Strich durch die Rech-
nung machen. Laut einem Regulie-
rungsvorschlag könnten Sie gezwun-
gen sein, Fahrer fest anzustellen.
Östberg: Ich denke, dass der Entwurf
zu streng ist und unseren Kurieren
schaden könnte, auch was ihr Ein-
kommen betrifft. Wenn die Mitglieds-
länder dem Vorschlag tatsächlich in
dieser Form zustimmen, was ich be-
zweifle, wäre das für uns als Unter-
nehmen okay – aber wir kämpfen für
die »Rider Community«.
SPIEGEL: Früher erzählten Sie in
Interviews gern, dass Sie sich hin und
wieder selbst aufs Fahrrad setzen.
Diese Zeiten sind vorbei, oder?
Östberg: Ich schäme mich ein biss-
chen, das letzte Mal saß ich vor Co-
rona auf einem Lieferfahrrad. Aber
in zwei Wochen reise ich nach Dubai,
da plane ich ein paar Bestellungen
fest ein.
SPIEGEL: Angenommen, Deutschland
würde seine Regulierung lockern:
Versuchen Sie es dann ein drittes Mal
im Heimatmarkt?
Östberg: Wir fokussieren uns lieber
erst mal auf die anderen 74 Märkte,
Glovo eingeschlossen, bevor wir uns
auf neue Herausforderungen stürzen.
Wir waren, was Akquisitionen angeht,
schon bisher recht selektiv. Inzwi-
schen brauchen wir sie gar nicht mehr.
SPIEGEL: Wird es Delivery Hero in
drei Jahren noch geben?
Östberg: Da bin ich mir absolut sicher.
Und wir werden die größte Techno-
logiefirma Deutschlands sein, hinter
SAP vielleicht.

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Delivery-Hero-Aktie,
in Euro

jeweils Mittwochswerte
S◆Quelle: Refinitiv Data-
stream, Stand: 4. Mai

2019 2022

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Interview: Anton Rainer n

Gründer Östberg
Andreas Pein / laif
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