FOCUS - ALE (2022-05-07)

(EriveltonMoraes) #1
TITEL

sowie Stromspeicher. Zur Belohnung
zeigt der Energieausweis ein „A+“ an
(mit einem beinahe lächerlichen Primär-
energiebedarf von 13 kWh/m^2 und einem
Endenergiebedarf von 7 kWh/m^2 ). Für
gerade einmal 310 000 Euro stellte die
Familie ihr Schwörer-Fertighaus auf das
unbebaute Grundstück. Vater und Mutter
Denlöffel wissen sich in ihrem privaten
Immobilien-Paradies. „Den Bau würden
wir genauso noch einmal machen.“

Ist Deutschland längst fertig gebaut?
Nur: Könnten sie es heute noch schaffen?
Ihr Fertighaus würde sie heute bereits
420 000 Euro kosten. Hätten sie sich für
einen individuellen Neubau entschie-
den, müssten sie mit einem exorbitanten
Anstieg der Kosten für Baustoffe rechnen.
Bestimmte Materialien wären womöglich
nicht lieferbar. Hätten sie einen Altbau
gekauft, wäre wegen der rasch steigen-
den Energiepreise und der Vorgaben der
Politik eine extrem aufwendige und teure
Sanierung nötig. Ob sie für eine derartige
Sanierung überhaupt die erforderlichen
Fachleute finden würden? Wären sie auf
einen Kredit angewiesen, so müssten sie
mit deutlich höheren Zinsen kalkulieren.
Kurz gesagt: Ihr Haus würde immer mehr
Geld erfordern – und dabei wäre es ziem-
lich unsicher, ob es dieses Geld auch wert
wäre. Schon warnen Finanzexperten der
Deutschen Bank, dass Inflation und stei-
gende Zinsen zu einer „fundamentalen
Neubewertung“ des Immobilienmark-
tes führen können. Die Preise könnten
fallen, womöglich sogar drastisch. Wer
jetzt in seinen Traum von den eigenen
vier Wänden viel Leidenschaft und noch
mehr Geld investiert, säße in der Falle.
Das Eigenheim als Lebensziel – auch
weil Geld über Jahre billig zu haben war,
ließen sich Millionen Bürger auf dieses
Projekt ein. Doch in Zeiten der globa-
len Krisen und Umbrüche, der Inflation
und steigender Zinsen, sehen sich Immo-
bilienkäufer neuen Risiken ausgesetzt.
Risiken, die sie selbst nicht steuern und
kaum kalkulieren können. Und nicht

nur ihr Geld ist in Gefahr. Das Objekt
ihrer Sehnsucht, das Einfamilienhaus, ist
Angriffsziel geworden.
In einer wahren Wutschrift unter dem
Titel „Der Bausektor ist der größte Klima-
killer“ rechnet die bekannte Architektin
und Klimaaktivistin Elisabeth Broermann
vom Verein „Architects for Future“ mit
Häuslebauern wie den Denlöffels ab: Der
Bausektor sei für 40 Prozent der CO 2 -
Emissionen Deutschlands zuständig,
allein durch Bau und Betrieb von Gebäu-
den. Sand und Kies würden schon jetzt
knapp, Holz- und Stahlpreise explodier-
ten. 90 Prozent aller mineralischen, nicht
nachwachsenden Rohstoffe gingen für
den Bau von Gebäuden drauf,
die zum Großteil mit enormem
Energie- und Emissions-Auf-
wand sowie unter oft zweifel-
haften Arbeitsbedingungen in
fernen Ländern abgebaut und
rund um den Globus transpor-
tiert werden.
„Danach endet der Umgang
mit den wertvollen Ressourcen
in einer Sackgasse“, klagt Broer-
mann. Nach dem Abriss von
Gebäuden würde beinahe alles
Material auf dem Müll lan-
den. „Mehr als 50 Prozent des
gesamten Abfallaufkommens
in Deutschland stammen aus
der Bauwirtschaft.“ Das müsse
sich dringend ändern. „Das
neue Bauen heißt: nicht mehr
neu bauen“, fordert die Archi-
tektin. „Deutschland ist fertig
gebaut.“ Die Zukunft liege im

Bestand. Vorhandene Gebäude müssten
„ökologisch sinnvoll energetisch saniert
und möglichst lange, flexibel genutzt
werden, sodass nur noch in absoluten
Ausnahmefällen überhaupt neu gebaut
werden muss. Städte und Dörfer müssen
zunächst smart ausgebaut und nachver-
dichtet, statt weiter in die Breite gebaut
werden.“
Wer aus der Sackgasse will, muss sa-
nieren. Das neue Mantra der Politik hört
sich gut an – und kostet viel. Insbesonde-
re Eigentümer. Die Summen überschlägt
der Sanierungskalkulator von Bundes-
wirtschaftsminister Robert Habeck (Grü-
ne): Um ein schlecht gedämmtes altes
Beispiel-Haus (Baujahr 1980,
140 m^2 Wohnfläche, Ölhei-
zung) energetisch komplett auf
Vordermann zu bringen, sind
danach mindestens 89 150 Euro
nötig. Komplett-Dämmung,
Wärmepumpe und Solaranlage
wären inklusive. Dafür sinkt in
dem sanierten Haus der CO 2 -
Ausstoß von zuvor 75 Kilo auf
17 Kilo je Quadratmeter. Die
100 000 Euro Sanierungskos-
ten überspringt man allerdings
schnell, falls die moderne Wär-
mepumpe mit ihren niedrigen
Temperaturen (50 Grad, Ölhei-
zung 60 Grad) die alten Heiz-
körper nicht warm bekommt
und dafür eine neue Fußbo-
denheizung eingezogen wer-
den müsste. Und selbst dann
gewönne man immer nur ein
altes Haus, bei dem die

Sind Neubauten


in Wahrheit


schädlich für


das Klima?


Passivhäuser wie hier in
München-Riem verbrauchen
so gut wie keine Energie.
Sie gelten als
kommender Standard

»Prioritär soll
die dringend
notwendige
Sanierung
gefördert
werden«

Robert Habeck,
Bundeswirtschafts-
Fotos: Sebastian Arlt für FOCUS-Magazin (2), Jürgen Lippert, Lukas Vallentin, dpa und Klimaminister

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