SPORT
90 DER SPIEGELNr. 19 / 7.5.2022
K
aum rollte der Ball am Freitag
vergangener Woche im Nie-
dersachsenstadion, griffen An-
hänger von Hannover 96 zum Feuer-
zeug. Zwei Minuten nach Anpfiff stieg
dicker Rauch vor der Nordtribüne
auf. Schwarz, grün und weiß – in den
Vereinsfarben des Zweitligisten. Die
Gästefans des Karlsruher SC antwor-
teten feurig. In ihrem Block brannten
rote Bengalos.
Für die Ultras, die Hardcore-Fans,
sind grell leuchtende Magnesium-
fackeln und Rauchtöpfe ein wichtiges
Stilmittel, um ihre Mannschaft zu
unterstützen. Pyrotechnik gehört zur
Fankultur, seit in den Neunziger-
jahren der Betzenberg in Kaisers-
lautern regelmäßig »brannte«. Seit-
dem gibt es kaum ein Thema in der
Branche, das so hitzig diskutiert wird
wie der Umgang mit den Feuerteu-
feln in den Arenen.
Der Deutsche Fußball-Bund hält
das Feuerwerk für störend und ge-
fährlich. Vereine werden von Sport-
gerichten zu Geldstrafen verdonnert.
Seit vier Jahren gibt es gar eine Art
Bußgeldkatalog: In der ersten Liga
kostet jede Fackel 1000 Euro Strafe,
ein Böllerwurf 3000 Euro. Die Klubs
sollen sich die Strafgelder von den
Übeltätern zurückzuholen. Gelingt
das, bekommen sie Rabatt.
Gegen die Zündelei helfen die
Strafen bisher nicht. Seitdem die Ul-
tras nach der Coronapause wieder in
die Stadien kommen, brennt und
raucht es Woche für Woche. Den An-
hängern gelingt es mühelos, ihr
Feuerwerk durch die Sicherheitskon-
trollen an den Eingängen zu schmug-
geln. Weil sich die Täter vermummen
oder unter Fahnen verstecken, lassen
sie sich kaum identifizieren.
Nun behaupteten Fachleute sogar,
die Sanktionen können ein zusätz-
licher Anreiz zum Zündeln sein. Der
Betriebswirt Philipp Winskowski hat
für seine Doktorarbeit die Wirksam-
keit der Strafen von fast 1000 Sport-
gerichtsurteilen ausgewertet, zudem
Zuschauer und Experten befragt.
»Die Fans lassen sich von den Stra-
fen nicht abschrecken, zumal es den
Vereinen kaum gelingt, sie an die Tä-
ter weiterzugeben«, zieht Winskow-
ski Bilanz. Ultravertreter hätten ihm
erklärt, dass es einen Wettstreit unter
den Fangruppen gebe, welcher Verein
die meisten Strafen bekomme.
Tatsächlich gibt es im Internet
Strafentabellen. »Wer wird Randale-
meister?«, heißt es etwa auf der Web-
Wer wird Randalemeister?
FUSSBALL Seit die Ultras in den Stadien zurück sind, qualmt es wie lange nicht
mehr. Dabei steht der Besitz von Pyrotechnik dort unter Strafe. Prüft nur keiner.
site fussballmafia.de. Zwei Klicks
weiter können die Fans gleich Benga-
los XL in »bester Magnesiumquali-
tät« oder Rauchtöpfe für »sehr starke
Rauchentwicklung« bestellen.
Die Vereine stecken laut Winskow-
ski in einem Dilemma. Einerseits
wollten sie zeigen, dass sie den
Kampf gegen Pyrotechnik ernst näh-
men. Andererseits dürften sie die
Ultras nicht verärgern, weil die für
Einnahmen und spektakuläre Fern-
sehbilder sorgen. »Der Verein kann
sich bei einer besseren Stimmung
besser vermarkten«, so der Wissen-
schaftler.
Die Klubs nähmen deshalb Strafen
bis zu einem bestimmten Maß in
Kauf. Dazu gebe es heimliche Ab-
sprachen zwischen Vereinen und Fan-
organisationen. Etwa die Hälfte der
elf von ihm befragten Klubs hätte ent-
sprechende Agreements bestätigt,
sagt Winskowski.
Auch Andreas Hüttl, ein Anwalt
aus Hannover, der bundesweit Ultras
vertritt, weiß von solchen Verein-
barungen. »Da wird dann schon mal
darüber gesprochen, bei welchen
Spielen Pyro passt und wann es bes-
ser unterbleiben sollte«, sagt er.
Hüttl hält eine solche Kommunika-
tion für wichtig, das Sanktions system
des DFB treibe einen Keil zwischen
Fans und Vereine. Bei den Ultras habe
das Pyrotechnikverbot »eine gewisse
Art von Bockigkeit« ausgelöst, sagt er.
Deshalb gebe es einen Anreiz zu zün-
deln. Der Fan anwalt beobachtet, dass
Vereine die Ultras in den vergangenen
Wochen mit ihren Fackeln haben ge-
währen lassen. »Ich hoffe, dass dies so
bleibt«, so Hüttl.
Nach legalen Möglichkeiten für das
Rauchwerk sucht der HSV. Die Ham-
burger müssen regelmäßig vor dem
Sportgericht antreten. Einmal wurde
der Verein verurteilt, 150 000 Euro zu
zahlen, weil Ultras beim Spiel gegen
den FC St. Pauli Dutzende Pyro-
fackeln, Rauchtöpfe und Böller gezün-
det hatten. Als die Hanseaten vor zwei
Jahren gegen den Karlsruher SC an-
traten, durften zehn Fans vor Anpfiff
offiziell Rauchtöpfe in einem abge-
sperrten Bereich anzünden. Der Pilot-
versuch sei ein »großer Erfolg« ge-
wesen, berichtet Cornelius Göbel,
Direktor Fankultur des HSV, in der
kommenden Saison soll es eine Wie-
derholung geben.
Dass der HSV konkrete Abspra-
chen mit seinen Ultras über »Pyro-
shows« trifft, bestreitet Göbel. »Um
es ganz deutlich zu sagen: Sanktio-
nieren ist ein gescheitertes Instrument
der letzten Jahre.«
Michael Fröhlingsdorf n
Zuschauer mit bengalischem Feuer bei Berliner Fußballderby am 9. April: »Beste Magnesiumqualität«
2870
verbotene
pyrotech
nische Artikel
wurden
in der Saison
2018/19 in
den obersten
drei Ligen
abgebrannt.
Julius Frick / Jan Huebner