FOCUS - ALE (2022-05-07)

(EriveltonMoraes) #1
Foto: witter.com/KaiDiekmann

POLITIK

D

onnerwetter, der Karl Neham-
mer! Den Namen des neuen
österreichischen Kanzlers und
künftigen Parteichefs der Kon-
servativen kannten bis vor
Kurzem nur politische Fein-
spitze mit Liebe für österreichische Innen-
politik. Aber dann kam Blitzdiplo matie
à la Vienne. Binnen 72 Stunden reiste
Nehammer vor den Osterfeiertagen
zuerst zum ukrainischen Präsidenten
Wolodymyr Selenskyj nach Kiew und flog
dann zur Überraschung aller zum Kriegs-
Aggressor Wladimir Putin nach Moskau.
Daraufhin explodierten die Interview-
anfragen am Wiener Ballhausplatz, dem
Sitz des österreichischen Bundeskanzler-
amtes. Politisch erreicht hatte Nehammer
nichts, das war auch nicht zu erwarten.
Aber er konnte der Weltöffentlichkeit als
Zeitzeuge erzählen, wie es war, als ers-
ter EU-Regierungschef seit Beginn des
Krieges in der Ukraine am 24. Februar
Putin „in die Augen geschaut“ und ihn mit
den Kriegsverbrechen von Butscha kon-
frontiert zu haben. Von Mann zu Mann.
Und wie er erlebte, wie tief drinnen
Putin in seiner „Kriegslogik“ inzwischen

Sebastian Kurz hat einen politischen Scherbenhaufen hinterlassen. Sein Nachfolger Karl Nehammer


hat sich nun Spindoktoren ins Kanzleramt geholt, auch Ex-„Bild“-Chef Kai Diekmann


Bild dir deine Macht!


steckt. Es war am Ende ein gelungener
PR-Coup.
Einen, den Nehammer dringend brau-
chen kann. Denn der „Neue“ tritt ein
schweres Erbe an. Sein Vorgänger hieß
Sebastian Kurz, und den kannte praktisch
jede und jeder. Für die einen war er das
politische Wunderkind aus Wien, strah-
lendes Vorbild für Europas Konservative.
Für die anderen nur ein weiterer am eige-
nen Ruhm orientierter Rechtspopulist, der
seine Partei hochtunte, aber darüber die
Republik und ihre Reformnöte ignorierte.
So oder so, Kurz feierte Sensationserfolge
und holte bei Wahlen 31,5 und 37,5 Pro-
zent heraus. Er taufte die österreichische
Volkspartei in „Die neue Volkspartei“ um,
änderte die Parteifarbe von Schwarz auf
Türkis und ließ sich weitreichende Voll-
machten geben.
Jetzt wird die kurze Ära Kurz rück ab-
gewickelt. Auf ihrem Parteitag am 14. Mai
in der steirischen Landeshauptstadt Graz
wählt die Österreichische Volkspartei
(ÖVP) Nehammer offiziell zum Partei-
chef: Das „neue“ ist schon jetzt weg aus
dem Parteinamen, das strahlende Türkis


  • Farbton Pantone 7709 – darf nun nur


noch als dezenter Strich auftreten. Alt -
parteiobmann Kurz fristet das Dasein
eines Jetset-Managers, seitdem er als
„Global Strategist“ für die Investment-
firma des Trump-Unterstützers Peter Thiel
in den USA angeheuert hat.
Im österreichischen Parlament befasst
sich inzwischen schon der zweite Unter-
suchungsausschuss mit den beiden Regie-
rungsperioden des Ex-Kanzlers. Im ersten
ging es um den Ibiza-Skandal, der zum
Platzen der türkis-blauen Koalition mit der
rechtspopulistischen FPÖ führte. Im zwei-
ten, der nun angelaufen ist, untersuchen
die Abgeordneten Korruptionsvorwürfe im
Umfeld von Kurz. Darauf deuten Tausende
Chatnachrichten hin, die auf den Handys
von Kurz-Vertrauten gefunden wurden. In
den Umfragen liegt die ÖVP wieder abge-
schlagen hinter den Sozialdemokraten.
Fast schon wieder dort, wo sie vor sich
hin dümpelte, bevor Kurz sie übernahm.
Man könnte die Lage daher auch so
zusammenfassen: Kurz hat Nehammer
in den vier Jahren seiner Amtszeit als
Kanzler einen Trümmerhaufen hinter-
lassen. In seiner Partei und der Republik.
Alles war auf ihn zugeschnitten, mit ihm

Frontmänner
Wladimir Klitschko,
Kanzler Nehammer
und der Kiewer
Bürgermeister
Vitali Klitschko (v. l.)
Anfang April bei einem
öffentlichkeits-
wirksamen
Treffen – rechts
PR-Berater
Kai Diekmann
Free download pdf