FOCUS - ALE (2022-05-07)

(EriveltonMoraes) #1

Fotos: Martin Juen/imago-images, Karl Schöndorfer/dpa


ÖSTERREICH

mer als eigentliche Ideengeberin
für die Moskau-Initiative präsen-
tiert wurde. Sie war es auch, die
Diekmann ihrem Mann als Berater
nahelegte. Die beiden kennen sich
seit einem Abendessen in 2018 am
Rande einer Wiener Medientagung.
Dass die ÖVP unter Kurz das
Kanzleramt in eine Art Außenstel-
le der Volkspartei verwandelte, ist
bekannt. Werbung für Staats-und
Parteiangelegenheiten verschwam-
men. Es ist aber auch ein Warnsig-
nal, wenn ein Kanzler politische Entschei-
dungen am offiziellen Verwaltungs- und
Beamtenapparat vorbei trifft, sie in einer
Art Blackbox privatisiert. Statt einen
„Spinmeister“ wie Diekmann zu enga-
gieren, solle Nehammer lieber auf ech-
te Russlandexperten hören, kritisiert der
renommierte Politikkommentator Hans
Rauscher.
Ähnlich wie im Kanzleramt geht es
auch in der Kanzlerpartei zu. Seit Kurz’
Abgang ist die Parteizentrale in der Wie-
ner Innenstadt intellektuell und personell
verödet. Es gab einmal Zeiten, da leistete
man sich in der Lichtenfelsgasse immer-
hin eine Grundlagen- und Strategieabtei-
lung. Vorbei. Ins so entstandene Vakuum
stoßen private PR-Gurus wie Diekmanns
Storymachine, die in Österreich mit einer
eigenen Gesellschaft in Innsbruck auftritt.
Für die Bundespartei arbeitet Ex-„Bild“-
Vizechef Michael Paustian an einer gene-
rellen Neupositionierung, den Parlaments-
klub berät mit Georg Streiter ein weiterer
Ex-„Bild“-Haudegen beim heiklen ÖVP-
U-Ausschuss. Streiter (Erfinder der legen-
dären „Bild“-Schlagzeile „Wir sind Papst“)
soll mehr Ruhe in die zuvor oft konfronta-
tive Krisenkommunikation bringen.
Was viele Kommentatoren von Neham-
mer einfordern, steht indes noch aus: ein
klarer Schnitt mit der Ära Kurz und den
Vorwürfen von Freunderlwirtschaft und
Postenschacher. Gerade ist ein Anti-Kor-
ruptionsvolksbegehren gestartet, getra-
gen von Spitzenjuristen und honorigen
Ex-Politikern. Aber Nehammer beharrt
darauf: „Die ÖVP hat kein Korruptions-
problem.“ Seine Osteuropa-Trips haben
ihm zumindest nicht geschadet. Laut
Umfragen wünschen sich 24 Prozent der
Österreicher zwar – noch immer – Kurz als
Kanzler, für Nehammer votieren jedoch
35 Prozent. Unter ÖVP-Wählern ist der
Vorsprung noch deutlicher.
Trotzdem muss sich der Neue jetzt mit
dem Ruf herumschlagen, ein Kanzler
fully powered by „Bild“ zu sein. n

BARBARA TOTH

rieren. Offiziell sagt er dazu nichts, aber
aus der ÖVP ist zu hören, dass minutiös
alle möglichen Varianten durchgespielt
wurden, um das Treffen nicht zum Kreml-
PR-Coup werden zu lassen. Nehammer
bedingte sich auf Diekmanns Empfehlung
etwa aus, dass keine Fotos und Videos
vom Treffen gemacht werden dürften.
Hätte Putin versucht, ihm die Hand zu
geben, wäre Nehammer zurückgewichen.
Nach Moskau reiste Nehammer im aller-
engsten Kreis. Neben Diekmann waren
das sein Pressesprecher, sein Leibfoto-
graf und seine außenpolitische Referen-
tin im Kanzlerbüro. Was zeigt,
welchen Stellenwert der Ex-
„Bild“-Chef für Nehammer
hat. Die Reise war im Gehei-
men geplant worden. Wohl
nicht einmal Bundespräsi-
dent Alexander Van der Bel-
len, verfassungsmäßig auch
für Außenpolitik zuständig,
war eingebunden, der Koa-
litionspartner, die Grünen,
wurde überrumpelt. Zur Ver-
blüffung der Öffentlichkeit
dementierte das Kanzleramt
auch nicht Medienberichte,
in denen Katharina Neham-

trat eine ganze Riege an Strategen
und Parteimanagern unfreiwillig
ab. Nehammer musste überneh-
men, ohne Vorbereitung und ohne
eigene Mannschaft. Der 49-jährige
Reserveoffizier war zuvor Innen-
minister und stammt aus einem
ÖVP-Haushalt. Er hat eine klas-
sische Parteikader-Karriere hinter
sich und gilt als loyal, redlich – aber
nur bedingt charismatisch. In sei-
ner Not vertraut Nehammer nun
vor allem auf ein ungewöhnliches
Küchenkabinett.
Den Vorsitz darin hat seine Ehefrau
Katharina, die ihre Karriere als Presse-
sprecherin und „Sherpa“ in ÖVP-Minister-
büros gemacht hat, bevor sich die zwei-
fache Mutter vergangenen Sommer ins
Familienleben zurückzog. Seitdem hat die
PR-Frau mit abgebrochenem Jura- und
Wirtschaftsstudium viel Zeit – Kritiker mei-
nen zu viel Zeit –, um sich Gedanken über
das politische Wohlergehen ihres Mannes
zu machen. Sie nimmt zwar nicht an Kabi-
nettssitzungen oder Ministerräten teil,
aber sie ist zwei-, dreimal die Woche im
Kanzleramt, ihr Wort hat bei informellen
Strategierunden viel Gewicht.
Österreichs politisches System und das
Protokoll kennen allerdings keine „First
Lady“, dem Lebenspartner des Regie-
rungschefs steht weder ein Büro noch eine
formale Rolle zu. Katharina Nehammer,
die Emanuelle Macrons Frau Brigitte als
ihr Vorbild bezeichnet, fordert diese pat-
riarchale, altmodische Denke durchaus
heraus. Aber ein Kanzler, dessen wich-
tigste Beraterin seine Frau ist, und die das
auch noch halb öffentlich auslebt, legt sich
quer zu allen Geboten der Transparenz.
Immer einen Platz frei hat Nehammer
in seinem Küchenkabinett für Kai Diek-
mann, der mit seiner PR-Beratungsfirma
Storymachine die österreichischen Kon-
servativen bei der Neupositionierung und
beim Untersuchungsausschuss im Parla-
ment berät. Dessen Strategie:
Die ÖVP soll konzilianter,
mehr Großkoalitionär werden.
Stichwort: Konsens-Karl.
Diekmann, Ex-„Bild“-Chef-
redakteur, war auch bei Ne-
hammers Stippvisiten in Kiew
und Moskau mit dabei – pro
bono und als persönlicher
Freund und Berater des Kanz-
lers, wie er betont. Schließ-
lich kenne er Putin von meh-
reren Treffen und könne
Gesprächspartner bestens
für die perfiden Finten des
Kreml-Machthabers präpa-

»
Die Österrei-
chische Volks-
partei hat kein
Korruptions-
problem

«


Karl Nehammer,
Bundeskanzler

Amtsantritt Nehammer (r.) bei der „Angelobung“ mit
Bundespräsident Van der Bellen im Dezember 2021

Nehammers Beste Ehefrau Katharina
berät Österreichs neuen Kanzler
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