geschrittenem Krankheitsstadium, wäh -
rend die primäre Versorgung unterfinan-
ziert bleibt. Studien zeigen aber, dass hö -
here Ausgaben für die Grundversorgung
die Gesamtkosten des Gesundheitswe-
sens tatsächlich reduzieren können: Wird
zum Beispiel ein hoher Blutdruck durch
die Grundversorgung schon frühzeitig
dia g nostiziert, kann dem Patienten mit
kostengünstigen Medikamenten und
Bera tung geholfen werden, sodass
lebensbedrohli che Folgen wie Herzin-
farkt, Nierenversa gen oder Schlaganfall
vermieden werden können, für die teure
Aufenthalte im Krankenhaus nötig wür-
den. Schätzungen zufolge könnten 80 Pro-
zent der Gesundheitsprobleme durch ein
besseres Grundversorgungssystem wirk-
sam behandelt werden.
Die reichen Länder müssen vorangehen
Ein zweiter wichtiger Schritt wäre, schon
vor einer Krise festzulegen, wer für welche
Aufgaben zuständig ist. Ausbruchssimu-
lationen wie Crimson Contagion erbrach-
ten deutliche Hinweise, dass es zu einem
Chaos kommen könnte, aber es wurde
kaum etwas unternommen. Wir wissen in -
zwischen, welche Konsequen-
zen Unentschlossenheit nach
sich zieht. Jedes Land braucht
einen Pandemiebeauftragten,
ausgestattet mit dem Mandat,
einen Plan zur Eindämmung
eines Ausbruchs zu erarbeiten
und umzusetzen. Die Be fug-
nisse dieser Person müssen
auch den Erlass von Regeln
für die Beschaffung und Ver-
teilung wichtiger Ausrüstun-
gen und Nachschübe umfas-
sen; außerdem benötigt sie
vollen Zugang zu den Daten
und Modellierungen.
Auf der internationalen
Ebene sollte das GERM-Team
diese Funktionen überneh-
men. Die Regierungsbehör-
den und die Geldgeber be -
nötigen ein globales Forum,
auf dem sie ihre Aktionen mit
und für die Entwicklungslän-
der koordinieren können. So
könnten sie sich beispielswei-
se schon frühzeitig darüber
verständigen, wie die Mittel
zum Kauf von Impfstoffdosen,
Tests und anderen Produkten
freigegeben werden, damit
die Empfängerländer nicht
gezwungen sind, in einer
Krise erst einmal Geld auf-
treiben zu müssen.
Man könnte sich auch schon vorab über
die Grundsätze einigen, nach denen die
erforderlichen Produkte verteilt werden,
damit sie schneller zu den betroffenen
Menschen gelangen.
Die reichsten Länder der Welt können
stolz darauf sein, oftmals den Weg zu
bahnbrechenden Innovationen gewie-
sen zu haben. Die US-Bundesregierung
zum Beispiel förderte die Forschungen,
die letztlich zur Entwicklung des Mikro-
chips führten, und löste damit einen Wir-
bel weiterer Fortschritte aus, durch die
die digitale Revolution erst möglich wur-
de. Ohne diese Investitionen wären Paul
Allen und ich niemals in der Lage gewe-
sen, uns ein Unternehmen wie Microsoft
auch nur vorzustellen, geschweige denn,
es wirklich zu gründen und aufzubauen.
Oder nehmen wir ein jüngeres Beispiel:
die wegweisende Arbeit an emissions-
freien Energiequellen, die in nationalen
Forschungsstätten überall im Land ge -
leistet wird. Wenn es der Welt gelingt, die
Treibhausgasemissionen bis 2050 restlos
zu eliminieren, was ich für möglich halte,
wird dies teilweise der Energieforschung
zu verdanken sein, die von den USA und
anderen Ländern gefördert
wird.
Ein GERM-Team wird jähr-
lich un gefähr eine Milliarde
Dollar benötigen, die von den
wohlhabenden Staaten und
einigen Schwellenländern zur
Verfügung gestellt werden
sollte. Um die neuen Tools
und das GERM-Team optimal
nutzen zu können, müssen
wir uns auch an die grund-
legende Arbeit machen: die
Ge sundheitssysteme zu stär-
ken (die Krankenhäuser und
das Gesundheitspersonal, das
direkt mit den Patienten ar -
beitet), aber auch die öf fent-
lichen Gesundheitsinstitutio-
nen (die Epidemiologinnen
und sonstigen Beamten, die
Ausbrüche erkennen und dar-
auf reagieren sollen). Weil
beide Bereiche schon seit
Langem unterfinanziert sind,
gibt es hier einen großen
Nachholbedarf: Die Industrie-
staaten sowie die Schwellen-
länder zu ver anlassen, aktiv
zukünftige Pandemien zu ver-
hindern, wird mindestens 30
Milliarden Dollar pro Jahr
kosten – das ist die Ge samt-
summe für alle Länder zusam-
men.
Die Arbeit muss auch in den einkom-
mensschwachen Ländern geleistet wer-
den, und das ist der Grund, warum es so
wichtig ist, dass alle wohlhabenden Län-
der so großzügig sind wie Norwegen,
Schweden und die anderen Staaten, die
mindestens 0,7 Prozent ihres BIP in die
Entwicklungshilfe investieren. Würde
jedes Land diesen Anteil an seinem BIP
aufbringen, würde das zig Milliarden Dol-
lar an frischem Geld generieren, das für
die Stärkung der Gesundheitssysteme
verwendet werden könnte – Geld, mit
dem Kinderleben gerettet und Pandemien
verhindert werden könnten, bevor sie
ausbrechen.
Der Gedanke, dass die reichen Länder
mindestens 0,7 Prozent ihres BIP für Ent-
wicklungshilfe einsetzen sollten, geht auf
die späten 1960er Jahre zurück und hat
somit eine lange Geschichte. Die Euro-
päische Union verpflichtete sich 2005, das
Ziel bis 2015 erreichen zu wollen, und
obwohl viele EU-Mitgliedsländer recht
großzügig sind, haben bisher nur weni-
ge das Versprechen tatsächlich eingelöst.
Durch die Corona-Krise lässt sich nicht
mehr leugnen, dass die Gesundheit in
einem Teil der Welt auch jeden anderen
Teil beeinflusst, daher kann es für die
wohlhabenden Länder wohl keinen geeig-
neteren Zeitpunkt geben, sich diesem Ziel
erneut zu verpflichten. In die Gesundheit
und die Entwicklung der armen Länder
zu investieren, ist gut für die ganze Welt.
Denn damit wird das Leben für alle siche-
rer, es bildet die Grundlage für ein Wirt-
schaftswachstum, das den Menschen und
ihren Ländern hilft, die Armut zu über-
winden – und es ist einfach richtig.
Mehr Finanzmittel sind nötig, aber das
allein reicht nicht aus. Ein weiterer wich-
tiger Beitrag besteht darin, den Weg zur
Produktzulassung zu ebnen, ohne die Pro-
duktsicherheit zu opfern. Wie die Wissen-
schaftlerinnen, die hinter der Seattle Flu
Study und SCAN standen, aus erster Hand
feststellen mussten, ist es noch immer zu
schwierig und zeitaufwendig, vielverspre-
chende Ideen zu verwirklichen, vor allem
während einer Notlage, in der es auf jede
Stunde ankommt.
Bis das alles so weit ist, sollten es die
Entwicklungs- und Schwellenländer zu
einer ihrer Prioritäten machen, Krank-
heitsausbrüche aufzuspüren und aufzu-
halten, wobei sie, falls nötig, technische
Unterstützung und Finanzierung aus dem
Ausland anfordern sollten. Indem sie sich
Projekten wie dem globalen Austausch
von Gesundheitsdaten anschließen, ver-
schaffen sie ihren eigenen Behörden wie
auch dem Rest der Welt Einblick in das,
Bücher schreiben
Sein Werk erschien am
- Mai 2022 im Piper
Verlag. Preis: 24 Euro
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Durch Corona
lässt sich nicht
mehr leugnen,
dass die
Gesundheit in
einem Teil der
Welt auch die
anderen Teile
beeinflusst
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