Der Spiegel - ALE (2022-05-07)

(EriveltonMoraes) #1

AUSLAND


80 DER SPIEGELNr. 19 / 7.5.2022


D


aniel Vinluan wünscht sich nichts sehn-
licher als die Rückkehr der Ära des
Diktators Ferdinand Marcos. Und er
glaubt fest daran, dass sein Traum bald Wirk-
lichkeit wird. Vinluan, ein gepflegter, pum-
meliger Mann, gebildet, gelernter Kranken-
pfleger und überzeugter Nationalist, steht mit
glänzenden Augen vor den Massen. Dann
greift er zum Mikrofon und ruft: »BBM!
BBM! BBM!« Es ist die Abkürzung für seinen
Kandidaten Ferdinand Marcos Jr., genannt
»Bongbong«.
Es ist der Schlachtruf dieser Kampagne.
Dabei streckt er immer wieder die geballte
Faust in die Höhe. »BBM!«, ruft die Menge
begeistert im Chor zurück. Ende Januar die-
ses Jahres besucht Vinluan, ein 26-jähriger
ehrenamtlicher Wahlkampfhelfer, eine Ver-
anstaltung der nationalistischen Marcos-Par-
tei Federal ng Pilipinas.
Etwa 300 Parteianhänger versammeln sich
an diesem Nachmittag unter einem überdach-
ten Basketballplatz in Tanay, einer Gemeinde
in der Provinz Rizal, rund drei Autostunden
östlich von Manila. Unter ihnen sind zwei Dut-
zend Jugendliche, sie tragen rote Shirts, auf
denen Ferdinand Marcos und sein Sohn Ferdi-
nand Marcos Jr. abgebildet sind. Aus den Boxen
dröhnt in Dauerschleife das Lied »Bagong Li-
punan«, die moderne Version eines Propagan-
dasongs aus der Marcos-Zeit. Die Jugendlichen
beten und tanzen, singen die Nationalhymne
und schwenken philippinische Flaggen.
Die Philippinen wählen am 9. Mai. Rodri-
go Duterte, der autoritäre Präsident, tritt ab.
»Bongbong« Marcos hat beste Aussichten,
sein Nachfolger zu werden und Dutertes poli-
tisches Erbe anzutreten. Kurz vor der Wahl
liegt Marcos Jr. in Umfragen mit teils mehr
als 40 Prozentpunkten anscheinend uneinhol-
bar vor seiner Herausforderin Leni Robredo,
der derzeitigen Vizepräsidentin. Marcos Jr.
kandidiert mit Sara Duterte-Carpio, der Toch-
ter des aktuellen Amtsinhabers Rodrigo Du-
terte. Sie will unter Marcos Jr. Vizepräsiden-
tin werden, auch sie liegt in Umfragen haus-
hoch vorn. Auf den Philippinen werden Prä-
sident und Vizepräsident getrennt gewählt.
Der Schulterschluss der Familienclans
Marcos und Duterte ängstigt viele. Mensch-
rechtsaktivisten, Oppositionelle, Journalisten
und Opfer des Marcos-Regimes befürchten
einen Rückfall in die Diktatur.


Es ist gerade einmal 36 Jahre her, dass die
Philippiner in einem Volksaufstand Ferdinand
Marcos nach 14 Jahren Diktatur stürzten. Bis
zu zehn Milliarden Dollar soll Marcos in die-
ser Zeit gestohlen haben. Bislang bekam der
philippinische Staat nur etwa vier Milliarden
US-Dollar zurück. 1986 musste die Marcos-
Familie fliehen. 1989 starb der Diktator, und
seine Witwe Imelda kehrte danach aus dem
US-Exil heim. Ihr Ziel: Die Familie zurück an
die Macht zu führen. 2016 gelang ihr ein ers-
ter großer Schritt in diese Richtung. Präsident
Duterte hatte sich dafür eingesetzt, den ein-
balsamierten Leichnam des früheren Dikta-
tors mit militärischen Ehren auf dem Helden-
friedhof Manilas beizusetzen. Marcos war bei
vielen rehabilitiert.
Die Vergangenheit scheint an der Familie
abzuperlen. 1995 wurde »Bongbong« Marcos
wegen Steuervergehen verurteilt, das Urteil
wurde jedoch in der Berufung aufgehoben.
Mutter Imelda, inzwischen 92 Jahre alt, wur-
de 2018 wegen des Versuchs, ihr Vermögen

zu verstecken, zu elf Jahren Haft verurteilt.
Der Oberste Gerichtshof prüft nach wie vor
ihre Berufung.
Für Vinluan spielt das keine Rolle: Nichts
weiter als Fake News und Schmutzkampa-
gnen, um Marcos zu diskreditieren. Er sagt:
»BBM umarmt die Menschen. Abgesehen
davon kann ich seine Aufrichtigkeit in seinen
Augen erkennen.« Es sei Zeit, die Geschichte
zu korrigieren, mit all den falschen Anschul-
digungen aufzuräumen. »Bongbong« Marcos
trete als rechtmäßiger politischer Erbe seines
Vaters an, um die Philippinen zu altem Glanz
und neuer Gloria zu führen.
Zehn Kandidaten bewerben sich um die
Präsidentschaft, darunter ein berühmter Ex-
Boxer, ein charismatischer Bürgermeister und
ein ehemaliger Polizeichef. Aber es läuft he-
raus auf ein Duell zwischen »Bongbong« Mar-
cos und Leni Robredo, der aktuellen Vize-
präsidentin und Gegnerin Dutertes.
Robredo verspricht, als Präsidentin Kor-
ruption und Klimawandel zu bekämpfen, von
dem die Philippinen besonders betroffen sind,
Investitionen zu erleichtern und das Arbeits-
losengeld zu erhöhen. Hunderttausende Men-
schen besuchen ihre Wahlkampfveranstaltun-
gen – vereint in ihrem Wunsch zu verhindern,
dass ein weiterer Marcos Präsident wird.
Robredo bringt politische Erfahrung mit,
gibt sich zukunftsorientiert und gilt als nicht
korrupt – gegen Marcos scheint sie trotzdem
chancenlos.
Aber wohin »Bongbong« Marcos das Land
führen will, ist unklar. Wahlkampfdebatten
mit Gegenkandidaten meidet Marcos Jr., die
wenigen Interviews gibt er nur ihm freundlich
gesinnten Medien. Auf Wahlkampfveranstal-

Herzen für Marcos


PHILIPPINEN Präsident Rodrigo Duterte tritt ab – doch seine


Familie hat sich vor den Wahlen mit der des einstigen


Diktators Marcos verbündet. Ist die Demokratie in Gefahr?


Marcos-Anhänger in Manila: »Sollten wir nicht gewinnen, wird es einen Volksaufstand geben«

Carlo Gabuco / DER SPIEGEL
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