Der Spiegel - ALE (2022-05-07)

(EriveltonMoraes) #1

WIRTSCHAFT


72 DER SPIEGELNr. 19 / 7.5.2022


M


ichael Schulz ist in diesen Tagen sehr
in Eile, unterwegs in einer speziellen
Mission. Der IT-Chef der Stadtver-
waltung in Freiburg im Breisgau muss Soft-
ware von rund 3000 Rechnern und Servern
der Kommune entfernen, möglichst schnell.
Es geht um den Virenschutz von Kaspersky,
der plötzlich zum Problem geworden ist.
Grund ist der Krieg in der Ukraine. Ein An-
bieterwechsel war zwar ohnehin vorgesehen,
weil die Lizenzen in absehbarer Zeit ablaufen
und weil Schulz und sein Team das gesamte
Schutzkonzept erneuern wollten. Doch nun
gehe man von einer ernsten Bedrohungslage
aus, insbesondere wegen der Städtepartner-


schaft Freiburgs mit dem ukrainischen Lwiw.
Es bestehe »Eilbedürftigkeit«, schrieb Schulz
neulich auf Anfragen aus dem Stadtrat. Zwei
bis drei Monate werde der Austausch dauern,
sagt er am Telefon, und vermutlich 30 000
bis 50 000 Euro kosten. »Der bisherige Plan
sah einen anderen Zeithorizont vor.« Schulz
spricht von einer »bösen Überraschung«, sie
habe »viele auf dem falschen Fuß erwischt«.
Tatsächlich wird die Software des russi-
schen Herstellers gerade auf Hunderttausen-
den Rechnern in Deutschland außerplan-
mäßig gelöscht. Kommunen sind betroffen,
genauso wie Unternehmen und Privatkunden.
Am 15. März veröffentlichte das Bundesamt

für Sicherheit in der Informationstechnik
(BSI) eine Warnung vor den Produkten von
Kaspersky und riet zum Wechsel – ein außer-
gewöhnlicher Schritt. Die Behörde hatte in
der Vergangenheit den Virenschutz made in
Russland stets verteidigt. Das BSI nahm die
Firma sogar in seine Allianz für Cybersicher-
heit auf, die Drähte auf Fachebene waren eng.
Das ist vorbei. Kaspersky ist zum Paria
geworden. Die Zugriffsmöglichkeiten der
Firma auf die IT-Systeme, argumentiert die
Behörde, seien mögliche Einfallstore für den
russischen Staat, die Programme von Kas-
persky könnten zu einer gefährlichen Waffe
werden. »Ein russischer IT-Hersteller kann
selbst offensive Operationen durchführen,
gegen seinen Willen gezwungen werden, Ziel-
systeme anzugreifen, oder selbst als Opfer
einer Cyber-Operation ohne seine Kenntnis
ausspioniert oder als Werkzeug für Angriffe
gegen seine eigenen Kunden missbraucht wer-
den«, heißt es im Warnschreiben des BSI. Die
gesamte Bandbreite des Cyberwar-Schre-
ckens, und das ausgerechnet bei einem Pro-
dukt, das Schutz und Sicherheit verspricht.
Es ist paradox. Kurz vor der Warnung hat-
te die Stiftung Warentest, auch eine Einrich-
tung des Bundes, die Software noch zum Test-
sieger gekürt. Nun machen die Tester einen
Rückzieher: An der Schutz wirkung der Kas-
persky-Programme habe sich nichts ge ändert,
es sei aber »nicht auszuschließen, dass die
russische Regierung Druck auf den Anbieter
ausübt, um Änderungen an der Software zu
erreichen, die sich negativ auf deren Funk-
tions weise auswirken«.
Für Unternehmenschefs, IT-Verantwort-
liche und private Anwender stellt sich also die
Vertrauensfrage. Das Amt hat eine Warnung
ausgesprochen, aber kein Verbot.
Die Firma und ihr Gründer Eugene Kas-
persky kämpfen derweil gegen das Misstrauen
an – aufgeregt und emotional. Das BSI hand-
le aufgrund »reiner Spekulationen«, ohne
objektive Beweise oder technische Details,
die Warnung erfolge »rein aus politischen
Gründen«, schrieb Kaspersky in einem of-
fenen Brief. Er beschwerte sich nicht nur,
sondern klagte auch dagegen, erfolglos. Das
Oberverwaltungsgericht NRW erklärte das
Vorgehen des BSI in zweiter und letzter In-
stanz für rechtens. Ist es auch gerechtfertigt?
Man könnte sich die Sache einfach ma-
chen. Kaspersky ist ein russischer Unterneh-
mer, seine Ausbildung begann an einer KGB-
Schule. 1997 gründete er mit seiner damaligen
Frau weitsichtig ein Softwareunternehmen,
um Computer vor Viren und Angriffen zu
schützen. Ein Vierteljahrhundert später lag
der weltweite Umsatz von Kaspersky Lab bei
etwa 700 Millionen Dollar. Sein persönliches
Nettovermögen wird auf rund eine Milliarde
Dollar geschätzt.
Auf den Krieg reagierte der umtriebige
Unternehmer erst eine Woche nach Kriegs-
beginn mit zwei Tweets, in denen er von der
»Situation in der Ukraine« schrieb – und dass
er auf einen »Kompromiss« hoffe. Alles an-

Plötzlich böse


IT-SICHERHEIT Der russische Antivirenspezialist Kaspersky ist in die Wirren


des Krieges geraten. Jahrelang vertrauten deutsche Behörden der


Firma, jetzt warnt der Staat die Kunden. Wie gefährlich ist die Software?


Firmengründer
Kaspersky

Gene Glover / Agentur Focus
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